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04.01.2010 - dradio.de

 

  
Damals in Regensburg

        6. Januar 2009

   
      Bemerkungen eines Vollzahlers zur szenischen Umsetzung

   Theater Regensburg

  
 
     Repertoirevorstellung 6.1.2009

     'Selbst das Geld geht in Verwesung über'


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Announcement Theater Regensburg

Wozzeck

Oper in drei Akten (fünfzehn Szenen)

Dichtung von Georg Büchner
Musik von Alban Berg (1885-1935)

Musikalische Leitung: Raoul Grüneis
Inszenierung: Olaf Schmidt

Bühne und Kostüme: Karin Fritz

                       
Fotos: Theater Regensburg


 

„Es sei ihm nicht im Schlaf eingefallen, mit der Komposition des ‚Wozzeck‘ die Kunstform der Oper reformieren zu wollen“, sagte Alban Berg. Rückblickend hat er sogar viel mehr getan. Er stieß weit vor in musikalisches Neuland, weit hinaus über die Grenzen der Zwölftonmusik der Neuen Wiener Schule und verhalf ihr auf diese Weise zum Durchbruch. Er hat die Musik verändert, hat der neuen Musik seiner Zeit ihr sichtbarstes und bewegendstes Zeichen gesetzt. Berg schuf aus den 23 Szenen, die ihm vorlagen, eine Oper von drei geschlossenen Akten zu je fünf Bildern. Diesem äußeren Formbewusstsein entspricht auch die musikalische Architektur, die auf der Anwendung alter Formen wie Fuge, Suite- und Sonatensätzen und Passacaglia beruht.

Die Tragödie von „Woyzeck“ verfasste Georg Büchner nach den gerichtsmedizinischen Gutachten des Arztes Johann Clarus über die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Woyzeck. Büchner, der selbst auch studierter Mediziner war, war von den Fragen, die dieser Fall aufwarf, so fasziniert, dass er sie in seinem Schauspiel verarbeitete: Was ist der Mensch? Nur Leib? Was an ihm ist unsterblich? Büchner erzählt die Geschichte des einfachen Soldaten Woyzeck, der von seinem Vorgesetzten entwürdigt und vom Doktor als Versuchsobjekt für menschenverachtende Experimente missbraucht wird. Seine Wahnvorstellungen nehmen, verstärkt durch die sexuelle Untreue seiner Marie, immer verstörendere Formen an, bis er schließlich Marie im Wahn tötet. Von dem Augenblick an, in dem die Szenen immer stummer werden, die Worte kaum mehr zum Gespräch führen, hier, wo die Sprache nichts mehr trägt als die Einsamkeit der Figuren, hier zeigt sich in der Oper „Wozzeck“ Alban Bergs geniale Entsprechung zum Dichter Büchner vollkommen.

 

Besetzung      
Wozzeck Martin-Jan Nijhof    
Tambourmajor Markus Ahme    
Andres Michael Berner    
Hauptmann Jung-Hwan Choi    
Doktor Sung-Heon Ha    
1. Handwerksbursch Adam Kruzel    
2. Handwerksbursch Seymur Karimov    
Narr NN    
Marie Maida Hundeling    
Margret Anna Peshes    
Mariens Knabe NN    
Ein Soldat NN    
Ballettensemble      


Übernommen am 21.7.2008 von

 

Besetzung      
Wozzeck Martin-Jan Nijhof    
Tambourmajor Markus Ahme    
Andres Jung-Hwan Choi    
Hauptmann Michael Berner    
Doktor Sung-Heon Ha    
1. Handwerksbursch Seymur Karimov    
2. Handwerksbursch Adam Kruzel    
Narr Christian Schossig    
Marie Maida Hundeling    
Margret Anna Peshes    
Mariens Knabe Ayumi Noblet    
Ein Soldat Jong-Il Park    
Ballettensemble  

Übernommen am 2.1.2009
 

 


 

 

Zu den wichtigsten Vertretern der politischen Dichtung zeigte sich das 'Junge Deutschland' in der Zeit von 1830 bis 1850 innerhalb des Biedermeier von 1820 bis 1850 mit Georg Büchner, Ferdinand Freilichgrath, Christian Dietrich Grabbe, Heinrich Heine, Georg Herwegh und Heinrich Laube.
Die Ableben von Goethe 1832, Hegels 1831 und Schleiermachers 1834 zeigten auch nach Außen das Ende des klassischen-romantischen Zeitalters. Die nachfolgende Epoche, das ‘Biedermeier’ war durch die Veröffentlichung von Eichrodts Gedichten unter dem Titel ‘Biedermeiers Liederlust’ 1865 zunächst als Parodie entstanden, verfestigte sich aber und wurde zum Kennzeichen einer Epoche, die in der Veröffentlichung von Max von Boehm ‘Biedermeier, Deutschland von 1815 bis 1847’ beschrieben wurde.

War in der Klassik der Hof der Mittelpunkt kulturellen Lebens, so war es in der Romatik der Adel, dann aber im Biedermeier das Bürgertum. Adlige wie Nikolaus Lenau - eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau - oder Friedrich Halm - eigentlich Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen und Anastasius Grün - eigentlich Anton Alexander Graf Auersberg - nahmen die Erwähnten bürgerliche Namen an, um eine Verbindung aus dem Adelsstand zum Bürgertum zu dokumentieren.

Ausgeschlossen von der Teilnahme am politischen Wirken, müde der Kriege, enttäuscht von den politischen Entwicklungen im Rahmen der Restauration, damit Ferngehalten vom politischen Wirken, zogen sich die Bürger in der Biedermeier-Zeit auf eine schlichte, genügsame Lebensweise und Kultur ins Privatleben zurück, akzeptierten Familie, Religion, Staat und bezeichneten es als Heimat.

Der sittlich Reine wurde bevorzugt.
Dem Staat gegenüber, wenn er denn ein sittliches mit geordneten Rechtsformen bestehendes Gebilde war, galt es sich gemäß Friedrich Hegel zu beugen und für ihn zu arbeiten war Verpflichtung. Vertreten wurde diese Haltung von den so genannten Rechtshegelianern - während die Linkshegelianer den Jungdeutschen Ideen sich zuwandten.
Die sog. Historische Schule - auf Savigny aufbauend - und von Leopold von Ranke als wissenschaftlich maßgebliche Richtung gefördert, unterstützte eine Verehrung historischer Gegebenheiten und Überlieferungen, förderte ein starkes Traditionsbewusstsein und konservative Einstellung.
Dieser Art spätromantische Nachklänge aufzufangen und abzuschwächen, zeigte Immermann 1836 das Epigonentum auf. Liberale Kräfte führten so zur Straffung der biedermeierlichen Dichtung, wie sie im Spätwerk von Stifter, Grillparzer und Mörike erkennbar ist.

Hatte die Romantik die Realität des Lebens nicht bemerken wollen bzw. geflissentlich übersehen, lehnten die Jungdeutschen jeden Idealismus ab und wandten sich fortschrittlichen Gedanken zu, so versuchte das Biedermeier eine Synthese, eine Realidealismus.
Idelae sollten bewahrt werden, Gegensätze zur Wirklichkeit aber mussten als stark empfunden wahrgenommen werden. So gelang eine Harmonisierung von Ideal und Realität nur oberflächlich und kurzzeitig.
Es galt Bändigung der Leidenschaften, Verzicht auf das große Erleben, das gewünschte Sichausleben der Jungdeutschen musste unterbleiben. Dafür innerer Frieden, Ordnung, Zurückstellen persönlichen Glücks.
Es herrschten Angst vor der Durchführung einer Tat, es dominiert Unterordnung, Suche nach dem Weg des geringsten Widerstandes, Pflichterfüllung, Genügsamkeit, Fleiß. Erfüllung der Aufgaben nicht um des Gewinnes willen, sondern um der Aufgabe selber.
Der Dichter der Biedermeier-Zeit neigte oft zur Schwermut, Verzweiflung, Hypochondrie. Lenau starb im Wahnsinn, Raimund und Stifter durch Selbstmord, Möricke und Grillparzer waren verbittert, die Droste litt ihr Leben lang unter Krankheiten.

Anfang der 30er Jahre begann das Sichauseinadersetzen mit den Gegebenheiten, mit den Realitäten des Lebens. Die Julirevolution von 1830 trug zu dieser Stimmung bei.

Hatten die Karlsbader Beschlüsse von 1819 und die Wiener Schlussakte von 1820 die Romantik, diese von 1798 bis 1835, beeinflusst, so waren jetzt bereits klare Vorgaben bezüglich Zensur von z.B. Schriften und Vorlesungen durch die Obrigkeit veranlasst.
So wurde die Liberalisierung der Jung Deutschen ausgebremst durch den Beschluss des Bundestags in Frankfurt am Main vom 10.12.1835, wonach die Verbreitung der Schriften von Gutzkow, Heine, Wienbarg, Mundt und Laube wegen antichristlicher, gotteslästerlicher Tendenzen zu verbieten seien.
Gutzkows ‘Wally, die Zweiflerin’ wurde aus dem Verkauf gezogen.

Neben den Genannten zeigten sich die Schriftsteller wie Büchner, Grün, Herwegh, Freiligrath unter dem Einfluss des Junghegelianismus, zusätzlich aus dem eigenen Exil - meist der Schweiz - heraus als politisch Ausgegrenzte. Sie hofften, die Julirevolution von 1830 werde das Radikale in den deutschen Staaten beenden und einem dem Liberalismus - ähnlichen dem Französischen - gefördert durch die Verbindung des Rheinbundes an Frankreich, Platz schaffen.

Territoriale Einheit und verfassungsmäßige Freiheit waren die Ziele. Waren die nicht vorhanden, müssten sie geschaffen werden. (Hegel)
Individual- und Sozialethik müsse auf Vernunft und Natur gegründet werden, damit Emanzipation des Individuums, des Weibes, des Fleisches.

Feuerbach, die damals einflussreichster Persönlichkeit der Junghegelianer, erweiterte die Hegel’sche Philosophie.
Für Hegel war die Natur noch 'das Anderssein des Geistes', für Feuerbach wurde sie 'der Grund des Geistes'.
Feuerbach rückte die Natur an die Stelle Gottes, er setzte das Wissen und die Vernunft an die Stelle des Glaubens. Für ihn war es Heuchelei, am kirchlichen Dogma festzuhalten, das wissenschaftlichen und politischen Überzeugungen widerspreche. Gott und die Religionen seien nur Wunschbilder.
Strauß bezeichnete einen großen Teil des christlichen Dogmas als Mythus und Allegorie.
Abgelehnt wurden Kirche und Adel, somit die sozialen und nationalen Schranken.

Gedanken und Vorhaben, die durch gedruckte Publikationen in Form von Dramen, Romanen, Novellen in die Bevölkerung getragen werden sollten.

Die Presse wandelte sich vom berichtenden in ein meinungsbildendes Organ, hierbei wurde der Berichterstatter zum Schriftsteller mit künstlerischen Ambitionen - politische und künstlerische Tendenzen verschmolzen.

Die Jungdeutschen wollten eine neue Epoche einleiten, sie verurteilten alles Vorhergewesene, selbst Heine mit seiner als ‘Kunstperiode’ bezeichneten Goethezeit. Für sie war Kritik an politischen und sozialen Vorgängen die entscheidende Aufgabe und für sie standen die Dichter nicht mehr allein im Dienst der Musen, sondern besonders im Dienste des Vaterlandes, allen mächtigen Zeitbestrebungen seinen sie Verwandte. die Kunst könne nicht die Natur, den Menschen in seinem sozialen Umfeld vergessen machen, sondern müsse das Leben mit all seinen Licht- und Schattenseiten der Bevölkerung nahe bringen.

Hilfreich für die Verbreitung der Gedanken waren die Reisebriefe wie auch die dann aufkommenden Fortsetzungsfolgen, abgedruckt in Tages- oder Wochen-Zeitungen oder Zeitschriften.
 

 

1831 immatrikulierte sich Büchner in Straßburg als Student der Medizin. Neben dem Fachstudium war er auch Mitglied der Burschenschaft 'Eugenia', in der auch die politische Situation in Frankreich und im nahen Deutschland diskutiert wurde. Neben dieser studentischen Einrichtung stand auch das Haus des Advokaten und Literaturhistorikers Daniel Ehrenfried Stoeber politischen Emigranten und oppositionellen Schriftstellern offen. Im Dezember 1831 erlebte Büchner in Straßburg die lebhafte politische Atmosphäre Frankreichs kennen, als drei Generäle am Putsch gegen den Zarismus in Polen beteiligte nach Straßburg kamen und von der Bevölkerung stürmisch begrüßt wurden, die mit den Polen sympathisierte. Büchner nahm sehr wohl die Ablehnung des 'Bürgerkönigs' Louis-Philippe aus der Juli-Monarchie zur Kenntnis. Er fürchtete, dass Russland nach der Niederschlagung des Polen-Aufstandes seine Truppen mit Billigung der deutschen Regierungen bis nach Frankreich ziehen lassen könnte und er war in seiner radikalrepublikanischen Stimmung bereit, für die Freiheitsbewegung zu kämpfen. Mit Blick auf die sozialen und politischen Umstände in Deutschland meinte er: Gott möge dann dem Adel und Klerus und 'den allerdurchlauchtigsten und gesalbten Schaafsköpfen gnädig seyn.' (Hauschild - Büchner Briefwechsel, 1994)

Seine literarischen Ambitionen waren zu dieser Zeit gering. als in Darmstadt ein 'Musenalmanach' veröffentlicht wurde, trat er nur als Vermittler zwischen den Straßburger und Darmstädter Nachwuchspoeten auf.  Er lehnte die schwäbische Dichterschule von Schwab und Uhland ab, die sich romantisierend stets rückwärtsgewandt äußerte.
Grundsätzlich war im die nasskalte Atmosphäre im restaurativen politischen Deutschland zuwider geworden, er sympathisierte mit der Gewitterluft im politisch bewegten Frankreich.
Nach dem Aufstand in Frankfurt im April 1833, der als Anfang einer Revolution geplant war, allerdings an der Passivität der Bevölkerung scheiterte, teilte Büchner seinen Eltern nach Darmstadt mit, er erkläre sich mit den Revolutionären solidarisch und eine Opposition gegen die staatliche Repression der feudalen Ordnung bei den bekannten sozialen Missständen als legitim.

Er widmete sich philosophischer Lektüre und kritisierte deren abgehobene Ausgrenzungssprache und er meinte, für menschliche Dinge, müsse man auch menschliche Ausdrücke finden.
Dies setzte er dann in seinem Woyzeck um, die menschlichen Dinge, das Mitgefühl mit dem geschundenen Volk in seiner Abhängigkeit von Vorgesetzten und Obrigkeiten.

 

Im Jahr 1914 sah Alban Berg in Wien Büchner’s Wozzeck, der 1879 in einer Buchausgabe als 'Sämtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß' erschien .

Die textliche Straffung von 26 auf nur mehr 15 Szenen in drei Akten nach dem typischen Dramenschema: ‘Exposition’, ‘Peripetie’ und ‘Katastrophe’ wie die Vertonung der Worte über den armen Soldaten Wozzeck, der in seiner sentimentalen Dummheit von Fremden wie seinen Vorgesetzten drangsaliert, von seiner Geliebten betrogen wird, nahm Berg selber vor.

Die Arbeit zog sich bedingt durch den Ersten Weltkrieg über Jahre hin und wurde erst 1917 kontinuierlich verfolgt. Im April 1922 war die Komposition mit der Instrumentierung abgeschlossen.

Bei der Uraufführung in Berlin am 14. Dezember 1925  habe es Faustkämpfe gegeben, Wortgefechte zwischen den Logen und dem Parkett, Gelächter, Zischen, Pfiffe während der Vorstellung und es habe lange so ausgesehen, als würden die Gegner des Werkes die wenigen Anhänger des Komponisten überwältigen.
Die Auseinandersetzungen hätten noch wochenlang bei Aufführungen und in den Zeitungen angehalten. Hohes Lob gegen hasserfüllte, hysterische Verdammung.

Am 11. November 1926 erfolgte die erste Aufführung in tschechischer Sprache am Nationaltheater in Prag. Den ersten beiden Vorstellungen war ein großer Erfolg beschieden, die dritte wurde an den Piano-Stellen massiv durch Sirenen und Trillerpfeifen gestört, dass sie nach dem zweiten Akt abgebrochen und das Haus von der Polizei geräumt werden musste.
Weitere Wiederholungen des Werkes wurden aus Sicherheitsgründen verboten - tschechische Nationale und Klerikale hatten ihr Ziel erreicht.
(nach Reich)

Ausschlaggebend für die Akzeptanz des Wozzeck durch das Publikum war die Aufführung in Oldenburg in Oldenburg - heute Niedersächsisches Staatstheater.
Hier konnte der Nachweis geführt werden, dass auch ein kleines Theater sich mit diesem Werk bis zur Aufführung, ohne außerordentliche Aufregungen beschäftigen kann.

Der politische Umsturz in Deutschland im Jahr 1933 führte für Berg zu einer Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Situation, da seine Werke in Deutschland nicht mehr aufgeführt werden durften, somit keine Tantièmen mehr gezahlt wurden.

Er steigerte sein Arbeitstempo, um die ‘Lulu’ so schnell wie möglich fertigzustellen, was am 6. Mai 1934 der Fall war. Furtwängler lehnte die Uraufführung für Berlin ab, obwohl Berg Arier und Deutscher war, aber die ganze Schönberg-Schule galt bei den Nationalsozialisten als ‘entartet.’

Immerhin durfte die ‘Lulu-Suite’ am 30. November 1934 in einem Konzert in der Lindenoper zum ersten mal vor Publikum gespielt werden.
Die Wiener Erstaufführung am 11. Dezember konnte er noch miterleben.

Am 24. Dezember 1935 starb Alban Berg in Wien an einer Blutvergiftung.

 

Freigesetzter radioaktiver Müll, die Menschen leben unter Kopfhauben in Schutzanzügen, messen mit Geigerzählern die Kontamination.

Außer unterirdischen Tunneln ist zum Überleben nichts geblieben.

Ein Stück Rasenfläche, ein Beet - außerhalb der Reichweite der Menschen - Wozzeck versucht an das Stück Natur oben am Ende des Tunnelsegments zu gelangen - vergebens. Immer wieder rutscht er an der glatten Wand ab.

Der Rest von Leben wird gepflegt, die Halme gekürzt - zur Verjüngung, damit das Stück Natur für die nächste Generation, wenn Marie's Kind am Ende sich darauf niederlegt, auch anderen zum Lager dienen kann.

Die Grube Asse oder ein anderes Zwischen- oder End-Lager in nicht allzuferner Zukunft.
Hierhin oder in eine andere durch Gifte unwirtliche gewordene Umgebung legt Olaf Schmidt seine 'Wozzeck'-Produktion.
Nach seiner 'Brigadoon'-Inszenierung war nicht zu erwarten, dass es ihm gelingen könnte, eine so in sich geschlossene, konsequent durchgezogene, dramaturgisch stimmig Lösung auf die Bühne in Regensburg zu bringen.

Aber ohne 'die Küchenszenen' wird die Geschichte unverständlich, so folgen die gerade mal 200 Besucher bedrückt dem Ablauf der Handlung, viele tun sich schwer. Diejenigen, die das Stück nicht kennen, sind überfordert vom optischen Eindruck und von der Musik.
Wissende haben Mühe diese Bilder aufzunehmen, mit den ihnen gewohnten zu vergleichen und zu bewerten.

Neben dem 'Freischütz' ist dieser 'Wozzeck' die in dieser Spielzeit schlüssigste Produktion. Der Büchner'sche Texte in der Vertonung von Alban Berg wird imaginiert, zugespitzt auf Dinge, die wir ahnen und die, aus dem was wir wissen, in die Zukunft extrapoliert werden.

Das mitlebende Bühnenbild, wechselndes Anordnen der Tunnelsegmente, Veränderungen auf den Tunnelköpfen, Grasfläche, übermannshohe Reagenzgläser mit sichtbaren Zuchtergebnissen der neuen Menschen vom Doktor produziert, die Lichtwechsel unterstreichen die Veränderungen - äußerlich ist alles ständig im Umbruch.

Nur die verbliebenen Menschen in dieser geschädigten und damit unwirtlichen Umwelt versuchen sich noch ein wenig Normalität zu erhalten - ein wenig Leben in Gemeinsamkeit, Zweisamkeit unter der Kontrolle der Obrigkeit - sei es nun Hauptmann, Doktor oder Tambourmajor.
 

 

Olaf Schmidt abstrahiert, streicht alles Reale auch in Bezug auf das Bühnenbild und die Kostüme von
Karin Fritz, das Rasieren des Hauptmanns, das Stöckeschneiden, die Straßenszenen am Fenster von Marie - belässt es bei Gesprächen, dem Austauchen von Gedanken, Aufzeigen von Gefühlen, Angst, Irrsinn.

Was soll der Hauptmann denn mit der Zeit anfangen, da man heute früher fertig wird. Michael Berner - Maske und bösartiges Gehabe erinnern sehr an Werner Enders als Bobèche in Felsensteins Blaubart-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. Berner setzt Text und Musik in hysterisches Gehabe um, skuril, kräht den soldatischen Hampelmann, der andere - nur aus seiner Position heraus - schikaniert.

Jürgen Linn war Wozzeck für den erkrankten
Martin-Jan Nijhof - mit großmächtiger Bariton-Stimme, bassig gefärbt, auch in den Höhen sicher, nicht verhaucht, der elende Mann, mit dem
'Der Platz ist verflucht!' -

nicht einsortieren können, sich und die Umwelt.
Alles um ihn ist nicht fassbar und dann endlich die Erkenntnis -
'Das waren die Freimaurer! Ich hab's! Die Freimaurer!'

Sein Rumstottern in dieser Umgebung auf dieser Bühne
'wenn die Natur aus ist, wenn die Welt so finster wird, dass man mit den Händen an ihr herumtappen muss, dass man meint, sie verrinnt wie Spinnengewebe.'

Beim
'Man könnte Lust bekommen, sich aufzuhängen!'

ist natürlich nicht überhörbar, dass diese Stimme schon längere Zeit große Partien singt.

Dass er wie
'ein offenes Rasiermesser durch die Welt'

laufe, und
'
man sich sich an Ihm schneidet' -

kann nicht nachvollzogen werden. Er ist sehr überzeugend 'ein armer Teufel!', der nicht zu dem kommt, was er sich vorstellt - auch nicht bei der Marie.
'Wie er an ihr herumgreift! An ihrem Leib! Und sie lacht dazu!'

Es muss so zwangsläufig zur Katastrophe kommen.


Jung-Hwan Choi als Andres, ein Jäger möcht er sein, ein Rest von damaliger Natürlichkeit ist ihm geblieben -
'läuft dort ein Has' vorbei' -

in dieser Einöde, selbst der Has' nur Erinnerung, wie es einmal war. Die hohe Lage ohne Tadel, das
'wir müssen heim'

die Tiefe etwas außerhalb der Reichweite.


Marie von Maida Hundeling, kann's nicht lassen, die Soldaten, die schönen Burschen, neben dem Wozzeck, der gequälten Kreatur, der andere, der da steht wie ein Löw'.

'Eia popeia'-

Szene mit
'kein Hafer fresse sie, kein Wasser saufe sie' -

das 'kein' schon etwas eng, dann gekonnt das
'lauter kühle Wein muss es sein'

aus dem hohen Pianissimo bis hinunter.
Die Franz-Rufe - das
'es schauert mich'

auf der Sprechstimme bis in die tiefsmögliche Lage.

'Wie steht es geschrieben von der Magdalena? . . . »Und kniete hin zu seinen Füssen und weinte und küsste seine Füsse und netzte sie mit Tränen und salbte sie mit Salben.' - das ist schon schwer zu intonieren.
Wie meinte eine Betroffene: 'das ist etwas anderes als Traviata-M-ta-ta!'

'Heiland! Ich möchte Dir die Füsse salben! Heiland!'

Man wünschte sich eine ausgeglichenere Tongebung, mal schlank und vorn, dann dick und hinten, dann ohne Textverständlichkeit.
Die Fortepassagen, die über das Orchester hinwegheben sollen, betont kraftvoll, verhindern leider einen ebenmäßigen Sound.


Markus Ahme der Tambourmajor,
'ein Kerl wie ein Baum',

ein Geharnischter - mit der besten Diktion, jedes Wort ist zu verstehen. Ein Charaktertenor - mit Pflege der Stimme, intelligenter Rollengestaltung und langsamem Wachsen wird sicher sein: 'Salome tanz für mich'.

Anna Peshes als Margret - nur als Margret. Nach der Giulietta und der Adalgisa hatte der kritische Abonnent eigentlich die Marie erwartet. Nun begnügt sie sich mit der Nebenrolle. Und die erfüllt sie natürlich und selbstverständlich.

Sung-Heon Ha singt den Doktor mit seinem sicher geführten Bass, eine Stimme, kaum zu erwarten hier in der Oberpfalz.
'Die Welt ist schlecht!'

Problematisch die Textgebung - vieles muss so den Regensburgern verborgen und damit unverständlich bleiben.
Immerhin stattet Olaf Schmidt den Doktor so aus, dass der Arzt deutlich bleiben kann.
'Oh mein Ruhm! Ich werde unsterblich! Unsterblich! Unsterblich!'

Die beiden Handwerksburschen, Adam Kruzel und Christoph Stephinger, dieser als Gast für den kranken Seymur Karimov, scheinen nicht so recht zu wissen, was los ist. Aber deren Seele stinkt ja auch bloß nach Branntewein. So sind sie halt nur besoffen.

Christian Schossig erinnert als Narr an Henze's: 'Der junge Lord' - Insider nannten das, da die Bewegungsabläufe ins Private übernommen: 'Hubert macht de Aff'.

Jong-Il Park konnte als Soldat leider kaum wahrgenommen werden.

Das Bühnenbild von Karin Fritz - sie gestaltete auch die Szene für den 'Barbier' in der Regie des Regensburger Theaterdirektors am Salzburger Landestheater 

http://heerrufer.de/Kritik_'Der_Friseur_an_der_Salzach'_
-_Landestheater_Salzburg_06.12.2008.htm


 - dort wie auch hier die Kostüme.
Eigenwillig, eigenständig - hier Atomkraftwerk nach dem Gau, abgesoffenes Lager für Brennstäbe - daneben und auch: Hort für die Überlebenden, für die Noch-Lebenden.

Der Chor mit u.a. 'Ein Jäger aus der Pfalz' und Olaf Schmidt's Tänzern ergänzen verdichten, verdeutlichen den Tathergang, das Ballett eben somit kein Füllsel.

'Marien's Kind': Ayumi Noblet - mehr als nur das typische 'Butterfly'- oder eben ein normales 'Wozzeck'-Kind - tänzerischer Ausdruck, überzeugend, selbstverständlich in der Bühnenpräsenz, sehr beeindruckend die Szene mit den imaginären Eltern auf den winzigen Rasenflächen.
 

 
Das Orchester unter der Leitung des scheidenden GMD Grüneis - durchweg zu breit und zu laut.
Der große Apparat dem kleinen Haus nicht angepasst.
Es ist ein permanentes Dröhnen - die paar Leute in den Rängen - irritiert.

Eigentlich hätte das auch der Regensburger Theaterdirektor hören müssen, denn er war auch oben auf der Galerie - ging dann 'Tür auf, Tür zu' mitten in der Vorstellung.

Aber das sah man auch von oben sich im Parkett tun - immer wieder strömten Leute dem Ausgang zu - sie verstanden nichts, litten und gingen lieber Heim. 

Facit:
Olaf Schmidt's Inszenierung etwas für 'große Leute' - nichts für das mittlerweile 'Nach 2002-typische-Regensburg-Publikum', da zu hoch, zu anspruchsvoll.


 

Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

 

 


 

 

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