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Theater Regensburg
Repertoirevorstellung
16.02.2007
'Maria Magdalena'
Schauspiel
von Friedrich Hebbel
in der einaktigen Regensburger Strich-Fassung
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Bereits die
Französische Revolution gab eine neue Denkweise
bezüglich der Geschlechter vor, Gleichheit, Freiheit
und Brüderlichkeit galten auch für Mann und Frau in
der Gesellschaft - die allgemeine Denkweise war
jedoch eine andere, liest man die folgende Aussage:
„[...] Ist es nicht ein großer Gedanke, der Welt
noch einmal so viel Einwohner zu geben, wenn man die
Weiber emanzipiert? [...]“
(Heinrich Laube, Liebesbriefe, Mannheim, 1835)
Mit diesem einzigen Satz wird die Situation der Frau
im 19. Jahrhundert deutlich.
RW ist seit 1832 mit Heinrich Laube bekannt und
später befreundet. Laube - Dichter – Journalist und
später Direktor des Wiener Burgtheaters – redigiert
die ‚Zeitung für die elegante Welt’ in Leipzig, in
der 1834 RW erster Artikel ‚Die deutsche Oper’
erscheint.
Und die Frage nach der Emanzipation schließt Richard
Wagner mit seinen letzten schriftlich niedergelegten
Worten ab:
[„...] Gleich wohl geht der Prozeß der Emanzipation
des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor
sich. Liebe - Tragik. [...]“
[Sämtliche Schriften und Dichtungen: Zwölfter Band,
S. 608. Digitale Bibliothek Band 107: Richard
Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 6624 (vgl.
Wagner-SSuD Bd. 12, S. 343)]
Die Frau im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19.
Jahrhundert lebt auf verschiedenen Ebenen:
die Herrschaftsebene der Landesfürsten
die bürgerliche Ebene der Verleger, Fabrikbesitzer
die Ebene der Handwerksbetriebe und Bauern
die Ebene der Landarbeiter, Heimwerker,
Kleinhandwerksbetriebe, Hauspersonal
Die Herrschaftsebene war durch das Gottesgnadentum
nach allen Seiten abgesichert;
- die Frau aber auch hier verdrängt in den Bereich
der Gesellschaftsdame im Haus und die Mutter der
Kinder, der allerdings genügend Personal zur
Erziehung und Aufzucht der Kinder zur Verfügung
stand.
Die bürgerliche Ebene unterschied sich von der
herrschaftlichen nur durch die zur Verfügung
stehende Geld und Personalmenge.
Die Situation auf der untersten Ebene war die durch
die Lebensumstände entschieden schlechteste.
Durch die biologische Tatsache, dass die Frau durch
in kürzesten Abständen immer wiederkehrende
Schwangerschaften an das Haus oder nur den
Hausgarten gebunden war, ergaben sich die
grundsätzlichen Arbeitsteilungen zwischen Haus und
Außenwelt. Die Frau war ausgeschaltet aus allem, was
sich in der Stadt oder Gemeinde an öffentlichen
Aufgaben ergab. Die aufkommenden
genossenschaftlichen Regulierungen – von den Männern
unter sich abgemacht – gaben diesen die Einbildung
einer Überlegenheit den Frauen gegenüber. Die hinzu
kommende Ausgrenzung der Frau durch die Kirche,
förderte noch deren Isolierung.
Lernprozesse vollzogen sich neben einer
Grundschulbildung nur durch Weitergabe von
Selbsterlerntem. Auch hieraus leiteten sich
Machtbefugnisse ab, da der Wissende einen höheren
Stand hatte.
Die Berufsarbeit in den unteren Ständen bezog sich
bei der Frau auf die Heimarbeit, wenn nicht allein,
so doch meistens zusätzlich zur Feldarbeit. Eine
Diskriminierung der Frau blieb hier weitgehend aus,
da es sich bei Ablieferung der Ware aus Heimarbeit
nicht auswirkte, ob diese vom Mann oder der Frau
hergestellt worden war. Hinzu kam, dass die Frau bei
dieser Art von Hausindustrie auch die Kinder
beaufsichtigen und aufziehen konnte. Meist war dann
der Wohnraum gleichzeitig auch der Werkraum, in dem
der Webstuhl, das Spinnrad oder die Werkbank für den
Mann als Nebenerwerb stand. Gesundheitliche Schäden
durch Einatmen von Leim- oder giftigen Farbdämpfen
sowie der Abrieb bei Schieferarbeiten waren der
Grund für schwere Erkrankungen und früher Tod.
Die Situation der Frau in der Gesellschaft
veränderte sich besonders durch die mechanische
Revolution – die Einführung der Dampfmaschine z.B.
mit der Möglichkeit des Betriebs mehrerer Webstühle
durch eine Krafttransmission. Der Aufstand der mehr
als ein Hunderttausend bedürftigen Weber in
Schlesien im Juni 1844 zeigte das ganze Elend der
Familien. Die Hungrigen verschmähten weder den
Mehlkleister, mit dem das Schlussgarn bestrichen
wurde, noch Maikäfer als Suppeneinlage.
Besonders die Einführung der Nähmaschine
revolutionierte die Heimarbeit der Frau, da sie die
Schneiderei, Putzmacherei, Schusterei unmittelbar
beeinflusste.
Hier war erstmalig für die Frau die Möglichkeit
gegeben, sich unabhängig vom Mann, dessen Stand, der
wiederum von der Verfügbarkeit von
Produktionsmitteln abhing, ein eigenes Berufsleben
zu entwickeln, wenn es doch nur als Nebenverdienst
ausgewiesen war, den Mann zu unterstützen, die
Familie zu ernähren.
Frauen waren auch noch zur Zeit Hebbels mitten im
19. jahrhundert im Bereich der Bildung und
Ausbildung erheblich benachteiligt. Es wurden ihnen
Voraussetzungen vorenthalten, unter denen sich
Denken entwickeln lässt.
Die Fähigkeit ist jedem gegeben, zu denken, sie kann
gefördert und gehemmt werden - dies bezieht sich
besonders auf das abstrakte Denken. Wird dies nicht
durch Anleitung gefördert oder steht nicht genug
zeit durch Hauswirtschaft, Nebenverdienst und
Hauptverdienst in Fabriken zur Verfügung, kann sich
die Frau nicht zur Denkenden entwickeln.
Nur wenige konnten sich durch ihre Zugehörigkeit zu
den Kreisen der herrschenden Elite Zugang zu
Bildungseinrichtungen verschaffen.
Und trotz dieses Privilegs war es ihr geboten, das
von ihr verinnerlichte Minderwertigkeitsgefühl zu
überwinden.
Gustav Mahler verbot Alma Musik zu schaffen,
gleiches galt für Fanny Mendelssohn, der Schwester
von Felix Mendelssohn - und Robert Schumann
schränkte Klara in ihren Möglichkeiten des
Komponierens ein und dann veröffentlichte er die
Werke Klaras unter seinem Namen.
Eine der wenigen, die sich zur Zeit Hebbels voll
verwirklichen konnte, war Bettina von Arnim (1785 -
1859). Nach dem Tod ihrer Eltern lebte sie bei der
Großmutter, Sophie de la Roche, einer damals
bekannten Schriftstellerin, die Bettinas Entwicklung
und Unabhängigkeit förderte.
Neben ihr war Malvida von Meysenburg (1816 - 1903)
eine Derjenigen, die bis ins das 20. Jahrhundert
hinein an der Entwicklung der Frau aus den
Reduktionen heraus arbeitete.
"[...] Von Malwida Abschied nehmend nach dem Kaffee,
sagt er, Gott behüte dich Malwida, du bist - -
emanzipiert! [...]"
[Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band II, S. 602. ]
Für Frauen vermittelte sich die Klassenzugehörigkeit
über ihr Verhältnis zum Mann.
Anständige Frauen gehörten durch ihre Väter und
Gatten einer bestimmten Klasse an, doch der Verstoß
gegen vorgegebene Verhaltensregeln kann sie von
einem Moment zum anderen deklassieren.
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Hebbel stellt den Mann, aus seiner eigenen Erfahrung schon durch
die häusliche Situation des Vaters, über die Frau im Haus und in
der Gesellschaft.
Der Mann hat ... - die Frau hat ....
So hat sie keine Möglichkeit der Mitwirkung in der
Öffentlichkeit, kein Wahlrecht, sie hat kein Recht auf Bildung,
die Selbstbestimmung ist eingeschränkt - ein bleibt ihr nur "und
drinnen waltet die züchtige Hausfrau."
Klaras Situation wird in dem Moment zum Problem, als sie
erkennen muss, aus Unbedacht sich Leonhard hingegeben zu haben
und nun von ihm ein Kind erwartet . Sie muss also versuchen,
Leonhard für sich und die Ehe mit ihr zu gewinnen, um den Vater
nicht in die Ehrlosigkeit zu stürzen, der dieser nun wieder
durch Selbstmord zu entgehen plant. Gelingt ihr das nicht, hat
sie sich und die Familie diskreditiert. Diese Problematik der
unverehelichten Schwangeren hielt sich noch bis weit in die
zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Friedrich Hebbel beschäftigte schon bei seiner 'Judith' die
Frage nach der Gegensätzlichkeit von Mann und Frau - Dualismus
Frau-Mann.
Diese Wertigkeiten sind nicht biologischen Ursprungs, sind nicht
im Erbgut angelegt, sondern sind eine soziale Konstruktion der
Gesellschaft, die das Zusammenleben einmal vereinfacht hat. Aber
diese Art der Vereinfachung ist zumindest heute nicht mehr
funktional.
Viele traditionelle Rollenzuschreibungen haben ihre Funktion
verloren.
So stellt die Geschlechterdualität eine Einengung dar, weil sie
heute keine tragfähigen Zuschreibungen mehr bietet.
Sehr wohl jedoch im 19. Jahrhundert.
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In diesem Umfeld spielt Hebbels 'Maria Magdalena' am Theater
Regensburg und je öfter der Beobachter sich die Produktion
ansieht, desto eher wird klar, wie sehr die Inszenierung dem
Anspruch - besonders der Schüler - das 19. Jahrhundert
kennenzulernen, n i c h t gerecht wird.
Hebbel gibt selber vor:
Schauplatz: eine deutsche Kleinstadt
Zeit: erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
Regisseurin Wüllenweber überträgt das Werk in ihrer Regensburger
Inszenierung in eine erfundene Zeit und ein ebensolches Umfeld -
was nichts mit dem Original zu tun hat und je mehr sie
aktualisiert, desto eher und desto mehr geht die Produktion am
Stück vorbei.
Welcher Vater schneidet sich heute die Kehle durch, wenn er
erfährt, dass die Tochter Schande über die Familie gebracht hat,
indem sie ein Kind außerhalb einer Ehe bekommen wird.
Welche Tochter erschrickt über die Drohung des Vaters, er werde
sich auf diese spektakuläre Weise umbringen.
Welche Tochter geht heute noch in den Selbstmord, weil der
Kindsvater sie nicht heiratet.
Zwar versucht Frau Wüllenweber sich zeitlich nicht festlegen zu
lassen, es ist aber kaum anzunehmen, dass ihre Produktion im 19.
Jahrhundert spielt und vom Bühnenbild und Kostümen her die
Situation der Frau in dieser Zeit berücksichtigt.
Die Schreinerwerkstatt mit ein paar Holzleisten, mit einer
Hobelbank, ein paar Kisten am Boden - und Vogelkästen, fertig
zum Versand - hier arbeitet Meister Anton, kostümiert mit einem
Straßenanzug.
Seine Tochter Klara schreitet in hochgeschnürten Stiefeln frei
weg aus, durchmisst die Bühne, als gelte es, die Abmessungen
festzustellen, gewandet in eine Schnürkorsage, die sie über dem
Kleid trägt - die Beengung durch die Gesamtsituation zeigend.
Mutter Anton in weißem Brautkleid als Sonntags- und hier auch
Beerdigungsstaat.
Sohn Karl darf wechselnd mal mit Mantel, mal mit geschnürter
Weste auftreten, die er als Zeichen der Befreiung ablegen darf,
da er seinen Abschied nimmt, um zur See zu fahren.
Der von der Akademie zurückkehrende Sekretär in weißem
Sommerdress als komme der Emporkömmling gerade vom Tennis.
Leonhard der Verführer, im Anzug, eines Geschäftsmannes würdig.
D i e s e r freundliche Regensburger Tischlermeister Anton, nach
den Vorgaben aufrecht, starr und ein Brummbär, kann in der
Regensburger Produktion niemals d i e s e unsentimentale
Regensburger Klara in den Selbstmord treiben weil er sich
angeblich die Kehle durchschneidet, falls sie nicht den Anstand
wahrt.
Ausgeschlossen, dass eben diese junge Frau sich von d i e s e m
Regensburger Leonhard bedrängen und schwängern lässt.
D i e s e r Regensburger Sekretär Friedrich, ein smarter und
doch auch mitfühlender junger Mann - der wär's für Klara
gewesen, aber angeblich ist sie auf d i e s e n Regensburger
Leonhard hereingefallen und "darüber kann kein Mann weg."
Die Striche nehmen dem Stück die Klarheit und so ist alles nicht
nachvollziehbar, was da auf der Bühne des Regensburger Velodroms
als Hebbels 'Maria Magdalena' geboten wird ganz abgesehen davon,
dass die Darsteller mit den gewählten Rollen besetzt sind.
Um diese Aussage zu untermauern bedarf es des Besuchs wenigstens
einer weiteren Vorstellung.
In der ersten oder "alten" Frauenbewegung handelte es sich bei
den eingeforderten "Frauen"-rechten um die politische und
gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern
(Recht auf politische Mitbestimmung, Recht auf Bildung, Recht
auf Arbeit, Recht auf eigenen Besitz, etc.). Eine der ersten
Feministinnen, die ausdrücklich staatsbürgerliche Rechte für die
Frauen forderte, war Olympe de Gouges. Sie verfasste während der
Französischen Revolution eine "Erklärung der Rechte der Frau und
Bürgerin" (1791). 1793 wurden die politischen Frauenvereine in
Frankreich verboten und Olympe de Gouges noch im gleichen Jahr
auf der Guillotine hingerichtet.
Weiterhin ging es den Frauen um den Abbau von Benachteiligungen
im Familienrecht. Dort sollte die Ehefrau und Mutter gleiche
Rechte bekommen wie zuvor der Ehemann und Vater, der im
damaligen patriarchalen Recht eine deutlich herausgehobene
Stellung besaß. Der zentrale Punkt, an welchem man im damaligen
Recht die Rechtsstellung der Frau schlechthin definierte, befand
sich damals noch nicht im Verfassungsrecht, sondern im
Familienrecht. Die Begründung spezifisch "männlicher" und
"weiblicher" Rechte erfolgte im älteren Recht nämlich häufig im
Rahmen der persönlichen Ehewirkungen (heutiger § 1353 BGB -
eheliche Lebensgemeinschaft) und wurde von dort auf andere
Gebiete innerhalb und außerhalb des Familienrechts übertragen.
In Deutschland hatten die "Rechtskämpfe" der Frauenbewegung
einen ersten Höhepunkt in den 1890er Jahren, als Frauen gegen
das geplante Familienrecht des neuen BGB rebellierten. Unter
ihnen waren die ersten Juristinnen Deutschlands und der Schweiz
(wie Anita Augspurg, Marie Raschke, Emilie Kempin-Spyri), die in
dieser Zeit gerade ihr Studium abgeschlossen hatten.
Eine Vorreiterrolle in europäischen Kampf um Frauenrechte hatte
Finnland, wenngleich die dortigen Fortschritte in der
mitteleuropäischen Diskussion zunächst kaum beachtet wurden.
Bereits 1885 wurde hier das patriarchale Ehegüterrecht
aufgehoben, und der finnische Ständetag führte die Gütertrennung
ein. Damit behielt die Frau auch in der Ehe das Recht auf ihr
Vermögen. Wenige Monate vorher hatte die Schriftstellerin Minna
Canth das aufsehenerregende Theaterstück "Työmiehen vaimo" (Die
Frau des Arbeiters) geschrieben. Dort hatte sie geschildert, wie
nach altem Ehegüterrecht die Frau eines Trinkers hilflos zusehen
musste, wie dieser ihr gesamtes persönliches Vermögen
missbräuchlich verschwendete.
Auch bei der Gewährung staatsbürgerlicher Frauenrechte machte
Finnland den Anfang: 1906 erhielten dort die Frauen als erste in
Europa das volle Stimmrecht.
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Dieter Hansing
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