|
Krach gab es immer um Brecht - seine Werke waren umstritten, mit
den Komponisten gab es Schwierigkeiten, mit den Darstellern, den
Regisseuren, den Kritikern und innerhalb des Brecht'schen Clans.
Änderungen, Streichungen, Umbesetzungen gibt es bei den
Vorbereitungen zur Uraufführung der 'Dreigroschenoper'.
Harald Paulsen - der Macheath - will einen Eingangssong, er bekommt
ihn im letzten Moment von Brecht und Weil
geschrieben,
der Mackie-Messer-Song, Paulsen findet ihn spärlich und gerade der
wurde ein Hit.
Brecht hält den Spiegel vor, denen, die auf Kosten anderer leben.
Und auch denen, die sich ausbeuten lassen.
Das Stück wird nach anfänglichem Zögern der Kritiker, vom Publikum
sofort angenommen und zur Sensation. Brecht will belehren, aber die
Zuschauer sehen sich in diesen schwierigen 20-Jahren selber auf der
Bühne und jubeln sich selber zu, wo sie sich doch gerade erst vom
Kaiserreich emanzipieren.
Das Publikum soll mitdenken, nicht mitfühlen, sondern distanziert
betrachten - und dem Darsteller sagt Brecht: "spiel, dass du
spielst, zeige, dass du zeigst" - das Publikum soll nicht mit den
Helden mitleiden, das Publikum soll die Rolle des kritischen
Beobachters einnehmen, es soll sich nicht berieseln lassen, es soll
denken, es soll erkennen.
Unterstützend wird die Darstellung mit Spruchbändern und Plakaten
belegt, die Schauspieler sprechen das Publikum direkt an, so tritt
die von Brecht gewünschte Verfremdung ein.
Theater ohne Emotionen ist nicht möglich, ein Bogen kann mit
Moritaten allein nicht gespannt werden, die für Stunden die Spannung
halten.
|
'Es ist eine besonders dumme Theorie vom epischen Theater, das ist
der größte Quatsch, den er erfunden hat. Es ist der hilflose Versuch
des Genies gewesen, seiner Intuition Zügel anzulegen, eine Struktur
zu finden - den Staub der auf dem Schauspiel aus der Zeit der
Jahrhundertwende lag, abzulegen und seinen Werken einen seriöseren
Boden zu bereiten.'
(Claus Peymann in 'Die großen Dramatiker')
|
Was Begleiter und und vor allem Begleiterinnen auf den ersten oder
zweiten Blick so faszinierend an Brecht als Mann finden,
ist teilweise nur schwer nachvollziehbar.
Viele stößt er ab, er kann widerwärtig - dagegen aber auf andere
auch reizvoll und anziehend wirken - er polarisiert allein schon vom
Äußeren her, gerade was seine Kleidung betraf, Lederschirmmütze,
Lederjacke - später darunter aber Seidenhemd.
Schön ist er nicht, schmal, kränklich - seit frühester Jugend leidet
er unter Herzbeschwerden - wenig attraktiv, hinzu kommt, dass er
stark raucht - billige Zigarren - und sich selten wäscht.
Lotte Lenya, 'Autobiographische Skizzen', Köln, 1998
|
Dass er vornehmlich Frauen dazu bringt, sich von ihm gefangen nehmen
zu lassen, sich ihm in jeder Hinsicht zu präsentieren und dies unter
dem Aspekt, seine sichtbaren körperlichen Missstände übersehen und
über-riechen zu müssen.
Sie verfallen ihm:
„Rührst du mich nur an, muß ich mich legen./
Weder
Scham noch reue stehn dagegen /
Und was sonst noch wacht“. (Steffin)
Was durch seine Kleidung verdeckt wichtig war, für das Rollenspiel
wichtig,
bleibt unausgesprochen.
Ansonsten dominiert seine geistige Ausstrahlung - ist genialisches
in der Ausdrucksweise und damit in seinem Werk - in Verbindung zu
bringen, was zur Hingabe führt.
Immerhin entstehen in der Zeit bis 1930 u.a. die Schauspiele ‘Baal’
(1918),
‘Trommeln in der Nacht’ (1919), ‘Im Dickicht der Städte’ (1921), ‘Leben Eduards
des Zweiten von England’ (1923), ‘Mann ist Mann’ (1925), das Songspiel ‘ Mahagonny’ zunächst für
die Musikwochen Baden-Baden (1927), dann für Leipzig 'Der
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny' (1928), 'Der Ozeanflug'
(1929), 'Happy End' (1929) ein Stück von Elisabeth Hauptmann,
veröffentlicht mit Brecht unter dem Pseudonym Dorothy Lane, 'Die
heilige Johanna der Schlachthöfe',
'Der Jasager', 'Die Ausnahme und die Regel'
(1930) und 1928 der Welterfolg ‘Die
Dreigroschenoper’.
Bei allen Bekanntschaften, Liebschaften, Ehen versucht Brecht die
jeweils Verlassenen zu besänftigen und nahe bei sich zu behalten wie
er auch auf die Neuen einwirkt, sich nicht von den Vorhergehenden
und ihm selber abzuwenden.
Alle sind ihm wichtig und er entwickelt über die Jahre ein geradezu
ausgeklügeltes System von Beschwichtigungen, Versprechen und eben
auch Lügen.
Da wird der einen vorgemacht, sie sei die einzige, die Klasse habe
und die zu ihm passe - bald darauf erfährt diese Frau, dass Brecht
mit der nächsten ein Kind hat, was er bestreitet und er der Belogenen
mitteilt, er habe sich an kein anderes Kind gewöhnt und werde es
auch nie tun, sich an ein anderes Kind zu gewöhnen.
Seine Phantasie treibt hier merkwürdige Blüten, die darauf beruhen,
dass er vom Machtanspruch des Mannes ausgeht, der Mann könne
verlangen, die Frau habe zu geben, bzw. die Einstufung der Frau als
vom Mann nehmenden Teils. Noch 1903 veröffentlichte Weininger seine
Ansichten zur Rolle der Frau. Wird das Jahr 1923 zugrunde gelegt, so
war dies gerade erst einmal zwanzig Jahre her und der heranwachsende
Brecht kannte nichts anderes.
Er nimmt sich zwei Buchhändlerinnen, Käthe und Franziska, Sophie die
Tochter der Milchfrau, nur die Friseuse Rosemarie will ihn nicht -
konnte ihn wohl nicht riechen.
Sie ist somit nicht seine erste weibliche Bekanntschaft, die
Augsburger Arzttochter Paula Banholzer, aber wohl seit 1917 eine
erste echte Liebe, die am 3.4.1919 zur Geburt des Sohnes Frank führt.
Brecht hält bei Vater Banholzer um die Hand der Tochter Paula an,
der aber zieht es vor, das Kind in der Abgeschiedenheit des Allgäuer
Dorfes Kimratshofen zur Welt bringen zu lassen, wo es in den ersten
Lebensjahren bei den Großeltern und anschließend zunehmend von
anderen Frauen, auch denen um Brecht, betreut wird. 1942 kommt Frank
bei einem Attentat auf ein Wehrmachtskino an der Ostfront ums Leben.
Gleich nach dem ersten Weltkrieg nimmt Brecht Kontakte zu Münchener
Theatern auf.
Er macht 1919 die Bekanntschaft mit Karl Valentin und Lion
Feuchtwanger, der sich für ihn in München verwendet.
Über ihn lernt er dort auch die Studentin Marieluise Fleißer kennen,
er vermittelt sie später, als er dort selber Fuß fasst nach Berlin
mit ihrem Stück ‘Pioniere in Ingolstadt’. Da er bei letzterem
Co-Regie führt und er ohne Wissen der Autorin Verstärkungen am Stück
vornimmt, in die Darstellung Vergewaltigungsszenen auf offener Bühne
einfügt, führt dies zu einem außerordentlichen Theaterskandal. Die
Fleißer wird in ihrer Heimatstadt Ingolstadt geächtet, sie trennt
sich von Brecht und rechnet in ‘Der Tiefsseefisch’ mit seiner
ausbeuterischen Arbeitsweise ab. Erst viel später kommt sie wieder
zum Schreiben und wird mit ihren Stücken nach ‘68 wieder in die
Spielpläne aufgenommen.
An den Münchner
Kammerspielen sieht Brecht Anfang der 20-er Jahre die 1900 geborene Schauspielerin
Carola Neher.
Sie spielt in der belanglosen Komödie ‘Kukuli’. Neben ihr, als
Negerdienerin, die spätere Frau von Heinrich George, Berta Drews. Als
die Neher die Kollegin, diese von oben bis unten braun angemalt,
sieht, verlangte sie für die Drews ein Kattunhemd und argumentiert:
'Das zeigen von wohlgebildetem Fleisch sei ihr Vorrecht und ein Teil
ihres Erfolgs.'
Als die 'Dreigroschenoper' später, ab Juli 1929 an den Kammerspielen
im Schauspielhaus in München läuft, da nun mit Berta Drews als Jenny
und Therese Giehse und Harry Buckwitz. 1958 spielt die Drews dann
die Celia Peachum im Schlossparktheater Berlin.
Für die Uraufführung der 'Dreigroschenoper' 1928 vorgesehen, übernahm
die Neher erst später die Rolle. Da ihr Mann Klabund zur gleichen
Zeit der Proben in einem Züricher Sanatorium an TBC leidend stirbt,
reist sie ab und die Rolle musste zur Premiere umbesetzt werden.
Bei der Neher sei es überraschend gewesen, “wie sie es verstanden
hat, die Dialoge im Sinne der Brecht’schen Verfremdung vollendet zur
Wirkung zu bringen.“ (Drews)
Das ‘holde Liebkerlchen weiblichen Geschlechts’ (Kerr) die Neher
heiratet den Kommunisten Anatol Becker, geht wie er nach Russland
und wird wie er in trotzkistischen Säuberungsprozessen 1942 von
Stalin umgebracht.
Die Münchener
Kammerspiele nehmen 1922 ‘Trommeln in der Nacht’ in den Spielplan,
Brecht wird Dramaturg an den Kammerspielen, das Residenztheater
spielt 1923 ‘Im Dickicht der Städte’ und das Alte Theater Leipzig
den ‘Baal’.
Am 3.11.22
heiratet Brecht in München die Mezzosopranistin Marianne Zoff, die
Geburt der gemeinsamen Tochter Hanne folgt am 12.3.23, also relativ
kurz nach der Eheschließung mit der Sängerin. Hanne Hiob, der
Künstlername der Tochter, spielt 1959 am Deutschen Schauspielhaus in
Hamburg die Hauptrolle in ‘Die heilige Johanna der Schlachthöfe’ in
der Regie von Gustav Gründgens.
Parallel zu der Ehe mit Marianne Zoff unterhält Brecht eine
Liebesbeziehung zu Hedda Kuhn, die in München Medizin studiert.
Und Marianne Zoff lässt sich 1928 von Brecht scheiden. Sie heiratet
später den Schauspieler Theo Lingen, mit dem sie eine Tochter hat.
Ursula Lingen setzt die Schauspielerdynastie fort.
Bereits nur etwas
mehr als ein Jahr nach der Geburt der Zoff-Brecht-Tochter Hanne,
wird am 3. November 1924 - also während der Ehe mit Marianne Zoff -
Sohn Stephan in Berlin geboren - die Mutter ist Helene Weigel, eine
Jüdin, die in Wien geboren ohne Unterstützung durch die Eltern
Schauspielerin wird, ans Frankfurter Theater engagiert, dort auch
die Marie im ‘Woyzeck, die Paula Piperkarcka in den ‘Ratten’ spielt,
bald darauf nach Berlin geht und dort als Klara in ‘Maria Magdalena’
- dem Werk, das am Oberpfälzer Metropol-Theater Regensburg so grandios in den
Teich ging, falsche Besetzung in der dadurch schon belasteten Wüllenweber’schen Regie und den unpassenden Kostümen wie
auch dem
Bühnenbild von Lichtenberg.
1929 wird die Ehe Bert Brecht - Helene Weigel geschlossen. Am 28.
Oktober 1930 kommt die gemeinsame ‘’Brecht/Weigel-Tochter Barbara in
Berlin zur Welt.
Die Weigel hat als
Schauspielerin Erfolg in Berlin.
Brecht arbeitet mit ihr, leitet sie an, im Spiel zu reduzieren,
zurückzunehmen, um aus dem damals über die Jahrhundertwende
geführten Burgtheater lauten Sprechen und Outrieren, aus dem
übertriebenen Spiel des Stummfilms herauszukommen, so dass es mit
der Auffassung Brechts und seinem neuem Theater- und Schauspielstil
in Übereinstimmung kommt, nicht ‘Hamlet’ oder ‘Johanna’ zu sein,
sondern die Figuren vorzuführen, um das
Publikum vom Einfühlen weg zu bewegen, dass es zu Einsichten käme.
Brecht wollte über das Theater das Publikum und damit die
Gesellschaft verändern.
Noch im
Geburtsmonat von Stephan Weigel, November 1924, beginnt die
Bekanntschaft und Liebschaft Brechts zur Lehrerin Elisabeth
Hauptmann, die sich in Berlin studierend weiterbilden will, aber vom
Vater für dieses Unternehmen keine Unterstützung erhält.
Die amerikanische
Mutter hatte die Tochter Elisabeth zweisprachig erzogen, so dass sie
englische Übersetzungsarbeiten für Verlage durchführen kann, sich
über die Literatur englischer Zeitung sprachlich weiterbildet und so
von den erneuten Erfolgen, 200 Jahre nach der Uraufführung der
Beagger’s Opera von Gay und Pepusch aus Londoner Zeitungen erfährt.
Für Brecht übersetzt sie das Stück und ist später maßgeblich an der
Gestaltung wie auch an dem Stück ‘Happy End’, das 1929 herauskommt,
aber keinen Erfolg hat und später als ‘Die Heilige Johanna der
Schlachthöfe’ umgearbeitet wird, beteiligt.
Auch während des Exils in den USA ist sie weiter für Brecht tätig,
hofft immer wieder, von Brecht aufgrund ihrer Mitarbeit geehelicht
zu werden - dies kommt nicht zustanden. Selbst ein Selbstmordversuch
bringt ihn nicht dazu, die Weigel zu verlassen.
Da Brecht seit seiner Augsburger Zeit - damals mit seinen
Schulkameraden - gewohnt war, im Kollektiv mit anderen zu arbeiten,
führt sich hier mit der Hauptmann nur etwas fort, das für ihn die
ideale Kreativität bedeutet - gemeinsam, jeder bringt sich ein und
über allem steht sein Name.
1943 heiratet Elisabeth Hauptmann den Komponisten Paul Dessau,
arbeitet nach dem Krieg als Dramaturgin am BE und verwaltet später
den Nachlass Brechts.
In dieses
Literaturkollektiv tritt Anfang 1932 Margarete Steffin. Die
TBC-Kranke widmet sich vollständig Brecht und seinen Werken. Was er
tagsüber formuliert und handschriftlich niederlegt, schreibt sie
nachts auf der Schreibmaschine ab.
Die Weigel, auf der Bühne als Schauspielerin und im Haushalt als Mutter
und Ehefrau, daneben die Hauptmann und die Steffin als Mitarbeiterinnen und
Geliebte.
Auf dem Weg ins Exil nach Amerika muss Brecht die Steffin in einem
Moskauer Krankenhaus zurücklassen, Maria Osten, die Brecht über den Malik-Verlag
in Berlin kannte, will sich um sie kümmern, aber die Steffin stirbt
am 4. Juni 1941 in
der Klinik.
"Brecht fraß viel Leben!" (Feuchtwanger)
Die Osten wird am 16. September 1942 wegen angeblicher Spionage in
Saratow erschossen. 1957 - nach Stalins Tod - wird sie rehabilitiert.
Brecht ist sechs Tage vor diesem 4. Juni 1941 mit seiner Großfamilie, in die
inzwischen auch die dänische Schauspielerin Ruth Berlau aufgenommen
wurde, weiter über Wladiwostok nach Los Angeles unterwegs. Auch die Berlau
will den Dichter für sich allein. Schon in Europa drängte sie sich
ihm regelrecht auf, wenn ihr von den anderen Damen der Platz neben
ihm verweigert wurde, schlägt sie einfach ein Zelt neben dem Wohnhaus
auf oder trifft sich mit Brecht in den umliegenden Wäldern.
Während er in Kalifornien Unterkunft
findet, wohnt sie in New York, wo sie der Dichter einmal im Jahr
besucht. Die Frühgeburt und der Tod eines Kindes von Brecht
belasten ihre Psyche schwer.
Nach dem Exil in den USA - während seiner letzten Jahre in Berlin
tritt Brecht Käthe Reichel nahe, sie kann ihn aber nicht für sich
gewinnen und will sich das Leben nehmen, als er mit Käthe Rülicke
und Isot Kilian Liebesverhältnisse eingeht.
Ruth Berlau wird in Berlin
angesichts dieser jungen Brecht-Liebhaberinnen zur Alkoholikerin und bezeichnet sich selber als Hure eines
Klassikers.
Sie arbeitet im Archiv des BE und wird nach dem Tod von
Brecht von Helene Weigel gekündigt. Am 16. Januar 1974 stirbt sie in
der Charité – eine Zigarette im Bett geraucht, bringt ihr den
gleichen Tod wie auch Ingeborg Bachmann drei Monate vorher.
Die ‘Hauptfrau’ Weigel wirkt auch als Brechts Beauftragte, für
Marianne Zoff-Brecht und die kleine Hanne eine Wohnung in Berlin zu
suchen - die damals Noch-Gattin - verzichtet.
Auch Paula Banholzer soll mit Frank nach Berlin umziehen, aber diese
erste wirklich geliebte Frau bleibt lieber in Augsburg bei einem Kaufmann Hermann
Groß - gibt aber den Sohn Frank in die Obhut der Weigel, die ihn bei
österreichischen Verwandten unterbringt.
Der Versuch der Weigel, sich deutlicher an der
Arbeit der Dichtungen zu beteiligen, es den Mitarbeiterinnen
gleichzutun und auch Texte mit der Maschine zu schreiben, führt zu
einer Sehnenscheideentzündung und so muss sie den Versuch, Brecht
über diese Weise seiner schriftstellerische Arbeit näher zu kommen, aufgeben.
Für das Theater am
Schiffbauerdamm sucht 1928 der neue Pächter Ernst Josef Aufricht ein
Eröffnungsstück für die kommende Spielzeit 1928/29.
Brecht bietet ihm die von Elisabeth Hauptmann gerade übersetzte
‘Beggars Opera’ an, er erhält den Zuschlag und Felix Bloch Erben
schließen am 26. April 1928 einen Vertrag für ein noch nicht
geschriebenes Stück.
Um dem Berliner Trubel zu entgehen, ziehen sich Brecht, Elisabeth
Hauptmann und der Komponist Kurt Weill mit seiner Frau Lotte Lenya
in das südfranzösische St. Cyr-sur-Mer zurück.
Brecht schreibt der Weigel: “Ich war [...] fast immer schlecht
gelaunt [...] weil es zu heiß war. [...]“
Die Proben zu dem neuen Stück, noch ohne Titel - angedacht war:
‘Gesindel’ oder die ‘Luden-Oper’ - beginnen am 10.August 1928 in
Berlin, während derer noch ständig am Text und der Komposition
gearbeitet wird.
Soweit noch zu recherchieren, schlägt Marta Feuchtwanger dann den
Titel ‘Dreigroschenopfer’ vor. Sie, die jüdische Ehefrau des Juden
Lion Feuchtwanger, Theaterkritiker und Publizist, 1893 in München
geboren, ist mit ihm seit 1925 in Berlin und nimmt lebhaft Anteil an
der Entwicklung Brechts in der Reichshauptstadt. Nach ’33 müssen
beide emigrieren, zunächst nach Frankreich, 1940 dann in die USA.
Die Uraufführung der 'Dreigroschenoper' findet am 31. August 1928 im Theater im
Schiffbauerdamm in Berlin statt.
Celia Peachum spielt Rosa Valetti. 1873 in Berlin geboren, ist
sie anfänglich dort auf Vorstadtbühnen zu sehen, sie begegnet
Tucholski und gründet das Café des Westens, ein Künstlerlokal, aus
dem 1901 die Entwicklung des deutschen Kabaretts ’Überbrettl’ und
’Schall und Rauch’ von Max Reinhardt hervorgeht.
Polly ist Roma Bahn für die zu ihrem kranken Mann Klabund
nach Davos gereiste Carola Neher. Roma Bahn ist eine an der
Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin ausgebildete
Darstellerin, die zunächst in Frankfurt am Main wirkt, 1926 zu Max
Reinhardt ans Deutsche Schauspielhaus geht. Sie spielt Rollen des
Klassikfachs, die Desdemona und Wedekinds Lulu.
Lucy ist mit Kate Kühl besetzt, eine ausgebildete
Oratoriensängerin, für die die Rolle der Lucy, als für einen
Koloratursopran geschrieben, in der Tessitura zu hoch liegt, so dass
die die Szene 8 in toto gestrichen werden muss.
Nach dem Krieg ist Kate Kühl bei Brecht am BE engagiert, hat Kontakt
zu Erwin Piscator, Hanns Eisler und Boris Blacher, geht in den
Westen und setzt sich für die Nichtwiederaufrüstungspläne der SPD
ein.
Die Angabe der Besetzung der Jenny mit Lotte Lenya fehlt auf dem
Besetzungszette von 1928l. Man hatte sie in all’ den Schwierigkeiten der
Premieren-Vorbereitung vergessen, Kurt Weill tobte dieserhalb. Ihn
hatte die Lenya über Georg Kaiser kennen gelernt, 1926 heiraten sie,
1927 ist sie bei der Uraufführung des Songspiels 'Mahagonny' in
Baden-Baden dabei, 1928 eben als Jenny in der 'Dreigroschenoper'.
Gemeinsam tritt sie mit dem Tenor Pasetti bei der Uraufführung der
Brecht/Weill-Oper ’Die sieben Todsünden’ 1933 in Paris auf.
Die Affäre mit dem Tenor Pasetti geht zu Ende und Weill und die
Lenya heiraten 1935 wieder, leben in der Emigration in Amerika. 1950
stirbt Weill, die Lenya tritt weiter international auf, spielt
Filmrollen und gründet das wichtige Weill-Archiv, die
Weill-Foundation.
Helene Weigel wird krank und kann nicht in der Uraufführung der 'Dreigroschenoper', der Rolle der Frau Coaxer auftreten.
Die Rolle entfällt.
Die Kontakte zu Verlegern und Theatern bleiben
bei Brecht - er versteht es, seine Vorstellungen durchzusetzen, was
sich in für ihn günstigen Verträgen auszahlt.
Dass er aber auch in der Zusammenarbeit mit anderen immer seinen
Vorteil sieht, ist klar erkennbar bei der Verteilung der Tantiemen
der ‘Dreigroschenoper’. Er sieht für sich den Löwenanteil
gerechtfertig.
Alfred Kerr wirft ihm die Nutzung der Texte von Villon für die Dreigroschenoper vor. Brecht ist bereit, dem
Übersetzer jener Texte ein höheres Honorar zu zahlen.
Kurt Weill - vor allem aber seine Frau Lotte Lenya, wiederum
kritisiert, Brecht habe sich bei der 'Dreigroschenoper'
unberechtigterweise die höheren Tantiemen zugebilligt, diese trägt
mit zur Verstimmung und einem Aussetzen der Zusammenarbeit zwischen
Textdichter und Komponist bei.
|
|
Am 31. August 2008
feierte das BE Geburtstag.
Stefan Kurt,
der Macheath, machte
am Ende
einer Robert-Wilson-Produktion der Dreigroschenoper das Publikum
darauf aufmerksam, dass vor gerade einmal 80 Jahren der Welterfolg
der Dreigroschenoper hier in diesem Theater am Schiffbauerdamm seine
Uraufführung erlebte.
DH
|