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Thurn & Taxis Schlossfestspiele Regensburg

17. Juli 2016

 





 

 Galaabend
mit Jonas Kaufmann

Hofer Symphoniker
Leitung Jochen Rieder

     

 

'Der einzigartige, unnachahmliche ....'

Das Programmheft der städtischen Bühnen Regensburg, Spielzeit 1993 / 1994.
Intendantin Marietheres List.
Geboten wird die beliebte Operette 'Eine Nacht in Venedig' von Johann Strauß, und auf dem Besetzungszettel steht:
'Caramello', Leibbarbier des Herzogs:
Jonas Kaufmann.
 


Die Intendantin (ich kenne sie von meiner Zeit an der Bayerischen Staatsoper und aus Nizza) hatte einen guten Riecher, dieses junge Talent 1993 frisch von der Hochschule weg zu engagieren!
Heute ist für ihn, den Weltstar, der Schlosspark festlich für einen
Galaabend geschmückt, das Publikum - wohltuend gut gekleidet - steigt zu seinen Sitzen auf der gewaltigen Tribüne hinauf.

Die Hofer Symphoniker, gegründet 1945 sind mit ihren 120 Musikern eine feste Größe in der Orchesterlandschaft Deutschlands und durch ihre orchestereigene Musikschule eine frühmusikalische Talentschmiede.
Unter der Leitung von Jochen Rieder, einem Kapellmeister in bester Tradition, vielseitig, werkbezogen, schwungvoll und uneitel beginnt das Konzert mit Dmitri Schostakowitschs Festlicher Ouvertüre, opus 96, ein für den sonst so grüblerischen Komponisten untypisch schmissig und fröhliches Werk, in dem das Orchester seine Virtuosität zeigen kann und im Publikum schon den Enthusiasmus weckt.

Dann tritt er auf, leichtfüßig, schlank, sportlich, inzwischen 47-jährig beginnt sein Programm mit Puccinis's 'Ecco la casa' aus 'Le Villi', einem romantischen Gruselstück. Für diesen Brocken muss man gut eingesungen sein, und das ist er.

 

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Einem Aufwärmtraining ihrer Fußballmannschaft schauen Fans gebannt zu, das je nach Trainer unterschiedliche Übungen enthält.
Trotz aller medizinischen Erkenntnisse der Stimmfunktionen aus Atemmuskulatur, Stellknorpeln, Glottis und Resonanzräumen bleibt die Sängerstimme glücklicherweise ein Geheimnis.
Mit anatomischem Wissen kann ein guter Pädagoge Kantoren, Chorleiter und Musiklehrer zu einer lebenslang gesunden Stimme verhelfen, 'Sänger' sind sie aber deswegen nicht ungedingt.
Die naturgegebenen Schwingungen, so unterschiedlich wie Fingerabdrücke - sind es, die den 'Stimmbesitzer' vom 'Sänger' unterscheiden, aber das Wichtigste ist die Gabe, den Zuhörern etwas zu 'verkünden'.

Freude, Trauer, Begehren, Wut, Zärtlichkeit, Verzweiflung, alles, was die menschliche Psyche umtreibt, will uns ein wahrhafter Sänger aus innerem Antrieb vermitteln und das, seit Orpheus die Menschen und Tiere lauschen machte und die Furien bezwang.

Ein Herr Doktor Koch moniert in der MZ vom 19. Juli 2016, dass Jonas Kaufmann kürzlich in Baden-Baden absagen musste.
Dass ein 'Sänger', der etwas zu künden hat, trotz aller wohltrainierten Funktionen kein auf Knopfdruck funktionierendes Gerät ist, sollten wir respektvoll beachten.
Wie sehr Jonas Kaufmann gerade den Siegmund in einem delikaten Kammerspiel vermittelt, wie ihm die Rolle liegt, zeigt der DVD-Mitschnitt aus der Met. Dass er die Figur nicht angeschlagen präsentieren will, sollte bei Wortmeldungen berücksichtigt werden.
 

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Dass Jonas Kaufmann die schwere Arie der Roberto aus 'Le villi' aus Hochachtung vor Puccini, der seinem darstellerischen Temperament zur Zeit besonders liegt, an den Anfang des Programms stellte, zeugt von seiner musikhistorischen Verantwortung, den damals noch nicht arrivierten Komponisten vorzustellen.
Das 'Ecco la casa' beginnt mit einem dramatischen recitativo accompagnato, in dem der ungetreue Roberto von den 'Villi', den Geistern der Verlassenen, gehetzt wird.
Ein ähnliches Thema wie Rusalka und ihre Leidensgenossinnen und die bekannte Maske wie die 'Tote aus der Seine'.
Im nachfolgenden Arioso hat der Sänger Gelegenheit mit lyrischen Phrasen im 'voix mixte' die Herzen zu rühren, gefolgt von einem hochemotionalen Teil, der heldische Töne der Verzweiflung erfordert, um dann in einem melancholischen Nachspiel zu enden. Eine wunderbare, stimmlich anspruchsvolle Arie, die bereits das Genie Puccinis ahnen lässt. Bedeutende Tenöre mögen sie ins Repertoire aufnehmen mögen, damit man sie öfter zu hören bekommt.
In Regensburg erwarb sich Jonas Kaufmann den berechtigten ersten Jubel des Publikums.

Interessant ist für den Musikfreund eine Ballettmusik vom jungen Puccini zu hören, die die tänzerische Phantasie anregt und sicher dazu beitrug, dass Arrigo Boïto und seine Fachkollegen sich für das unüberhörbare Talent einsetzten, was dann zum Vertrag mit dem wichtigen Verlag Ricordi führte.

Die Arie des Cavaradossi 'E lucevan le stelle' - eine 'Glanznummer' für dramatische Tenöre - gestaltet Jonas Kaufmann zu einem Selbstgespräch. Versonnen rückblickend schildert er die Szene im Garten unter dem Sternenhimmel, die Zärtlichkeit im feinsten Pianissimo, dichte melodische Bögen bis zum heldischen Fortissimo in der Verzweiflung in der Angst vor dem Tod.
So oft man diese Arie auch hört, sie bewegt den, der Ohren und eine Seele hat, diese Feinstabstufung der Stimmfarben als Schilderung der Gefühle ist einmalig.

Das Vorspiel zum dritten Akt der Oper 'Edgar', ein Mann aus Flandern zwischen einem Bauernmädchen und einer Maurin hat einen merkwürdig russischen Melodienduktus, und man muss zugeben, etwas befremdet zu sein.

'Manon Lescaut' war die erste wirklich erfolgreiche Oper Puccinis und der Chévalier Des Grieux passt Jonas Kaufmann wie ein Maßanzug. Die Reise nach London, um sein Rollendebüt in 'Covent Garden' zu erleben. Zusammen mit Kristine Opolais verkörpern sie 'das Traumpaar' dieser Oper.
Die typische Neuenfels'sche Art der Inszenierung in München, die konsequent das Gegenteil von dem tut, was vorgegeben ist, konnte damals seine sängerische wie darstellerische Kunst nicht untergraben. Das 'Donna non vidi mai' schildert den 'coup de foudre', die Liebe auf den ersten Blick, die den Chevalier zum Spielball seiner Leidenschaft, zum Glücksspieler und schließlich zum Verbrecher macht. Um die Zusammenhänge zu verstehen, lohnt es sich die Novelle des Abbé Prévost zu lesen.
Wie Jonas Kaufmann die Arie singt, hört man die jugendliche Liebesbereitschaft, und welche junge Frau, die von der Familie zum Leben im Kloster verdammt ist, wird vor soviel Schmelz, dem Changieren zwischen hauchzartem Piano und ausbrechendem leidenschaftlichen Forte in der Schlussphase nicht schwach.

Das berühmte Intermezzo, das Scharnier der gegenüber dem Original der Novelle fehlenden Szenen, schildert mit intensiven Orchesterfarben die Seelenlage des Chévalier Des Grieux - und den Hofer Symphonikern gelang es, alle Schattierungen der Klänge zu zaubern.

Den brutalen Kapitän eines Schiffes, das Verbrecherinnen in die Verbannung bringen wird, zu überreden, ihn als unerlaubten Passagier mitzunehmen, erfordert schon heftigste Versuche der Überredung. Mit düster tiefen Streichern beginnt die verzweifelte Bitte des Des Grieux, bei seiner Geliebten bleiben zu dürfen. Außer sich vor Schmerz und Angst vor dem Verlust steigert sich die Expressivität bis zu einem Schrei, der die Hörer ins Mark trifft und dem Kapitän die Zustimmung abzwingt. Diese extremen Ausbrüche nie außer Kontrolle der Kunst des Belcanto geraten zu lassen, beherrscht Jonas Kaufmann einzigartig, unnachahmlich.
 

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In der Pause klettern die meisten Zuhörer von der Tribüne herunter, ein Schauspiel von mehr oder weniger Geschicklichkeit genau wie der nach der festlichen Fanfare erfolgende Aufstieg. Inzwischen ist es dunkel geworden, der Mond schaut über dem Schloss zwischen schwarz-drohenden Wolken hervor.

Das Orchester intoniert die Ouvertüre zu 'Das Land des Lächelns'. Die melodischen Einfälle von Franz Lehár stehen Puccini nicht nach und junge Sänger sollten sich daran üben.
Dass er das getan hat, hört man bei Jonas Kaufmann, der sicher in Anfängerjahren mit den Schmankerln der sogenannte leichten Muse, die viel guten Geschmack erfordern, sein Gehalt aufbesserte.
Und so verschönt er als Paganini - jetzt in blauem Anzug -  so viel erotische Erfahrung in 'Gern hab' ich die Fraun geküsst', verpackt in samtweiche Kopfregistertöne und zum Schluss in ein unendliches Crescendo.

Richard Tauber, diese Urbild des Tenors der dreißiger Jahre, ihm gelang mit 'Du bist die Welt für mich' ein 'Ohrwurm', den Jonas Kaufmann in so vielen Stimmfarben attraktiv glänzen lässt, dass eine Zuhörerin laut und vernehmlich vor Begeisterung juchzte.

Der Marsch der 'Frühlingsparade' von Robert Stolz entführt uns in die Zeit des flotten Uniformen, für die die Mädchen früher 'Fenster und die Türen' öffneten.

Nach dem schwungvollen Orchesterwalzer aus Lehars 'Graf von Luxemburg' lockt uns der Sänger in das 'blaue Himmelbett' aus der ziemlich vergessenen Operette 'Frasquita'.
Nach all' den Heldentönen aus den großem Tragödien 'Tosca' und 'Manon' derart unverschämt ins Mikrophon zu gurren und zu schnurren zeigt wie sehr er sein Instrument Stimme beherrscht und dass es gesund ist. Das Publikum schmunzelt glücklich.
Ungleich knalliger ist das durch die extrem helle Stimme von Joseph Schmidt im Film berühmt gewordene 'Ein Lied geht um die Welt', und sehr verdienstvoll hat sich Jonas Kaufmann in seinen Recherchen über die vom Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Texter und Komponisten verdient gemacht.
Das Publikum schreit vor Begeisterung als habe ein Ball sein Ziel im Tor erreicht.

Vom selben Meister stammt die Tonfilmmelodie 'Im Traum hast Du mir alles erlaubt'. Die Zwischenspiele verswingt der Sänger mit einem Tänzchen und krönt den Schluss mit einem astreinen Ton im hohen Falsett.
Die Filmmelodie aus 'Lied einer Nacht' von Mischa Spoliansky schließt den offiziellen teil des Programms ab, und nach dem letzten Heldenton ist das Publikum nicht mehr zu halten, klatscht, pfeift wie auf dem Fußballplatz, schreit und erzwingt Zugaben.

'Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück' - die flotten Zwischenspiele fahren in die Beine und das Schlusscrescendo erzeugt Freudenschreie im Publikum.
Die von den herbeigeeilten Odeon-Konzert-Damen überreichten Blumensträuße werden auf das Dirigentenpult drapiert, das Publikum gibt keine Ruhe, die schwarzen Wolken hat er weggesungen, die nächste Zugabe ist 'Es muss was Wunderbares sein' - zärtlich gehaucht.
Endloser Applaus fordert mehr, noch mehr, noch mehr. Also singt er 'Dein ist mein ganzes Herz' mit unermüdlichen, glücklich machenden Strahltönen.

Das Volk klatscht und jubelt weiter, kurze Besprechung mit dem Dirigenten, also noch etwas für den Nachhauseweg: 'Frag nicht warum ich gehe' in bester Chancon-Manier '... morgen spielt hier wer andrer' - es ist auch Sarah Connor.

Das Publikum ist unersättlich, aber einmal muss auch ein Held die Arbeit beenden. Umarmung für den Dirigenten, Kusshände für das vorzügliche Orchester, Dank an die Konzertdirektion Söll für diesen unvergesslichen Genuss, Dank an die Fürstin für die wunderbare Umgebung, Dank an den Himmelspförtner, der den Regen bei sich behielt und Dank an Jonas Kaufmann, den Orpheus unserer Tage.

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.