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04.01.2010 - dradio.de

 

 

 

Damals in Hannover

Thema des Tages

28. Januar 2016

'Und die Bühne dreht'

GP 'Macht des Schicksals'

Staatsoper Hannover

 

Eines ist klar:
Auch diese Inszenierung wird Verdis Oper 'Die Macht des Schicksals' nicht retten, im Gegenteil, sie trägt dazu bei, das Unverständnis zu verstärken.

Piave erarbeitete das Libretto, Ghislanzoni musste nach der Uraufführung 1862 in St. Petersburg das Stück an einigen Stellen umschreiben, vornehmlich den Schluss, der bei Piave noch drei Tote forderte.
Bei Ghislanzoni waren es dann nur noch zwei: Leonore und Carlo, also Schwester und Bruder. Abgesehen davon, dass bei beiden Librettisten der Vater der beiden durch einen Schuss, der sich aus einer Pistole während eines Handgemenges löste, ums Leben kam.

Dass diese Oper seltener gespielt wird als Traviata, Troubadour oder Aida - auch Falstaff und Otello sind häufiger zu sehen - so liegt das an der verworrenen Geschichte des Stücks, die viele Theaterleiter davon abschreckt, sich mit dem Stück auseinanderzusetzen.

Herr Dr. Klügl, der Staatsoperndirektor in Hannover wagt es, holt sich Frank Hilbrich als Regisseur und meint nach dessen 'Caligula' sei alles bestens geregelt.

Der Haken bei der Sache ist nur, dass Herrn Hilbrich zu viel einfällt, so dass er das Publikum mit Bildern, Symbolen, Aktionen überfrachtet und dadurch die Produktion bei den Zuschauern letztendlich auf Ablehnung stößt. Ist es anfangs noch überwältigt vom Gesehenen und Gehörten, kommen dann aber sogleich die Zweifel.
Zu was sollte auch 'das ganze Gemähre' führen. So der Regisseur selber anlässlich der Einführungsveranstaltung.

 

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Er selber überlege sich für sein Regiekonzept, was der Komponist aussagen wolle.
So kam er zu der Erkenntnis, dass Verdi ein vom Schicksal geschlagener Mensch gewesen sei, der als junger Mann Frau und Kinder verloren habe.
Das Schicksal, das über ihn hereingebrochen sei, war nicht die Auswirkung des Einflusses fremder Mächte, sondern wie im Leben anderer und bei den Rollen in Opern, das Zusammentreffen von Menschen, mit ihren emotionalen, sozialen, psychologischen Problemen, so dass diese Umwelt Einfluss nehmen und Positives wie Negatives für den Einzelnen bewirken könne.

Verdi sei es, so Regisseur Hilbrich, darum gegangen, die Verstrickungen der Menschen miteinander und das daraus resultierende Ergebnis zu zeigen.

So auch in seiner Inszenierung.
Ein wohlproportioniertes Mütterchen schlurft während der Ouvertüre einen Supermarkt-Einkaufswagen vor sich herschiebend über die Bühne. Sie bleibt stehen, zerrt alle möglichen Plünnen heraus, wirft sie auf den Boden und - als das Musikstück so langsam zu Ende geht - hebt sie sie wieder auf, stopft sie in den Korb und schlurft ab.

Das Geschehen beginnt damit, dass Leonore in ein weißes, stark tailliertes Püppchenkleid gezwängt auf den geliebten Alvaro wartet, der dann im, vom Regisseur vorgegebenen, Moment aus dem günstig in der Mitte der Bühne aufgestellten Schrank springt, sich auffällig albern gebärdet und wie ein Halbaffe aussieht.
Leonore setzt sich zum Freund auf die Kommode und wackelt mit den Beinen.
Das eigentliche Drama fängt mit einem Schuss aus einer Pistole an, um die Vater und Tochter ringen - nicht die Kugel aus der von Alvaro weggeworfenen Pistole trifft den Vater, sondern durch das Herumhantieren von Vater und Tochter mit der Schusswaffe, löst die Kugel, die den Vater tödlich trifft.

Damit werden drei Leben mit einem Schlag verändert, sogar vier, nimmt man den nicht anwesenden Sohn des Marchese Carlo di Vargas - auf dem Besetzungszettel, der unter der Oberaufsicht des Herrn Dr. Klügl, Operndirektor in Hannover, erstellt wurde, steht fälschlicherweise Carlo
die Vargas (für solche Sachen gibt es einen hochbezahlten Dramaturgen, der sich anlässlich des letzten Neujahrskonzertes anbiedernd als 'Pausenclown' bezeichnete).


Leonore und Alvaro fliehen nach dem Unglücksfall aus dem Haus in verschiedene Richtungen, jedenfalls verlieren sie sich aus den Augen.

In einer Art von Kantine - der Regisseur meint, es solle eine Autobahnraststätte sein - feiert der Chor Weihnachten, jedenfalls lässt der erleuchtete Baum in der Ecke darauf schließen. Hinter diesem tritt dann auch der Weihnachtsmann hervor, der aber in Wirklichkeit die verkleidete Leonore ist. Der auch anwesende Bruder Carlo - Student in Salamanca - ist da, erkennt seine Schwester als 'Weihnachtsfrau' verkleidet aber nicht.
Ob des ganzen Jammers will sie in ein Kloster, hat Schwierigkeiten als Frau dort aufgenommen zu werden.

Alvaro macht im Krieg, an dem auch Carlo teilnimmt, Karriere. Die beiden freunden sich an, ohne zu wissen, wer der jenige ist, mit dem sie sich abgeben.
Alvaro wird verwundet, er übergibt dem Freund Papiere mit der Auflage, diese nicht anzuschauen. Als der die Sachen in eine Mülltonne werfen will, fällt aus dem Bündel Unterlagen ein Bild heraus. Carlo erkennt das Konterfei seiner Schwester und folgert, dass er seinen Erzfeind vor sich hat, den es nun endlich zu vernichten gilt.

Nach Jahren treffen die beiden wieder aufeinander, beide gealtert, aber der Zorn schwelt weiter in Carlo. Nach langem Zögern kämpfen sie miteinander und Carlo wird tödlich verwundet. Leonore, die zufällig wieder mit ihrem Einkaufwägelchen voller Plünnen vorbeischlurft, soll für Carlo den letzten Segen besorgen, der erkennt unter der Verkleidung die Schwester und sticht sie ab.
Alvaro bleibt übrig, zieht mit dem von Leonore zurückgelassenen Einkaufswägelchen zur Seite von der Bühne. So was wie 'Vater Courage'.

 

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Das Stück ist aus und dem einzelnen Besucher bleiben Fragen, wie er den Wust der Bilder - unter dem Motto: 'Und die Bühne dreht' verarbeiten soll, die besonders durch die Chor-Massenszenen verstärkt werden.

Da ist die Kneipe mit der relativ zivilisiert sich gebenden Gesellschaft, dann eine Kriegsszene, in Hannover ersetzt durch eine Situation im maffiösen Bereich der Gesellschaft, in der Kinder abgerichtet werden und noch das Bild des Hungers, wobei in Hannover geistiges Verlangen im Vordergrund steht. Die Gesellschaft ist satt und verlangt nach geistiger Nahrung, die sie dann aber doch wieder ablehnt und die von Pater Guardian angebotene Lektüre in die Ecke wirft.

Ist es also der Zeitgeist, der bestimmte Verrohungen hervorruft oder sind es die Geschichten einzelner Personen, die ganze Gesellschafen aus der Bahn werfen? Wie ist die Wirkung des Einzelnen auf die Gesellschaft und wie die Reaktion der Gesellschaft auf den Einfluss des Einzelnen?
Das Stück gebe hierauf keine Antworten. Es seien nur Einzel- den Massenszenen gegenüber gestellt.

 

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Kinder machen sich immer gut auf der Bühne. Auch Frank Hilbrich greift als Regisseur zu dem Mittel, das Publikum für sich einzunehmen.
In seiner Inszenierung sollen die Kinder den Blick auf die Jugend der Solisten lenken. Die Kinder kamen aus mehr oder weniger behüteten Haus, wuchsen auf und sind nun als Erwachsene verstärkt der Unbill des Schicksals ausgesetzt.

Wer das Stück zum ersten Mal sieht, glaubt in dieser Inszenierung das Non plus ultra für sich festmachen zu können.
Derjenige, der Vergleichsmöglichkeiten anzustellen in der Lage ist, zweifelt wieder einmal an der 'Freiheit der Kunst', denn wieder einmal macht sie das zunichte, was die Autoren sich erdachten.

Wüsste Verdi wie seine 'Forza' in Hannover an der von von Herrn Dr. Klügl als Direktor geleiteten Staatsoper dem Publikum - bedingt durch die Willkür des Regisseurs - präsentiert wird, hätte er wohl auf das Werk verzichtet.

Ganz klar, die Inszenierung funktioniert, wenn überhaupt und soll sie den gewünschten Effekt haben, nur mit spezieller Einweisung durch die Leitung des Hauses. Viele Details werden ohne Hinweise nicht gedeutet werden können. Man erkennt - auch durch mangelnde Führung der Kinder - nur eine Bühnenshow, die eine bestimmte Vorgehensweise - der Wiedererlangung der Ehre und der ersatzweise vollzogenen Racheaktionen - nicht aufzeigt und die Produktion nicht erschließt.

Gerade wenn das Theater eine 'Gegenwartskunst' sein soll, dann hat es die Probleme der Zeit aufzuzeigen, in der das Stück spielt und nicht mittels Mätzchen und Albernheiten das Stück 'vom Sockel' zu holen und ins Heute zu zerren.
Man übertrage Leonore mit der Einkaufskarre konsequent ins Heute auf die Kö in Düsseldorf, da singt sie dann 'Pace, pace ...' - und Preziosilla auf dem Ku-Damm in Berlin ihr 'Rataplan, plan, plan, plan, plan, plan!'
Allein der Gedanke.
Man fasst es nicht!

Es ist auch zu bezweifeln, dass ein Bruder in der hiesigen westlichen und heutigen Gesellschaft der Schwester bis in sein eigenes Greisenalter nachstellt, um die weit zurückliegende Affäre mit dem Sohn der 'ultima degl'Incas' und den zufälligen Tod des eigenen Vaters zu rächen.

Die Theater sollen sich eigene Werke der Jetztzeit schreiben. Aber da geht dann keiner hin.
 

 

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Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
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Dieter Hansing