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Bayerisches Staatsschauspiel

Premiere
07.2.2009

Heinrich von Kleist
'Der zerbrochne Krug'

'Einsetzendes Tauwetter'

 
  http://www.bayerischesstaatsschauspiel.de/stuecke/
 
 
 

Aus einem Announcement Residenz Theater
   
 

Barbara Melzl, Jennifer Minetti, Anne Schäfer, Rainer Bock, Burchard Dabinnus, Lambert Hamel, Alfred Kleinheinz, Shenja Lacher, Mark-Alexander Solf und Annika Olbrich, Julia Schmelzle

Regie Tina Lanik
Bühne Bernhard Hammer
Kostüme Su Sigmund
Musik Helmut Neugebauer

Frau Marthe Rull hat einen Verlust erlitten. Nur ein irdener Krug, könnte man meinen, ist zu Bruch gegangen. Kein großes Unglück, auch wenn das Gefäß schön und noch gut in Schuss war. Dorfrichter Adam bereitet sich auf eine routinierte Gerichtsverhandlung vor. Doch in deren Verlauf zerbricht noch mehr als ein Krug: das Vertrauen der Kläger, vor Gericht gehe alles mit rechten Dingen zu. Dabei haben sich die Dorfbewohner genau wie Adam eigentlich nicht schlecht eingerichtet in einem System behaglicher Korruption, in dem Leistungen und Gegenleistungen sich halbwegs die Waage halten, die Kleinen und die Mittleren vereint gegen die gesichtslose Obrigkeit. Aber Marthe Rulls Hartnäckigkeit und die Ehrpusseligkeit ihrer Tochter Eve machen dem stillschweigenden Konsens ein Ende. Echte Gerechtigkeit soll herrschen anstelle eines mauschelnden Interessenausgleichs. Fatal für Richter Adam. Doch auch die anderen müssen sich fragen, ob sie einen guten Tausch gemacht haben.

   
 
Besetzung
 
     
Walter, Gerichtsrat Rainer Bock    
Adam, Dorfrichter Lambert Hamel    
Licht, Schreiber Mark-Alexander Solf    
Frau Marthe Rull Barbara Melzl    
Eve, ihre Tochter Anne Schäfer    
Veit Tümpel, ein Bauer Alfred Kleinheinz    
Ruprecht, sein Sohn Shenja Lacher    
Frau Brigitte Jennifer Minetti    
Ein Bedienter Burchard Dabinnus    
Zwei Mägde Annicka Olbrich    
  Julia Schmelzle
 
   
 

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Die bei der Aufklärung des Falles 'Krug' offenkundig werdenden Kontroversen der Figuren müssen von den auf der Bühne handelnden Personen übersetzt werden.
Die Regie hat die Darsteller in einem Ensemble zu führen, ohne die Individualität in diesem spezifischen Umfeld, der Korruption, der Unsitte, des Verschweigens, des Zugebens, der Missverständnisse zu reduzieren.

Eve gegen Ruprecht, Marthe gegen Ruprecht, Adam gegen alle, Licht gegen Adam, Walter gegen Adam - alle gegen irgendjemanden.
 

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Problematisch bei jeder Inszenierung, wenn das Publikum das Stück nicht kennt, den Text nicht beherrscht. So jedenfalls zu beobachten im 'Resi' in München, dem Bayerischen Staatsschauspiel.
Es vereinfacht natürlich die Inszenierung, wenn kaum einer weiß, was geboten werden soll.

In München endet das Stück mit der Order des Gerichtsrats Walter:

Geschwind, Herr Schreiber, fort! Holt ihn zurück!
(besonders interessant - und dies hier nur beispielhaft - der Drücker auf dem 'zurüeck').

Die nachfolgenden Passagen sind gestrichen:

Daß er nicht Übel rettend ärger mache.
Von seinem Amt zwar ist er suspendiert,
Und Euch bestell ich, bis auf weitere
Verfügung, hier im Ort es zu verwalten;
Doch sind die Kassen richtig, wie ich hoffe,
Zur Desertion ihn zwingen will ich nicht.
Fort! Tut mir den Gefallen, holt ihn wieder!

Licht ab.

Letzter Auftritt
Die Vorigen ohne Licht.

Frau Marthe
Sagt doch, gestrenger Herr, wo find ich auch
Den Sitz in Utrecht der Regierung?

Walter
Weshalb, Frau Marthe?

Frau Marthe empfindlich.
Hm! Weshalb? Ich weiß nicht -
Soll hier dem Kruge nicht sein Recht geschehn?

Walter
Verzeiht mir! Allerdings. Am großen Markt,
Am Dienstag ist und Freitag Session.

Frau Marthe
Gut! Auf die Woche stell ich dort mich ein.

Alle ab.

Ende
 

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Es stellt sich die Frage, warum die Regisseurin, die Dramaturgin, der geschäftsführende Herr Direktor oder gar Herr Dorn den Dorfrichter hier schon, ohne weitere Begründung durch den Gerichtsrat, zurückholen lässt.
Weil er alle so schön am Text entlang foppte oder zum Applaus?
Da die Aufklärung fehlt, das Publikum keine Ahnung hat - fällt eben der Vorhang und alle Fragen offen.

Der entscheidende Endpunkt, nämlich die von Walter zugelassene und im Hinblick auf die Örtlichkeit und den Zeitpunkt für die mögliche Fortführung des Prozesses wegen nicht erfolgter Verurteilung des Richters durch das Dorfgericht in Huisum, entfällt.

Warum ?

Fiel der Regisseurin nichts mehr ein - hatte sie keine Zeit mehr diese Zeilen umzusetzen - allein das Durcheinander beim Applaus (eine Ordnung gab es nicht, alles wuselte durcheinander) lässt auf eines der beiden schließen.

Das Stück spielt auf in die Bühnen eingelassenen Bodenwellen - vor Gericht und auf See ist man in Gottes Hand - oder sollte es in Verbindung zu schneebedeckten Ackerfurchen beim 2. Aufzug der Herzog'schen Lohengrin-Inszenierung gesehen werden?

Das Stück beginnt mit Schneegestöber, in dem eine männliche Figur mit dem Rücken zum Publikum steht. Mit einer weißen Masse ist die Bühne bedeckt, vom Boden reichen 'Strippen' in den Schnürboden, Seiten und Rückteil des Bühnenraumes sind mit Plastikfolie ausgehängt.

Eigentlich ist hier schon alles gesagt. Dorfrichter Adam musste "in den Fichten übernachten" - vereinsamt lässt er sich in Hemd und Hose in das Weiße sinken.

Der Vorhang fällt.

Öffnet er sich wieder, dann ist aus dem Bühnenboden eine Fläche  herausgehoben. Diese schwebt, mit einer weißen Masse bedeckt, über der Szene.
Frei geworden durch diese Strippenzieherei sind die schon erwähnten Ackerfurchen auf denen ein mit gelber Folie bezogener Sessel steht.

Da, Gerichtssaal in Huisum.

 

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Herausragend aus dem Ensemble - die Marthe Rull.

Was geifert Sie?

Nun ja, Frau Marthe kam, und geiferte, ...

Wie die Darstellerin den Abend mit dieser Lautmalerei durchhält, ist phänomenal. Es ist so auch dem weniger Kenntnisreichen im Publikum klar, dass es am Vorabend der Gerichtsverhandlung ganz offensichtlich langanhaltend laut im Zimmer der Tochter Eve zugegangen sein muss, denn die Stimme der Frau Rull ist derartig angeschlagen, oder es muss eine grassierende Grippe dem Übel zugrunde liegen.
Es wird sich doch nicht um mangelnde Sprechtechnik handeln?
Dass man den von ihr vorgetragenen Kleist'schen Text selten versteht, hängt natürlich mit dem Pips im Rachen zusammen, den sie - statt des Adam'schen Perlhuhns - hat.
Kann da überhaupt noch ein Nudeln helfen?

Wird davon ausgegangen, dass Töchter wie die Mütter werden, müsste man dem Ruprecht wünschen, er bekäme die Eve nicht.
Wie Frau Marthe aufdreht und einen derartigen Besen als Schwiegermutter, eine alt gewordene Soubrette, ein Reff - die Götter mögen ihn vor ihr bewahren - darstellt, ganz großartig !!!
 

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Eve, diese Tochter, stellt ihr Talent besonders in der aufklärenden Rede über das Eindringen des Dorfrichters Adam laut und deutlich heraus, mal nach vorne, mal nach hinten sich präsentierend.  Mag sein, sie hat sich doch an bestimmter Stelle verkühlt als sie am Boden sitzend, sich den Schoß immer wieder mit 'Schnee' bedeckte. Oder denkt sie an den Ruprecht und versucht, die Wallungen zurückzudrängen. Sie hätte sich das die Bühne deckende Weiße, die ganze Unschuld dokumentierend, ja, wie hätte sie das sonst nutzen sollen.
Mit erhobener Stimme trumpft sie auf, die Vorgänge in ihrer Kammer schildernd. Erstaunlich, wie man mit so wenig so groß rauskommen kann. Solcher Art innere Bewegung, lässt die Qual kaum erkennen, zwischen Muter, Richter und Verlobtem zu stehen.
 

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Dem Schreiber Licht - hellhäutig, blondhaarig, ohne Arg, niemand glaubt ihm, dass er hinterlistig nach dem Posten des Dorfrichters gieren könnte oder andere Fehlleistungen abzuleiten wären
                                             Es ließe
Von Depositionen sich und Zinsen
Zuletzt auch eine Rede ausarbeiten:
Wer wollte solche Perioden drehn?


Ein eifriger Gerichtsbote sagt seinen Text auf - präzise, an der richtigen Stelle. Am Ende sitzt er in dem für ihn viel zu großen Richter-Sessel und wird eingeschneit. Er merkt's wohl kaum wie die Kälte in ihm hochsteigt und ihn erstarrt. Von Teuflischem nicht eine Spur - a nett's Manderl halt.
 

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Der Dorfrichter kann es mit jedem aufnehmen - ob nun mit dem Sohn des Bauern, mit dem Tümpel selber oder mit dem Revisor, der Klägerin Rull, deren Tochter Eve, dem Schreiber - egal wer, Adam behält mit wohlgeführter Rede die Fäden ist der Hand.
Die Wunde heut und gestern die Perücke.
Ich trug sie weiß gepudert auf dem Kopfe,
Und nahm sie mit dem Hut, auf Ehre, bloß,
Als ich ins Haus trat, aus Versehen ab.


Die Mägde herrscht er an, scheucht er
Scher dich zum Satan, wo du hingehörst!
In die Registratur!


Wären es nicht die unglücklichen Umstände, die Wunden, die verlorene Perücke, mit schneller Sprache gibt er deutlich vor, wie die Sache zu behandeln ist,
Geh, Margarete!
Gevatter Küster soll mir seine borgen;
In meine hätt die Katze heute morgen
Gejungt, das Schwein! Sie läge eingesäuet
Mir unterm Bette da, ich weiß nun schon.

Alle seine Bedenken -
Mir ahndet heut nichts Guts, Gevatter Licht.

aus dem eigenen Traum in der Nacht -
- Mir träumt', es hätt ein Kläger mich ergriffen
Und schleppte vor den Richtstuhl mich; und ich,
Ich säße gleichwohl auf dem Richtstuhl dort,
Und schält' und hunzt' und schlingelte mich herunter,
Und judiziert' den Hals ins Eisen mir.

Geradezu jubelnd, alles überspielend, begrüßt er den frierend eintretenden Gerichtsrat
Ei, willkommen!
Willkommen, gnäd'ger Herr, in unserm Huisum!
Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte
So freudigen Besuches sich gewärt'gen.
Kein Traum, der heute früh Glock achte noch
Zu solchem Glücke sich versteigen durfte.

So geht es fort und fort und endlich - ohne dass dem Publikum klar wird: jetzt hat er's gemerkt, die Schlinge um den Hals zieht sich zu - doch mit einem lapidar dahingesprochenen
Verzeiht, Ihr Herrn.
geht er durch die Mitte, ohne dass sich Ruprecht ihn noch schlagend auf ihn stürzen könnte, ab.

Warum dies?

Der Text:
Ruprecht schlägt den Mantel.
Ratz! Das ist eins. Und Ratz! Und Ratz! Noch eins.
Und noch eins! In Ermangelung des Buckels.


ist gestrichen.
 

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Ganz entzückend, die blond-gelockten Mägde, so stellt man sie sich vor, wie sie melkend unter einer Kuh hocken und an deren Zitzen oder, wenn nicht Euter, sonst zeitweise Herabhängendem zutzeln. Eigentlich soll der Text nur von einer gesprochen werden, aber der Frau Regisseurin gefiel es besser, wenn beide anstimmen
Hier bin ich, Herr Dorfrichter -

Oder wie sie polternd über die ackergefurchten Bodenwellen hereinstürmen und unisono verkünden
Gruß von Frau Küsterin, Herr Richter Adam;

Leider bekommen die beiden sonst kaum eine Möglichkeit zur Entfaltung im Spiel. Wie sinnvoll in der Zollner-Inszenierung, wenn sie da saßen, Kartoffeln schälten oder sich sonst beschäftigten und damit die Szene belebten.
In München darf eine von ihnen eine Wurst, eingewickelt in ein Stück Papier aus der Registratur herausholen.
Da herrscht doch noch Ordnung beim Dorfrichter.
und somit bei der einen kümmerlichen Wurst: von wegen
Kuhkäse, Schinken, Butter, Würste, Flaschen
Aus der Registratur geschafft! Und flink! -

 

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Gerichtsrat Walter, kein honoriger, kein seriöser, kein distinguierter Revisor, mehr ein lockerer Controller, der auch schon mal die Hand aufhält, ein Verfahren zu beschleunigen oder abzuwenden
Das Obertribunal in Utrecht will
Die Rechtspfleg auf dem platten Land verbessern,
Die mangelhaft von mancher Seite scheint,
Und strenge Weisung hat der Mißbrauch zu erwarten.


Stutzend, da er fünf Kassen prüfen soll
Mit der Inundations-Kollekten-Kasse!
Doch jetzo ist der Rhein nicht inundiert,
Und die Kollekten gehn mithin nicht ein.

Doch ganz schnell geht er darüber hinweg und fragt
- Sagt doch, Ihr habt ja wohl Gerichtstag heut?

Die Zwiegespräche zwischen Dorfrichter und Gerichtsrat laufen weitgehend ohne große Gespreiztheiten, flüssig, man begegnet sich auf juristischer Basis,
                              Steht im Gesetzbuch
Nicht titulo, ists quarto? - oder quinto!
Wenn Krüge oder sonst, was weiß ich?
Von jungen Bengeln sind zerschlagen worden,
So zeugen Töchter ihren Müttern nicht?

Selbst wenn man sich verbal aneinander vorbei bewegt:
Da muß submiß ich um Verzeihung bitten!
Wir haben hier, mit Euerer Erlaubnis,
Statuten, eigentümliche, in Huisum,
Nicht aufgeschriebene, muß ich gestehn, doch durch
Bewährte Tradition uns überliefert.
 

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Vater Tümpel und Söhnchen Ruprecht - der Kleine hat seine Probleme, nicht mit großartigen Rüpeleien nach außen, sondern mit sich. Väterchen Veit kümmert sich rührend um ihn, der Mantel wird zugezogen, damit nicht zuviel kalte Luft an den Kleinen komme. Immer wieder wird die Mütze aufgesetzt und geradgerückt, damit das Jungchen sich nicht verkühle und gegen die Unbill der Welt geschützt ist.

Ruprecht kann sich nicht befreien
 ...... als ich zum Vater sage: Vater!
Ich will ein bissel noch zur Eve gehn.


Und Vater Tümpel gibt sein Einverständnis,
»Na«, sagt er, »lauf; bleibst du auch draußen?« sagt er.

Nachdem Söhnchen Gehorsam zugesagt mit:
 Ja, meiner Seel, sag ich, das ist geschworen.

-
darf der Knabe enteilen
»Na«, sagt er, »lauf, um elfe bist du hier.«

Wie Ruprecht dann bei seiner Rechtfertigung differenziert - wie er die Rede führt, der Zuschauer merkt sofort, dass hier in der heimlichen Hauptstadt Staats-Theater gespielt wird und eben nicht irgendwo in der Provinz. 
 

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Und dann fängt es an zu tauen, der Schnee schmilzt, das Leben hat uns wieder, alle Krämpfe sind vergessen - zwar watet man jetzt durch das Wasser und von oben aus dem Plafond tröpfelt es.

Es ist zum Jammern, dass die schönen Kostüme - grau-schwärzlicher Look, die Damen mit offenen Mänteln, im Aufsprung lockt drunter rot, nass werden.
Nur Frau Brigitte - die Muhme - mit Mummeltuch, wohlverhüllt dem Wetter trotzend.

Aber, was soll's - das Eis ist ja gebrochen.

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/974/457632/text/
09.02.2009    09:11 Uhr

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Zur Sache, Mätzchen!
Tosen für den Staatsanwalt:
Tina Lanik zerdeppert am Münchner Residenztheater
Kleists "Zerbrochnen Krug".
Von Christine Dössel

Ablage_07.2.09_Krug_Nachlese_MUC.htm

 
 

 

 

 

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