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Theater Bremen

Richard Wagner
'Rienzi'
Repertoirevorstellung 18.10.2008

'Aweng albern'
 

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Unter dem Eindruck des Skandals an der Leipziger Oper anlässlich der Premiere 'Der fliegende Holländer' am 10. Oktober 2008 waren Musikfreunde zur 3. Vorstellung von weither angereist, um Richard Wagners 'Jugendsünde' - 'Rienzi', seinen 'Schreihals' zu erleben.
Bewundernswert diszipliniert ertrugen sie eine Vorstellung, die von 19 bis 23 Uhr dauerte und - die nach nuancenreich vorgetragener Ouvertüre, die alles hörenswerte schon enthält - szenisch größtenteils langweiligen Unfug zeigte.
Solidarisch mit ihrem Theater und ihren Künstlern äußerten sich Bremer sich dezent mit Kopfschütteln, Kichern und viel Gähnen.

Das Publikum des 19. Jahrhunderts, eingezwängt in deutsche Kleinstaaten und die restaurative, bürgerliche Moral de Biedermeier, sehnte sich nach heroischen Vorbildern und als Richard Wagner seinen 'Rienzi' in Dresden präsentierte, begeisterte man sich 'für den letzten der Tribunen'.


Richard Wagner 'Mein Leben'
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Der wichtigste künstlerische Eindruck, den ich außerdem dort erhielt, kam mir aus einer Aufführung des »Ferdinand Cortez« unter Spontinis eigner Leitung: der Geist derselben überraschte mich auf fast ungekannte Weise. Ließ mich auch die eigentliche Darstellung, namentlich in betreff der Hauptpersonen, die sämtlich nicht mehr der Blüte der Berliner Oper angehörten, kalt, und kam es auch nie zu einer Wirkung, die sich nur annähernd derjenigen, welche die Schröder-Devrient auf mich gemacht hatte, vergleichen konnte, so war mir doch das außerordentlich präzise, feurige und reichorganisierte Ensemble des Ganzen durchaus neu. Ich gewann eine neue Ansicht von der eigentümlichen Würde großer theatralischer Vorstellungen, welche in allen ihren Teilen durch scharfe Rhythmik zu einem eigentümlichen, unvergleichlichen Kunstgenre sich steigern konnten. Dieser sehr deutliche Eindruck lebte drastisch in mir fort und hat mich bei der Konzeption meines »Rienzi« namentlich geleitet, so daß in künstlerischer Beziehung Berlin seine Spuren in meinen Entwicklungsgang eingrub.
Für jetzt galt es jedoch, meiner äußerst hilflos gewordenen Lage aufzuhelfen.

 

Richard Wagner war nach Dresden geeilt, wo er seine Frau Minna, die ihn am 31.5.37 aus Königberg, wo Richard Wagner seit dem 1.4.1837 eine Stelle als Musikdirektor einnahm, mit dem Kaufmann Dietrich verlassen hatte.
Er traf sie dort bei ihren Eltern wohnend an - das Ehepaar tat sich wieder zusammen - in Blasewitz verbrachte man gemeinsam die Zeit.
Während dieser Zeit las Wagner hier den 1835 erschienenen Roman von Edward George Earl Bulwer-Lytton 'Rienzi, or, The last of the Tribunes'


Richard Wagner 'Mein Leben'
Seite 152

Während meine jugendliche Ehe als eine zwar verzeihliche, doch zu berichtigende Verirrung in durchaus unverletzender Weise mir zum Bewußtsein gebracht wurde, gewann mein Geist auch wieder genügende Spannkraft zu künstlerischen Entwürfen, welche diesmal nicht auf leichtfertige Zweckmäßigkeit für die mir bekannt gewordenen Theaterverhältnisse berechnet waren. Während der kümmerlichen Tage meines letzten Zusammenseins mit Minna in Blasewitz hatte ich den Bulwerschen Roman von Cola Rienzi gelesen; während ich nun im tröstlichen Umgang mit meiner Familie mich erholte, arbeitete ich den Plan zu einer großen Oper aus, zu welchem mich jenes Sujet begeisternd angeregt hatte.
 

Eine gewisse Ungereimtheit ergibt ich aus der Tatsache, dass diese Literaturvorlage in Deutschland erst 1841 erschienen sein soll, also kaum schon 1837 von Wagner gelesen werden konnte.  Unklar also, welche Fassung er sich vornahm.
1840 schloss er die Komposition ab und 1841 nahm die Dresdener Oper das Werk auf Betreiben Meyerbeers an. Die Uraufführung fand am 20. Oktober 1842 statt und gestaltete sich zu einem großen Erfolg für das Haus und für Wagner selber, der damit nicht gerechnet hatte.


1842


Ich befand mich mit Minna, meiner Schwester Klara und der Familie Heine in einer Parterreloge, und wenn ich mir meinen Zustand während dieses Abends zurückrufen will, kann ich mir ihn nicht anders als mit allen Eigenschaften eines Traumes behaftet vergegenwärtigen. Eigentliche Freude oder Ergriffenheit empfand ich gar nicht; meinem Werke fühlte ich mich ganz fremd gegenüber; wogegen die dichtgefüllten Zuschauerräume mich wahrhaft ängstigten, so daß ich nicht einen Blick auf die Masse des Publikums zu werfen vermochte und die Nähe desselben nur wie ein elementarisches Ereignis - ungefähr wie einen anhaltenden Gewitterregen - empfand, gegen welches ich mich im verborgensten Winkel meiner Loge wie unter einem Wetterdach schützte.
Den Applaus bemerkte ich nie; und als nach den Aktschlüssen auch ich stürmisch hervorgerufen wurde, mußte ich jedesmal von Freund Heine erst gewaltsam darauf aufmerksam gemacht und auf die Bühne gedrängt werden. Dagegen beschäftigte mich eine Hauptsorge mit wachsender Angst:
ich bemerkte nämlich, daß bereits nach dem zweiten Akte es so spät geworden war, wie wenn z. B. der ganze »Freischütz« aufgeführt wird; da nun der dritte Akt wegen der vorkommenden kriegerischen Tumulte sich besonders betäubend anließ und am Schlusse dieses Aktes es unleugbar 10 Uhr geworden war, somit die Aufführung bereits vier volle Stunden gedauert hatte, verfiel ich nun in eine vollständige Verzweiflung; daß ich auch nach diesem Akte nochmals lebhaft hervorgerufen worden war, hielt ich für eine letzte Artigkeit des Publikums, welches hiermit ganz sicher für diesen Abend genug zu haben erklären und nun massenweise das Theater verlassen würde. Da wir nun noch zwei Akte vor uns hatten, nahm ich für bestimmt an, wir würden nicht zu Ende spielen können, und erklärte meine Zerknirschung darüber, im Betreff gewünschter Kürzungen zur rechten Zeit nicht mehr Einsicht gezeigt zu haben, wofür ich mich nun dem unerhörten Fall ausgesetzt sähe, eine Oper, die an und für sich außerordentlich gefalle, nicht zu Ende bringen zu können, bloß aus dem Grund, weil sie von lächerlicher Länge wäre. Daß die Sänger guten Mutes blieben und namentlich Tichatschek, je länger es dauerte, desto rüstiger und wohlgemuter sich fühlte, erklärte ich für gutmütiges Gaukelspiel, mit welchem man mich über den unabwendbaren Skandal täuschen wollte. Mein Staunen, selbst im letzten Akte - gegen Mitternacht - immer noch das Publikum vollzählig anzutreffen., führte zu meiner vollständigen Perplexität; ich glaubte meinen Ohren und Augen nicht mehr und hielt den ganzen Vorgang dieses Abend für einen Spuk. Mitternacht war vorüber, als ich endliche zum letzten Male dem donnernden Rufe des Publikum an der Seite meiner getreuen Sänger zu folgen hatte.-
 

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Hans-Joachim Frey, der rührige Bremer Generalintendant - aufgewachsen in Hannover, Mitglied des Knabenchors Hannover, Studium Orgel mit Abschluss C-Prüfung, Studium Musiktheaterregie in Hamburg, Betriebsdirektor in Bremen und an der Semperoper - hatte der überregionalen Aufmerksamkeit gewiss, wie ein cleverer Zirkusdirektor nach außen hin, eine Sensation parat: die Blonde, mit der gestylten Löwenmähne, Katharina Wagner, deren geschickt gestyltes Portrait die Werbung ziert.

Mit ihr, der neuen 'Herrin von Bayreuth' als Regisseurin und Mark Duffin, einem Heldentenor aus dem eigenen Ensemble, dazu zwei respektable Damen: Patricia Andress und Tamara Klavidenko für 'Irene' und 'Adriano', dazu den Dirigenten Chritoph Ulrich Meier, der aus den unterschiedlichen Fassungen des Werkes eine spielbare erstellte, konnte das Unternehmen gewagt werden.

Die Erwartungen wurden hochgeschraubt - was macht die Urenkelin, etwa im gleichen Alter wie der Dichterkomponist beim Entstehen des Werkes, daraus heute für die Bühne.

Wir haben doch nationalsozialistischen Heldenkult bis zum Untergang erlebt, danach sowjetische und DDR-Militäraufmärschen und kürzlich bei den olympischen Massen von dressierten Jubel-Chinesen erlebt.

Und was macht sie nun?

Sie parodiert; keine schlechte Idee - aber das will gekonnt seín!

Den Beweis hierfür lieferte Peter Konwitschny: Mit seinem Hamburger 'Lohengrin im Klassenzimmer' - ein einmaliges Ereignis, da keine Nachahmung verträgt.

Christime Mielitz inszenierte den 'Rienzi' in Mannheim und an der Komischen Oper in Berlin, sie nahm da Stück ernst und formte es durch packende Aktionen so spannend, dass man die zahlreichen Peinlichkeiten der Musik nicht bemerkte.

In Bremen aber stolperte eine lustlos oder gar nicht vorbereitete Inszenierung von einer blamablen Situation in die andere ("... viele Ideen, immer wieder neue Einfälle ..." - O-Ton Kommentar Radio Bremen-TV) und es ist anzunehmen, dass die Darsteller, um die Proben heil zu überstehen, ihre Späße machten, die dann im Regiebuch ('das halten wir so fest, das machen wir so') eingeschrieben wurden.

Dass alle im Ensemble - nolens volens - mitspielten, ist verständlich, denkt sich doch jeder, vielleicht klappt es ja mal mit Bayreuth, wenn ich hier auf Katharina einen guten Eindruck mache.

Zwei endlos lange Umbaupausen störten erheblich, ohne sichtbare Veränderungen auf der Bühne - außer Kostümen für den Chor - zu zeigen und nur grobe Äußerlichkeiten sollten die Personen und Situationen charakterisieren:

- der Adel trägt Allonge-Perücken,

- 'Rienzi' verwandelt sich vom intellektuellen Glatzkopf in einen langhaarigen, zappeligen 'Guildo Horn' und hüpft im Takt in den Aktschluss und fallenden Vorhang hinein;

- die Kirchenfürsten tapsen, ein Bein oben, ein Bein unten die Stufen entlang;

- ein tuntiger  Friseur darf in dieser Witzigkeit ("kennt keine Grenzen" so Hape Kerkeling) nicht fehlen;

- 'Roma, die Ewige', die 'Rienzi' zu retten versucht, mutiert von ihrer Statue, erst geköpft, dann beschmiert, zu einer Comic-Figur mit gespreizten Beinen und am Schluss in den erhängten 'Rienzi' selbst.

Die vorzüglich studierten, prächtig singenden und spielfreudig agierenden Chöre, Leitung Taro Vaaks, standen viel zu oft 'en bloc' herum, hoben den Arm und streckten den Zeigefinger wie Kinder in der Schule: ''Herr Lehrer ich weiß was und möchte dran kommen!' Dass hier ein von 1933 bis 1945 übliche Armbewegung vorgeführt werden sollte, merkte auch der weniger Bedarfte.
Besonders hübsch, wenn die Chormitglieder seltsam verkleidet und als Grottenolme maskiert über die von Tilo Steffens gestaltete nahezu bühnenhoch und bühnenbreit 'gestaltete' Treppe schlichen.

Eine der wenigen guten Ideen, die in Erinnerung bleiben, ist die Chor-Szene, in der die Frauen das die Treppe hinunterlaufende Blut mit ihrer Kleidung aufwischen - so ist es ja leider nach allen Kriegen.
 


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Eine Armee und ihren Anführer mit Laubsaugern zu bewaffnen, war das Knalligste und das Hantieren mit diesem Ungetüm brachte dem agilen Rienzi-Tenor Mark Duffin immerhin ein herzliches 'Bravo' aus dem Publikum in eine Tacet-Stelle des Orchesters.

Furore könnte Herr Duffin damit in jeder Comedy-Sendung des Fernsehen machen.
Jetzt aber bewunderte man seinen Galgenhumor, seine Sportlichkeit und wenn man die Augen schloss, seine herrlich strahlende unermüdliche Stimme, die untadelig in allen Lagen die Nuancen der Gefühle ausdrückte.

Ihm zur Seite Patricia Andres als 'Irene', einen elegante Person, von der Regie zum Herumstehen im Stich gelassen, erfreute mit bestens fokussiertem Glanz und leuchtete über dass Orchester und die Ensembles.
Dem Hause Gratulation zu diesen beiden Sängerpersönlichkeiten.

'Adriano', der Knabe in den größten Konflikten zwischen Liebe, Sohnespflicht und politischem Engagement mit kräftigem, aber wie es die osteuropäische Stimmerziehung der Sängerin Tamara Klivadenko wohl beigebracht hat, auch hartem, kehligem Mezzo, musste als ungünstig gekleidetes Bübchen herumlaufen. Sie hätte mehr Sorgfalt verdient gehabt.

Nach diesen drei Protagonisten klaffte gesanglich eine Qualitätslücke.
Es wurde geknödelt, gemulmt, geplärrt - warum nur?

Es gibt genügend schöne Stimmen auf dem Markt und ein Intendant, der seine Erziehung im Hannoverschen Knabenchor und in der Kirchenmusik an der Hochschule erhielt, sollte sie doch wohl zu hören und zu finden wissen.
 

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Dass mit dieser Produktion das Bremer Theater an seine - auch finanziellen - Möglichkeiten gelangt, wenn nicht gar überschreitet, ist nicht von der Hand zu weisen.

Schamvoll verbrämte der Bremer Generalintendant im Gespräch während der TV-Sendung 'Buten un Binnen' vom 16. Oktober 2008 die wahren Beträge.

Das Bühnenbild gefiel der Dame aus Oberfranken nicht, musste geändert, die Kostüme in Mengen (so etwas bringt Werkstätten zur Verzweiflung) umgenäht werden - alles unnötige Kosten, die hätten vermieden vermieden werden können, hätte sie im Detail rechtzeitig gewusst, was sie will.

Es steht zu bezweifeln, dass dieser Bremer 'Rienzi' an der Theaterkasse Furore machen wird, denn bereits bei der dritten Vorstellung am 18.10.2008 waren mindestens 200 Plätze der ca. 800 nicht besetzt.

Dem äußerst geschmackvoll renovierten Bremer Theater wünschen die Musikfreunde in Erinnerung an viele unvergessliche Vorstellungen mit großen Dirigenten und bahnbrechenden Regisseuren eine glückliche Hand, die aber zurückschrecken sollte vor befristeten Sensationen des so genannten Regietheaters.

Wie rief der große Bremer Intendant, Kurt Hübner, einem Regisseur einmal zu:
"Sie wagen es, mir in meinem Hause eine solche Scheiße anzubieten."

Und eine Dame im Publikum meinte am 18. Oktober 2008 knapp und treffend:
"Talent vererbt sich nicht automatisch!"
 
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.

Dieter Hansing