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04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Regensburg

Thema des Tages

Einführung 'Amadeus'

 

 

   15.01.2006

"Womöglich doch nur Klatsch und Tratsch"

Referenten:
Dramaturg Rolf Ronzier
Regisseur Georg Mittendrein,
Bühnenbildner Bernhard Kilchmann
Dirigent Georgios Vranos
Schauspieler Michael Heuberger
Schauspieler Valentin Stroh
.
Ein Regisseur, der die Welt gesehen hat - zumindest die im Osten der Deutschen Republik - Georg Mittendrein.
War u.a.
Intendant des Landestheaters Altenburg,
Intendant der Vereinigten Bühnen Bozen,
Intendant des Theaters Plauen-Zwickau,
fester Regisseur am Opernhaus Halle und nun Intendant der 'Clingenburg Festspiele' in Klingenberg am Bayerischen Untermain.
Gearbeitet hat er in acht Ländern auf zwei Kontinenten - in elf der 16 Bundesländer, in fünf der östlichen Bundesländer hat er in vier inszeniert, in drei war er Intendant.
Georg Mittendrein findet, es klänge schrecklich, diese Aneinanderreihung seiner 'künstlerischen Leidensstationen'.
Er schied aus Wien im Unfrieden - findet es erstaunlich, welchen künstlerischen Ruf die Stadt hat, er selber habe anderes erlebt, wie eben in Österreich und vornehmlich in Wien mit Künstlern umgegangen wird.
Im Rahmen einer Politiker-Endversorgung habe man jetzt einen ehemaligen Stadtrat nun als Intendanten für das Mozart-Jahr eingesetzt.
Ihm selber sei es widerfahren, dass eine Stadträtin ihm - damals war er 36 / 38 Jahre alt - mitteilte: "Herr Mittendrein, Sie haben den Plafond erreicht."
Nun ist er in Regensburg und führt Regie bei 'Amadeus'.

In Shaffers 'Amadeus' werden mehrere Zeitebenen berührt, 1781 bis 1791 und dann 1823 - Jahre nach dem Tod Mozarts und zwei Jahre vor dem Ableben Salieris.
Die Selbstbezichtigung Salieris, er habe Mozart zu Tode gebracht, kann wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden, auch wenn immer wieder behauptet werde, es gäbe sogar ein schriftliches Geständnis Salieris, das im Vatikan verwahrt werde.

Mit dem Papst aus Pentling müsste es doch ein leichtes sein, diesen Aktenvermerk der Regensburger Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als Mörder käme auch Franz Xaver Süßmayr, der Schüler Mozarts in Frage, der angeblich ein Verhältnis mit Frau Constanze hatte oder Franz Hofdemel, dessen Frau Schülerin und evtl. auch Geliebte Mozarts war. Immerhin ging Hofdemel am Tag nach Mozarts Tod mit einem Rasiermesser auf seine Frau los, beging dann aber Selbstmord.
Verdächtigt wurden auch die Freimaurer, weil Mozart deren Riten in der 'Zauberflöte' offenbarte.

Die Weiterverbreitung des Mord-Gerüchts war und ist nach Meinung von Herrn Mittendrein in Wien besonders gut möglich. Klatsch und Tratsch ausufere im Österreich und Wien außerordentlich gut. Fast kann der Eindruck entstehen, er, Mittendrein litte genauso wie Thomas Bernhard unter Österreich.

Intrigenwirtschaft in Wien mit dem Gift, das aus derartigen Verhaltensweisen resultiert, führt zum Miss-Verhältnis Salieri / Mozart in Peter Shaffers Werk.
Salieri sei aufgrund seiner Art zu leben, sich zu geben und seiner künstlerischen Leistung der Favorit des Hofes gewesen und so in gut dotierte Stellung wie die des Hofkapellmeisters aufgestiegen, während Mozart sich das Publikum erst erobern musste.

Mozart sei es erst bei Glucks Tod gelungen, eine feste Position als Kammermusikus zu erlangen, wenn auch nicht mit der Bezahlung wie sie Gluck für sich in Anspruch nehmen konnte.
Dass 'Figaros Hochzeit' beim Publikum und bei Kaiser Joseph II nicht gut an kam, wurde Salieri - vor allem von Mozarts Vater - angelastet. Verständlich, wenn in der Zeit von 1781 bis 1791 in Wien 163 Opern Salieris und nur 63 Opern Mozarts zur Aufführung gekommen sein sollen.

Dass Salieri nicht gerade 'happy' gewesen ist, einem 'Kind' Genialität zu attestieren, die sein eigenes umfassendes Gesamtwerk in den Schatten stellte, ist nur mehr als verständlich.
Gesichert ist nicht, dass es offene Rivalitäten zwischen Salieri und Mozart gegeben habe, immerhin unterrichtete Salieri Mozarts Sohn.

Peter Shaffer lehne sich nach Dramaturg Rolf Ronzier mehr an bekannte Gegebenheiten an, als dass er frei dichte. So fühlt sich Salieri von Gott verraten, dem er sein Leben widmete und von dem er Erfolg erwartete. Success wurde ihm als Handwerker gegeben, allerdings gab Gott Mozart Unsterblichkeit durch das Talent. Salieri werde als Gotteslästerer und Intrigant gezeigt, wobei ersteres sicher nicht der Wahrheit entspreche.
Die Geschichte stimme zwar nicht, aber sie sei gut erfunden.

Laut Dramaturg Rolf Ronzier habe Shaffer einen Hang zur analytischen Enthüllung, für die Aufdeckung von Hintergründen, wofür er die Form der Beichte benutzt, die er auch für Salieri verwendet.
Er verflechte die Gerüchte mit den Tatsachen und verbinde sie zu einer eigenen Geschichte, einer Begegnung von Mittelmaß und Genialität, eine Schilderung historischer Gegebenheiten und auch ein Kriminalstück. Nicht zuletzt ist es Unterhaltungstheater, das in seiner Sinnlichkeit zur Musik Mozarts führt - es ermöglicht, Mozarts Kompositionen zu begreifen.
Eine eindeutige Gattungsbezeichnung für 'Amadeus' zu formulieren, ob Tragödie oder Komödie, sei schwierig, allenfalls könne man es nach Regisseur Mittendrein feststellen, das Stück habe Bildungswert und im weiteren Sinne einen unterhaltenden Wert mit zwei Sterbeszenen.

Um die Wiener Gerüchteküche darzustellen, greift man im Regensburger Stadttheater auf Damen des Ensembles zurück, die 'Venticelli' zu verkörpern. Damen, weil Herren aus dem Ensemble nicht zur Verfügung stehen. Dem Regisseur genügten die beiden Damen nicht, so verlangte er eine dritte Dame (Analogie zur 'Zauberflöte'?). Um nun nicht Klatsch und Tratsch im Stück ganz in die Hände von Damen zu legen, erhält er Statisten zugewiesen - von diesen sechs sind wenigstens drei mit Männerstimmen.

Karikaturen, die Hofschranzen von Strack, Graf Orsini-Rosenberg, Baron van Swieten sind nur dramaturgische Stichwortgeber, um die jeweilige Situation für die Protagonisten herzustellen. Ähnlich sei dies in Büchners Woyzeck zu beobachten. Dort sei der Andres die Mittlerfigur.
Gerade diese Aufgabe, das Stück durch die Rolle und die eigene Einbringung in dieselbe, sei darstellerisch oft nur schwer zu erfüllen.

Der Bühnenbildner gibt Auskunft über die Szenerie. Da der Schnürboden im Velodrom nicht über ausreichende Höhe verfügt, werden für die schnellen Szenenwechsel Dekoteile in sich gerafft nach oben gezogen. Bauten werden in sich gedreht und zeigen mal dies mal jenes.

Die Kostüme - im Stil der Zeit des Stückes - sind zwar noch nicht alle zur Verfügung, aber zur Premiere am 20. sei ja noch fünf Tage Zeit.
"Das wird schon" - war in solchen Fällen die Meinung des früheren Oberspielleiters Schauspiel Rudolf Zollner.

Salieri oder Mozart - zwei prallen mit Positionen und Talent aufeinander. Mozart noch unverstanden von der Welt, Salieri etabliert im Rahmen seiner handwerklichen Möglichkeiten.
Er - wissend der Schwächere zu sein - lässt Mozart, der an seinem Image kratzt, nicht zu.
Wie auch Intendanten glauben, die Position schütze sie. Ein Kurt Hübner dagegen ließ Zadek, ließ Minks, ließ Stein an seinem Bremer Theater zu.

Regisseur Mittendrein meinte, Regensburg verfüge über ein gutes Theater, alles funktioniere bestens.

Hat der 'ne Ahnung. Nach sechs Wochen das so beurteilen zu wollen.

Aber der Herr Regisseur will wohl wiederkommen dürfen.

 

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Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
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Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing