Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften 
zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Regensburg

Thema des Tages

"Durch dulden tun: Idee des Weibes"

 
 
Theater Regensburg
Repertoirevorstellung
16.02.2007


'Maria Magdalena'

Schauspiel
von Friedrich Hebbel
in der einaktigen Regensburger Strich-Fassung
 

Bereits die Französische Revolution gab eine neue Denkweise bezüglich der Geschlechter vor, Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit galten auch für Mann und Frau in der Gesellschaft - die allgemeine Denkweise war jedoch eine andere, liest man die folgende Aussage:

„[...] Ist es nicht ein großer Gedanke, der Welt noch einmal so viel Einwohner zu geben, wenn man die Weiber emanzipiert? [...]“
(Heinrich Laube, Liebesbriefe, Mannheim, 1835)

Mit diesem einzigen Satz wird die Situation der Frau im 19. Jahrhundert deutlich.
RW ist seit 1832 mit Heinrich Laube bekannt und später befreundet. Laube - Dichter – Journalist und später Direktor des Wiener Burgtheaters – redigiert die ‚Zeitung für die elegante Welt’ in Leipzig, in der 1834 RW erster Artikel ‚Die deutsche Oper’ erscheint.

Und die Frage nach der Emanzipation schließt Richard Wagner mit seinen letzten schriftlich niedergelegten Worten ab:

[„...] Gleich wohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe - Tragik. [...]“

[Sämtliche Schriften und Dichtungen: Zwölfter Band, S. 608. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 6624 (vgl. Wagner-SSuD Bd. 12, S. 343)]
Die Frau im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert lebt auf verschiedenen Ebenen:
die Herrschaftsebene der Landesfürsten
die bürgerliche Ebene der Verleger, Fabrikbesitzer
die Ebene der Handwerksbetriebe und Bauern
die Ebene der Landarbeiter, Heimwerker, Kleinhandwerksbetriebe, Hauspersonal
Die Herrschaftsebene war durch das Gottesgnadentum nach allen Seiten abgesichert;
- die Frau aber auch hier verdrängt in den Bereich der Gesellschaftsdame im Haus und die Mutter der Kinder, der allerdings genügend Personal zur Erziehung und Aufzucht der Kinder zur Verfügung stand.

Die bürgerliche Ebene unterschied sich von der herrschaftlichen nur durch die zur Verfügung stehende Geld und Personalmenge.

Die Situation auf der untersten Ebene war die durch die Lebensumstände entschieden schlechteste.

Durch die biologische Tatsache, dass die Frau durch in kürzesten Abständen immer wiederkehrende Schwangerschaften an das Haus oder nur den Hausgarten gebunden war, ergaben sich die grundsätzlichen Arbeitsteilungen zwischen Haus und Außenwelt. Die Frau war ausgeschaltet aus allem, was sich in der Stadt oder Gemeinde an öffentlichen Aufgaben ergab. Die aufkommenden genossenschaftlichen Regulierungen – von den Männern unter sich abgemacht – gaben diesen die Einbildung einer Überlegenheit den Frauen gegenüber. Die hinzu kommende Ausgrenzung der Frau durch die Kirche, förderte noch deren Isolierung.

Lernprozesse vollzogen sich neben einer Grundschulbildung nur durch Weitergabe von Selbsterlerntem. Auch hieraus leiteten sich Machtbefugnisse ab, da der Wissende einen höheren Stand hatte.

Die Berufsarbeit in den unteren Ständen bezog sich bei der Frau auf die Heimarbeit, wenn nicht allein, so doch meistens zusätzlich zur Feldarbeit. Eine Diskriminierung der Frau blieb hier weitgehend aus, da es sich bei Ablieferung der Ware aus Heimarbeit nicht auswirkte, ob diese vom Mann oder der Frau hergestellt worden war. Hinzu kam, dass die Frau bei dieser Art von Hausindustrie auch die Kinder beaufsichtigen und aufziehen konnte. Meist war dann der Wohnraum gleichzeitig auch der Werkraum, in dem der Webstuhl, das Spinnrad oder die Werkbank für den Mann als Nebenerwerb stand. Gesundheitliche Schäden durch Einatmen von Leim- oder giftigen Farbdämpfen sowie der Abrieb bei Schieferarbeiten waren der Grund für schwere Erkrankungen und früher Tod.

Die Situation der Frau in der Gesellschaft veränderte sich besonders durch die mechanische Revolution – die Einführung der Dampfmaschine z.B. mit der Möglichkeit des Betriebs mehrerer Webstühle durch eine Krafttransmission. Der Aufstand der mehr als ein Hunderttausend bedürftigen Weber in Schlesien im Juni 1844 zeigte das ganze Elend der Familien. Die Hungrigen verschmähten weder den Mehlkleister, mit dem das Schlussgarn bestrichen wurde, noch Maikäfer als Suppeneinlage.

Besonders die Einführung der Nähmaschine revolutionierte die Heimarbeit der Frau, da sie die Schneiderei, Putzmacherei, Schusterei unmittelbar beeinflusste.
Hier war erstmalig für die Frau die Möglichkeit gegeben, sich unabhängig vom Mann, dessen Stand, der wiederum von der Verfügbarkeit von Produktionsmitteln abhing, ein eigenes Berufsleben zu entwickeln, wenn es doch nur als Nebenverdienst ausgewiesen war, den Mann zu unterstützen, die Familie zu ernähren.

Frauen waren auch noch zur Zeit Hebbels mitten im 19. jahrhundert im Bereich der Bildung und Ausbildung erheblich benachteiligt. Es wurden ihnen Voraussetzungen vorenthalten, unter denen sich Denken entwickeln lässt.
Die Fähigkeit ist jedem gegeben, zu denken, sie kann gefördert und gehemmt werden - dies bezieht sich besonders auf das abstrakte Denken. Wird dies nicht durch Anleitung gefördert oder steht nicht genug zeit durch Hauswirtschaft, Nebenverdienst und Hauptverdienst in Fabriken zur Verfügung, kann sich die Frau nicht zur Denkenden entwickeln.
Nur wenige konnten sich durch ihre Zugehörigkeit zu den Kreisen der herrschenden Elite Zugang zu Bildungseinrichtungen verschaffen.
Und trotz dieses Privilegs war es ihr geboten, das von ihr verinnerlichte Minderwertigkeitsgefühl zu überwinden.

Gustav Mahler verbot Alma Musik zu schaffen, gleiches galt für Fanny Mendelssohn, der Schwester von Felix Mendelssohn - und Robert Schumann schränkte Klara in ihren Möglichkeiten des Komponierens ein und dann veröffentlichte er die Werke Klaras unter seinem Namen.

Eine der wenigen, die sich zur Zeit Hebbels voll verwirklichen konnte, war Bettina von Arnim (1785 - 1859). Nach dem Tod ihrer Eltern lebte sie bei der Großmutter, Sophie de la Roche, einer damals bekannten Schriftstellerin, die Bettinas Entwicklung und Unabhängigkeit förderte.

Neben ihr war Malvida von Meysenburg (1816 - 1903) eine Derjenigen, die bis ins das 20. Jahrhundert hinein an der Entwicklung der Frau aus den Reduktionen heraus arbeitete.
"[...] Von Malwida Abschied nehmend nach dem Kaffee, sagt er, Gott behüte dich Malwida, du bist - - emanzipiert! [...]"
[Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band II, S. 602. ]

Für Frauen vermittelte sich die Klassenzugehörigkeit über ihr Verhältnis zum Mann.
Anständige Frauen gehörten durch ihre Väter und Gatten einer bestimmten Klasse an, doch der Verstoß gegen vorgegebene Verhaltensregeln kann sie von einem Moment zum anderen deklassieren.

 

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Hebbel stellt den Mann, aus seiner eigenen Erfahrung schon durch die häusliche Situation des Vaters, über die Frau im Haus und in der Gesellschaft.
Der Mann hat ... - die Frau hat ....
So hat sie keine Möglichkeit der Mitwirkung in der Öffentlichkeit, kein Wahlrecht, sie hat kein Recht auf Bildung, die Selbstbestimmung ist eingeschränkt - ein bleibt ihr nur "und drinnen waltet die züchtige Hausfrau."

Klaras Situation wird in dem Moment zum Problem, als sie erkennen muss, aus Unbedacht sich Leonhard hingegeben zu haben und nun von ihm ein Kind erwartet . Sie muss also versuchen, Leonhard für sich und die Ehe mit ihr zu gewinnen, um den Vater nicht in die Ehrlosigkeit zu stürzen, der dieser nun wieder durch Selbstmord zu entgehen plant. Gelingt ihr das nicht, hat sie sich und die Familie diskreditiert. Diese Problematik der unverehelichten Schwangeren hielt sich noch bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Friedrich Hebbel beschäftigte schon bei seiner 'Judith' die Frage nach der Gegensätzlichkeit von Mann und Frau - Dualismus Frau-Mann.
Diese Wertigkeiten sind nicht biologischen Ursprungs, sind nicht im Erbgut angelegt, sondern sind eine soziale Konstruktion der Gesellschaft, die das Zusammenleben einmal vereinfacht hat. Aber diese Art der Vereinfachung ist zumindest heute nicht mehr funktional.
Viele traditionelle Rollenzuschreibungen haben ihre Funktion verloren.
So stellt die Geschlechterdualität eine Einengung dar, weil sie heute keine tragfähigen Zuschreibungen mehr bietet.
Sehr wohl jedoch im 19. Jahrhundert.
 

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In diesem Umfeld spielt Hebbels 'Maria Magdalena' am Theater Regensburg und je öfter der Beobachter sich die Produktion ansieht, desto eher wird klar, wie sehr die Inszenierung dem Anspruch - besonders der Schüler - das 19. Jahrhundert kennenzulernen, n i c h t gerecht wird.

Hebbel gibt selber vor:
Schauplatz: eine deutsche Kleinstadt
Zeit: erste Hälfte des 19. Jahrhunderts

Regisseurin Wüllenweber überträgt das Werk in ihrer Regensburger Inszenierung in eine erfundene Zeit und ein ebensolches Umfeld - was nichts mit dem Original zu tun hat und je mehr sie aktualisiert, desto eher und desto mehr geht die Produktion am Stück vorbei.

Welcher Vater schneidet sich heute die Kehle durch, wenn er erfährt, dass die Tochter Schande über die Familie gebracht hat, indem sie ein Kind außerhalb einer Ehe bekommen wird.
Welche Tochter erschrickt über die Drohung des Vaters, er werde sich auf diese spektakuläre Weise umbringen.

Welche Tochter geht heute noch in den Selbstmord, weil der Kindsvater sie nicht heiratet.

Zwar versucht Frau Wüllenweber sich zeitlich nicht festlegen zu lassen, es ist aber kaum anzunehmen, dass ihre Produktion im 19. Jahrhundert spielt und vom Bühnenbild und Kostümen her die Situation der Frau in dieser Zeit berücksichtigt.

Die Schreinerwerkstatt mit ein paar Holzleisten, mit einer Hobelbank, ein paar Kisten am Boden - und Vogelkästen, fertig zum Versand - hier arbeitet Meister Anton, kostümiert mit einem Straßenanzug.

Seine Tochter Klara schreitet in hochgeschnürten Stiefeln frei weg aus, durchmisst die Bühne, als gelte es, die Abmessungen festzustellen, gewandet in eine Schnürkorsage, die sie über dem Kleid trägt - die Beengung durch die Gesamtsituation zeigend.

Mutter Anton in weißem Brautkleid als Sonntags- und hier auch Beerdigungsstaat.

Sohn Karl darf wechselnd mal mit Mantel, mal mit geschnürter Weste auftreten, die er als Zeichen der Befreiung ablegen darf, da er seinen Abschied nimmt, um zur See zu fahren.

Der von der Akademie zurückkehrende Sekretär in weißem Sommerdress als komme der Emporkömmling gerade vom Tennis.
Leonhard der Verführer, im Anzug, eines Geschäftsmannes würdig.

D i e s e r freundliche Regensburger Tischlermeister Anton, nach den Vorgaben aufrecht, starr und ein Brummbär, kann in der Regensburger Produktion niemals d i e s e unsentimentale Regensburger Klara in den Selbstmord treiben weil er sich angeblich die Kehle durchschneidet, falls sie nicht den Anstand wahrt.
Ausgeschlossen, dass eben diese junge Frau sich von d i e s e m Regensburger Leonhard bedrängen und schwängern lässt.
D i e s e r Regensburger Sekretär Friedrich, ein smarter und doch auch mitfühlender junger Mann - der wär's für Klara gewesen, aber angeblich ist sie auf d i e s e n Regensburger Leonhard hereingefallen und "darüber kann kein Mann weg."

Die Striche nehmen dem Stück die Klarheit und so ist alles nicht nachvollziehbar, was da auf der Bühne des Regensburger Velodroms als Hebbels 'Maria Magdalena' geboten wird ganz abgesehen davon, dass die Darsteller mit den gewählten Rollen besetzt sind.

Um diese Aussage zu untermauern bedarf es des Besuchs wenigstens einer weiteren Vorstellung.


In der ersten oder "alten" Frauenbewegung handelte es sich bei den eingeforderten "Frauen"-rechten um die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern (Recht auf politische Mitbestimmung, Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Recht auf eigenen Besitz, etc.). Eine der ersten Feministinnen, die ausdrücklich staatsbürgerliche Rechte für die Frauen forderte, war Olympe de Gouges. Sie verfasste während der Französischen Revolution eine "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" (1791). 1793 wurden die politischen Frauenvereine in Frankreich verboten und Olympe de Gouges noch im gleichen Jahr auf der Guillotine hingerichtet.

Weiterhin ging es den Frauen um den Abbau von Benachteiligungen im Familienrecht. Dort sollte die Ehefrau und Mutter gleiche Rechte bekommen wie zuvor der Ehemann und Vater, der im damaligen patriarchalen Recht eine deutlich herausgehobene Stellung besaß. Der zentrale Punkt, an welchem man im damaligen Recht die Rechtsstellung der Frau schlechthin definierte, befand sich damals noch nicht im Verfassungsrecht, sondern im Familienrecht. Die Begründung spezifisch "männlicher" und "weiblicher" Rechte erfolgte im älteren Recht nämlich häufig im Rahmen der persönlichen Ehewirkungen (heutiger § 1353 BGB - eheliche Lebensgemeinschaft) und wurde von dort auf andere Gebiete innerhalb und außerhalb des Familienrechts übertragen. In Deutschland hatten die "Rechtskämpfe" der Frauenbewegung einen ersten Höhepunkt in den 1890er Jahren, als Frauen gegen das geplante Familienrecht des neuen BGB rebellierten. Unter ihnen waren die ersten Juristinnen Deutschlands und der Schweiz (wie Anita Augspurg, Marie Raschke, Emilie Kempin-Spyri), die in dieser Zeit gerade ihr Studium abgeschlossen hatten.

Eine Vorreiterrolle in europäischen Kampf um Frauenrechte hatte Finnland, wenngleich die dortigen Fortschritte in der mitteleuropäischen Diskussion zunächst kaum beachtet wurden. Bereits 1885 wurde hier das patriarchale Ehegüterrecht aufgehoben, und der finnische Ständetag führte die Gütertrennung ein. Damit behielt die Frau auch in der Ehe das Recht auf ihr Vermögen. Wenige Monate vorher hatte die Schriftstellerin Minna Canth das aufsehenerregende Theaterstück "Työmiehen vaimo" (Die Frau des Arbeiters) geschrieben. Dort hatte sie geschildert, wie nach altem Ehegüterrecht die Frau eines Trinkers hilflos zusehen musste, wie dieser ihr gesamtes persönliches Vermögen missbräuchlich verschwendete.
Auch bei der Gewährung staatsbürgerlicher Frauenrechte machte Finnland den Anfang: 1906 erhielten dort die Frauen als erste in Europa das volle Stimmrecht.
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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