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Bemerkungen
eines voll zahlenden Zuschauers
zur szenischen Umsetzung von
Georg Büchner
'Woyzeck'
Thomas Bernhard
'Claus
Peymann kauft sich eine Hose
und geht mit mir essen'
George Tabori
'Die
Kannibalen'
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im
Theater am Schiffbauerdamm Berlin |
Die Saison
2014/15 beim
BE begann mit einem 'Cicero'-Foyergespräch, dass die Herren
Meyer und Schwennicke mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel führten.
Es schloss sich ein Abend mit Rolando Villazon an, der - moderiert von Wolfgang
Herles - über 'Kunststücke' referierte.
Die 'Lindenoper' gab zum Anfang 'Vier letzte Lieder' mit Anna Netrebko, die sich
wohl langsam an das Deutsche Fach und die Deutsche Sprache heranmacht, wenn es
denn dann 2018 für 'Lohengrin' - Regie Alvis Hermanis - reichen
soll. BT verhandelt ja angeblich mit ihr, obwohl
Katharina, die Grobe mal gesagt
haben soll, als der Plan schon mal aufkam, die Elsa solle sie in Baden-Baden
singen, jedenfalls nicht bei ihr.
Beim BE musste man nun aber zur Sache kommen, also: Voraufführungen zu 'Woyzeck'.
Bei der
zweiten derartigen Probe am 4.9.14 trat Regisseur Haußmann vor das Publikum und verkündete, man
habe bei der ersten derartigen Veranstaltung festgestellt, dass man ändern müsse.
Was man tat, zeige man jetzt.
Das in größerer Zahl erschienene Publikum war bereit, den Vorgaben des
Spielplans entsprechend, Büchners 'Woyzeck' zu sehen. Es bekam präsentiert: ein
Stück feinstes Kobefleisch, zudeckt mit grob geraspeltem, mangelhaft
vergorenem Sauerkraut.
So, nun friss!
Die Leute taten es nicht, sie widersetzten sich am Ende dieser Voraufführung -
und das war ja nun schon die zweite - mit heftigen Buhrufen, die auch das
Ensemble abbekam - die nun nicht dafür konnten, dass durch Überfrachtung mit
noch einem Einfall und noch einem Gedanken und noch eine Idee, noch etwas, was
man nicht deuten konnte, noch ein martialischer Männer-Auftritt, noch eine
Knallerei, der Doktor ist eine Frau, die durch eine Herde weiß Gewandeter
schreitet, den einen oder andern tätschelt - und viele Sprechpausen, die alles
in die Länge ziehen.
Mitten drin zwei Jugendliche, die nicht wissen, wo's langgeht. Zum Sichvermehren hat's gereicht, ansonsten machen sie eher den Eindruck als versprengte Julia und Romeo in einer Horde von Statisten.
Als von ihren Mitmenschen Gedemütigte erscheinen sie jedenfalls nicht - unbeeindruckt von dem Geschehen um sie herum schwingen sie sich durch die Produktion.

Aushang am
Theater am Schiffbauerdamm
Seitens des BE wird behauptet, Woyzeck suche Halt beim Militär - was nicht zu erkennen ist.
Das eigentliche Drama dieses - hier - Kerlchens, im Original mit seinen wenigen Darstellern in ihrem Mit- und
Gegeneinander, wird durch überfrachtendes Beiwerk und inszenatorische Mätzchen
kaum mehr gefunden.
Tschin Bum, Tschin Bum, Bum, Bum, Bum!
Hörst Bub? Da kommen sie!
Haarsträubend der Regieeinfall, in die Rasierszene H 4,5 einzuspielen:
'Ich bin das Faktotum der schönen Welt, ja ich!' -
plumper kann man schon nicht mehr dem Affen Zucker geben und beim Publikum auf den Busch klopfen - und da meinte man bei einem deutschen Bewegtbild-TV-Sender, Haußmann zöge alle Register.
Die 'Logenschließer' befragt, wie lange der Abend der zweiten Voraufführung unter diesen Begleitumständen daure, meinten, man wisse es nicht so genau, gehe aber von jeweils
90 Minuten für den ersten wie auch für den zweiten Teil plus Pause aus -
bedeutet, der Peymann/Haußmann'sche 'Woyzeck' dauert mehr als drei Stunden.
Außer einem Besetzungszettel war nichts zu bekommen. Ein Programmheft gab es
nicht, man wurde auf den Premierentag vertröstet. Am BE zur Zeit des abendlichen
Trubels an diesem Ort der Premiere sich einstellend, erhielt man die Auskunft, man wisse noch
nicht, was das Heft kosten solle.
So der diensthabende 'Ober-Logenschließer'.
Immerhin konnte man schon mal herausbekommen, dass nicht eine Strichfassung gedruckt wurde, sondern die gespielte Fassung. Also mit allen Einschüben, somit eine interessante Lektüre, da man nachlesen kann, was sich auf der Bühne abspielt, wobei natürlich kaum festgehalten ist, was in letzter Minute dem Rotstift zum Opfer fiel.

Litfaßsäule am BE
Für die Premiere hatte man noch einmal geändert, viel 'Tschingdarassa bum' weggelassen und die Pause gestrichen. Durch letztere Maßnahme vermied man, dass Zuschauer das Theater unbemerkt während der Unterbrechung verließen und man danach auf der Bühne in der Mehrzahl gewesen wäre.
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Tags drauf sollte sich dann Claus Peymann eine Hose kaufen und essen gehen.
Vorgesehen war das für das große Haus, die Vorstellung musste aber auf die Probebühne verlegt
werden, da die Hauptbühne für eine weitere Probe von 'Woyzeck' gebraucht wurde.
Diese nun ein Tag vor der Premiere, heißt, es wird nach der GP geändert und wohl
auch gestrichen. Dies wiederum hat zur Folge, dass dem Ensemble Zwang angetan
wird, Choreographien werden ausgetauscht, Anschlüsse passen nicht mehr, gelernte
Texte sind nicht mehr zu gebrauchen oder es muss nachgelernt werden.
Das Publikum für den 'Hosenkauf' stellte sich also murrend an der Probebühne an,
um sich dann - in Bezug auf den Vorstellungsbeginn - verspätet auf der eiligst herbeigeholten Bestuhlung niederzulassen, die
'naturgemäß' nicht mit den gekauften Plätzen im Parkett und den Rängen des
Theaters am Schiffbauerdamm übereinstimmten, man also irgendwie, irgendwo saß.
Eine erschien, die sich nicht vorstellte, die wohl meinte, man müsse sie
kennen, eine, die es häufig gibt und die durch schnippisches Auftreten eigene
Schwächen und Ängste zu übertünchen sucht, die sagte, normalerweise bedeute es nichts Gutes, wenn jemand vom Haus sich vor
den Vorhang stelle. Es gebe aber nichts zu befürchten, man spiele heute wirklich den Kauf der Hose in der
Originalbesetzung.
Aber Haußmann bereite im großen Haus 'Woyzeck' vor. Das werde eine "ganz, ganz
tolle Aufführung" und weil Haußmann noch etwas Zeit brauche, habe sich Peymann
entschlossen, auf die große Bühne zu verzichten, da er wolle, dass der 'Woyzeck'
"ganz toll wird" - so wörtlich die Dame. So sei man mit der Hose auf die
Probebühne umgezogen. Die Vorstellung wäre sonst nur zeitlich zu verlegen gewesen.
Man habe zur Kenntnis genommen, dass viele ziemlich sauer waren.
Heftiger Einwurf aus dem Publikum: "sind".
"Um Gottes Willen: 's i n d', was kann ich tun als ihnen einen schönen Abend zu
wünschen" äußerte die Dame, die hierauf - ohne eine Antwort
abzuwarten - vor ihrem Publikum ins Dunkle
floh.
Der 'Hosenkauf' von Thomas Bernhard ist ein Stück, dass von Peymann gehegt
wird, da er selber darin vorkommt und es ihm Gelegenheit bietet, sich als
Darsteller zu produzieren.
Andere Bernhard-Werke sind leider von den Bühnen weitgehend verschwunden. Allenfalls 'Der
Theatermacher' wird noch gelegentlich gegeben. Wo ist 'Minetti' oder 'Ritter, Dene, Voss'? Was ist mit 'Vor dem Ruhestand',
'Die Macht der Gewohnheit', wer spielt 'Kant' - das war eben noch am BE oder 'Einfach kompliziert'?
Hier hatte man das Glück, diesen Bernhard mit dem kürzlich verstorbenen Gert Voss
zu sehen.
Wer zeigte wann, wo seit Minetti/Heerdegen den 'Weltverbesserer'.
'Heldenplatz' ist abgesetzt, wobei
doch der immer noch - und jetzt verstärkt in das Bewusstsein der Menschen
zurückgeholt wird, als man die Dokumentarfilme zum Zweiten Weltkrieg hervorkramt
und das 'Heil'-Geschrei der Menschen in Wien am 15. März 1938 beim Auftritt
Hitlers auf dem Balkon der Hofburg zeigt - aktuell ist.
Wer aber kennt den Werdegang des BE-Direktors, seinen Weg von Stuttgart, über
Bochum an die 'Burg', kennt heute noch den Namen des damaligen
Bürgermeisters von Wien, wer weiß, dass und welche Rolle Waldheim in
Österreich spielte?
Wem ist bewusst, dass das Burgtheater heute noch - laut eigenem Prospekt - am Dr. Karl Lueger-Ring liegt? Viermal weigerte sich der Kaiser von Österreich diesen
ausgewiesenen Antisemiten zum Bürgermeister von Wien zu ernennen. An ihm
orientierte sich Hitler. Ist es doch richtig, wenn Bernhard im 'Heldenplatz' von
1988 über die nicht aufgearbeitete Vergangenheit in Österreich herzieht.
Auch der 'Hosenkauf'' beinhaltet Tiraden gegen die Österreicher, nur sind sie nicht
so ausgefeilt wie in 'Heldenplatz'.
Peymann hangelt sich als Peymann japsend, räuspernd, hüstelnd durch
das Stück, mit andauernden Versuchen, zu kaschieren, dass er seinen Text kaum kann, er hängt am aufgeschriebenen und permanent am in
der Hand - auf Zetteln notiertem - mitgeführten Wort.
An seiner Seite der unverwüstliche Hermann Beil.

Aushang am
Theater am Schiffbauerdamm
Peymann mit 'Spicker'
Als ein an der Mutterbrust in die Vorstellung mitgeschlepptes Kleinstkind anfängt, während der
Vorstellung, während Peymanns Suada über Österreich als Theater, zu quäken,
weicht er von allem Vorgegebenen ab, mahnt: "Schlaf weiter, Kleiner!"
Peymann schwadroniert mit erhobener Stimme, dass er als Theaterdirektor das Publikum sein Leben lang
an der Nase herumgeführt hat.
Das Kind wird vernehmlich lauter.
Peymann daraufhin entschuldigend: "Ich bin leiser jetzt!"
Das Kind setzt sich weiter zur Wehr.
Da ruft er der Mutter, die dem Ausgang zustrebt, zu: "Bleib da!"
Als das nichts nutzt, die Mutter den Raum endgültig zu verlassen droht, Peymanns
Flehen: "Wir haben auch ein Kinderabo!"
Der alte Striese bricht sich Bahn, das Publikum ist happy.
Im Jahr 1995 zeigte das Theater Regensburg 'Hermann kommt' von Rudolf Zollner -
eine Uraufführung.

Thema:
Ein Theater zeigt ein im Stück dargestelltes KZ, dessen Häftlinge den Auftritt
eines höheren SS-Bonzen vorbereiten.
Hier also die Verflechtung von Stück im Theater auf dem Theater.
Typische Probensituation, der Regisseur kennt das eigene Stück nicht genug, weiß im Moment nicht, wo er darin steht,
fordert auf 'bietet an', führt sich auf, schikaniert das Ensemble, das
wiederum im Stück als KZ-Häftlinge von der SS gequält wird.
Bereits bei den Proben kam es zu Auseinandersetzungen, es gab externe und
interne Kritik, obwohl der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Regensburg das
Stück akzeptiert hatte.
So wurde herumgebastelt, Text gestrichen, Szenen umgestellt, die Premiere
verschoben, die Regieassistenten opponierten gegen Darstellungen mit zu
eindeutigen vom Autor erdachten 'komödiantischen Zügen', ließen ihre Namen aus
dem Programmheft mit Genehmigung der Intendantin streichen - es kam zum Eklat.
Die beiden 'Nothelfer' - sie hatten das Stück nach den Diktaten des Autors
getippt, hatten die Vorstellungen mit eindrucksvollen Dokumenten an Schauwänden
für das Publikum aufbereitet, das trotz all' der begleitenden Aktionen die Sache
auf der Bühne mehr oder weniger ablehnte - gaben die Arbeit an diesem Theater
auf, der eine ging zunächst ins KBB nach Ulm und dann nach Augsburg. Heute ist er der Herausgeber von
'Kulturjournal Regensburg', der andere erhielt den Auftrag der Bayerischen
Staatsregierung, einen lokalen TV-Sender in eigener Regie zu betreiben.
Auf den Theatertagen in Hof wurde dem Autor und Regisseur Zollner vorgeworfen,
so könne man die Situation in einem KZ in Vermischung mit Theaterproben nicht darstellen, man würde dem Thema
Konzentrationslager und dem Leiden der Menschen so nicht gerecht.
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Zollner kannte wohl 'Die Kannibalen' von George Tabori, die 1968 in New
York herauskamen, wegen des respektlosen Umgangs mit dem Sujet von der Kritik
nicht akzeptiert wurden, dann aber in Berlin 1969 Erfolg hatten und Taboris
Durchbruch als Autor bewirkten, der sich 1987 mit 'Mein Kampf' bestätigte.
Nun kommt das BE mit der Tiedemann-Inszenierung der 'Kannibalen' auf der
Probebühne des Hauses und steht vor dem gleichen Dilemma, dass die am 7.
September 2014 in geringer Zahl zum Preis von 25 Euro pro Karte bei freier
Platzwahl Anwesenden sich irritiert zeigten, da auch sie mit dem Thema KZ in
der dargebotenen Form nichts oder zumindest wenig anfangen konnten.
Die Vorstellung:
Wohlbeleibte Darsteller bereiten in einem KZ einen Mithäftling, der
Brot an sich brachte, es heimlich verzehrte, bei der Wegnahme der Reste der
Beute durch Mithäftlinge zu Tode kommt, in einem Kübel gekocht als Mahlzeit zu. Alle gieren nach
Fleisch, malen sich aus, wie es wohl schmecken wird, feiern mit improvisierten
Musikeinlagen das kommende Festessen - und sind dabei doch zusammen vital
und 'gut durch den Winter gekommen'.
Man kann ein solches Stück glaubwürdig so nicht 'rüber' bringen.
Man vergebe Stückverträge (Geld ist ja wohl genug da) an Leute - es laufen genug halbverhungerte, von der ZAV nicht zu vermittelnde, damit nicht beschäftigte Schauspieler herum - die der Situation in einem KZ 'entsprechend' aussehen. Einzige, die annähernd vom Äußeren her passen, sind der Medizinstudent und der 'niedliche' Haas - die anderen sind kraftvolle Mannbilder
oder halt sogar 'Wamperte'.
Mit diesen Äußerlichkeiten, ohne Vorbereitung, ohne rechtzeitige Beschäftigung mit den Umständen des
Entstehens des Werkes und dem Leben Taboris, ohne genaue Kenntnis des Textes,
kann das Publikum nicht folgen und die Sache muss zwangsläufig 'in die Hose'
gehen.
Die vorgegebene, eben nicht adäquate Choreographie, wird abgeliefert, Zugang zum
Stück, dem bis dahin vorgeführten Herumgemache, findet man erst beim Auftritt von
Schrekinger.
Er/sie ist der späte Dreh- und Angelpunkt des ganzen Abends - spät, gerade noch
im letzten Moment, um zu retten. Sie interpretiert, ratscht nicht den Text
einfach herunter.
Und am nächsten Vormittag ist sie 'Sittah'. Auch da Gestaltung, mimisch,
gestisch Mitleben des Textes des Partners.
Sie ist nicht Einheitstyp, sondern verwandelt sich entsprechend der Rolle.
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Fazit:
Fehler sind eben auch beim BE möglich.
'Frühlingserwachen' kann man ebenfalls so nicht akzeptieren - die Ränzlein schaffen es nicht, dass sich 'Longini', weit nach Pubertät, in 'Buberln' mit
ihren Nöten zurückverwandeln.
Warten wir auf die Wiederaufnahme der CP- Produktion 'Kabale' nach dem 30. Oktober 2014 - über das, was man am 08. März 2013 sah, war die Freude gering.
So ließ man damals Bemerkungen sein. Sie werden bei nächster Gelegenheit nachgeholt.
Das DT hatte 'Kabale' auch auf dem Spielplan.
Es grauste einem, das anzusehen.
Stücken wird irgendetwas übergestülpt.
Steuergelder werden verschwendet.
Aber Frau Grütters meint ja, das ginge den Bund nichts an, Kultur sei Ländersache.
Mittlerweile nimmt sich die 'Alternative für Deutschland' der Sache Kultur in Deutschland und der Frage nach den Bildungsaufträgen, die von Theatern nicht erfüllt werden, an.
Konsequenz: Reduzierung der Budgets.
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Beim BE folgt man der alten
Rechtschreibordnung,
daher das 'ß' statt des Doppel-'ss' in
allen Veröffentlichungen.
Wir folgen unserer Rechtschreiblösung,
vor allem im Falle der
Interpunktion und finden es sinnvoll.
Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese
Besprechungen und Kommentare
nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch.
Dieter Hansing
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