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04.01.2010 - dradio.de

 


       Damals in Regensburg

      26.09.2008

 

Theater Regensburg

 


Premiere
 

26. September 2008  
 

Die Dreigroschenoper

Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern

von Bertolt Brecht (1898-1956)
nach John Gays „The Beggar‘s Opera“,
übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann
Musik von Kurt Weill (1900-1950)

Inszenierung: Petra Wüllenweber
Musikalische Leitung: Jochen Kilian
Choreografie: Jan Pruditsch
Bühne und Kostüme: Frank Lichtenberg

 

 
 
   
Announcement Theater Regensburg

Zitat

Jeremiah Peachum, genannt der Bettlerkönig, ist Unternehmer. Sein Geschäft ist das Mitleid. Und dieses Geschäft betreibt er systematisch und professionell mit einer großen Reihe von „Mitarbeitern“, die er zu bemitleidenswerten Krüppeln ausstattet und in die Stadt schickt, damit die Bürger sich von ihrem schlechten Gewissen freikaufen. Der Verbrecherkönig Macheath, genannt Mackie Messer, und seine Mitarbeiter ziehen es vor, die Reichen der Stadt ungefragt um ihren Besitz zu erleichtern. Das personifizierte Streitobjekt der beiden Geschäftsleute ist Peachums Tochter Polly, die Macheath hinter dem Rücken ihrer Eltern heiratet. Als Peachum von der Hochzeit erfährt, hetzt er Macheath den Polizeikommissar Brown auf den Hals. Und nun wird es selbst für einen Verbrecherkönig mit erstklassigen Kontakten zur Obrigkeit eng, und nur noch ein deus ex machina könnte ihn aus dieser Situation befreien ...
John Gays und John Christopher Pepuschs 1728 entstandene „Bettleroper“ bildet die Vorlage für Brechts 1928 in Berlin uraufgeführte „Dreigroschenoper“, die zum größten Theatererfolg der Zwanziger Jahre wurde. Und bis heute ist Macheaths Frage, was denn schon der Einbruch in eine Bank im Vergleich zur Gründung einer Bank sei, von zeitloser Aktualität. Bertolt Brecht war gerade 30 Jahre alt und arbeitete seit vier Jahren als Dramaturg in Berlin, als er mit der „Dreigroschenoper“ in nur drei Wochen eines der bekanntesten Bühnenstücke des 20. Jahrhunderts schrieb. In diesem Werk vereinen sich Brechts Anspruch, politische Verhältnisse auf der Bühne zu spiegeln und der von ihm geforderte Unterhaltungswert von Theater nahezu perfekt. Keinen geringen Anteil daran trägt natürlich Kurt Weills Musik, mit ihren schrägen und doch einprägsamen Melodien wie beispielsweise der Moritat vom „Mackie Messer“.

Besetzung

 
   
Moritatensängerin Gabriele Fischer
Jonathan Jeremiah Peachum Florian Münzer
Celia Peachum Doris Dubiel
Polly Peachum, ihre Tochter Nikola Norgauer
Macheath, Chef einer Platte von Straßenbanditen Paul Kaiser
Brown, Polizeichef Oliver Severin
Lucy Anna Dörnte
Münzmatthias Michael Morgenstern
Hakenfingerjakob Christoph Bangerter
Trauerweidenwalter Jochen Paletschek
Filch, einer von Peachums Bettlern Roman Blumenschein
Weitere Bettler Johanna König, Oliver Severin, Anna Dörnte, Christoph Bangerter, Michael Morgenstern
Pastor Kimball Roman Blumenschein
Spelunkenjenny, Hure Gabriele Fischer
Weitere Huren Johanna König, Anna Dörnte, Roman Blumenschein, Florian Münzer,
Michael Morgenstern
Smith, erster Konstabler Jochen Paletschek
Konstabler Roman Blumenschein
Liveband unter der Leitung von Jochen Kilian / Leonhard Garms
Statisterie  

Zitatende
 

 

 

Während die originäre John-Gay-Fassung unverhohlen das brutale Profitstreben des  Unternehmers durch Spott kritisierte, thematisiert Brecht - schon 1928 - die heute aktueller den je anfallenden kriminellen Unternehmungen der Räuber in Großkapital und Banken, die Bestechungsskandale von Staat und Politiker wie Vorständen und Aufsichtsräten, den Waffenhandel und die angezettelten Kriege. 

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Bundesrechnungshof rügt KfW

Die KfW steht weiter unter Beschuss: Jetzt übt der Bundesrechnungshof harsche Kritik an der Staatsbank. Den Prüfern zufolge wurde die KfW ihrer Verantwortung als Förderinstitut des Bundes beim Absturz der Düsseldorfer IKB nicht gerecht.

 

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Steinbrück will Bankmanager für Fehler haften lassen

Er hat die Spitzenmanager deutscher Banken nach Berlin bestellt - und drängt auf strengere Gesetze: Finanzminister Steinbrück will die Spekulation auf den Finanzmärkten deutlich beschränken. Im Bundestag verurteilte er das "wahnsinnige" Streben nach Rendite.

 

 



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Ein Hedgefonds namens USA


Für ihren Plan, der Wall Street ein 700-Milliarden-Dollar-Paket maroder Papiere abzukaufen, wird die US-Regierung heftig kritisiert. Dabei kann das Engagement durchaus rentabel sein - wenn der Preis stimmt. Immer mehr Hedgefonds machen vor, wie es geht. Die Pointe: Vom Rettungsplan kann diese Branche so oder so profitieren.
 
 

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Brecht nimmt in seinen Texten immer wieder Bezug auf die Bibel. Zitate aus ihr werden verwendet, schon Peachum tritt mit einem Morgenlied auf den Lippen vor das Publikum:
"Wach' auf du verrotteter Christ!"

Verbindungen werden hergestellt wie zu jenem Donnerstag, da Jesus von
Judas verraten wurde - hier ist es Jenny, die ihren Macheath zum dritten Mal verrät und dem am folgenden Freitag der Tod durch Erhängen droht.

Die Hochzeit im Stall erinnert an Bethlehem und die drei Weisen sind die Leute von Mackie Messer, die mit Gaben zu ihm kommen.

Und in Regensburg betet
Frau Peachum fehlplaziert: "Komm Herr Jesus sei unser Gast!"

Brecht 'montiert gestohlene' Vorlagen zu einer eigenen Text-Version, die ohne die Komposition von Kurt Weill niemals die Wirkung als 'Stück mit Musik' hätten erzielen können.

Kurt Weill verwendet die unterschiedlichsten Stilrichtungen, auch um sich Brechts Texten anzugleichen - er vermischt in seiner Musik zur 'Dreigroschenoper' Elemente aus Jazz und Tango, Blues und Jahrmarkts-Musik und garniert sie mit ironischen Seitenhieben auf Oper und Operette. Eine Musiknummer, der Morgenchoral des Peachum, wurde aus der Vorlage von Johann Christoph Pepusch übernommen. Einarbeitet sind Balladen nach François Villon (u.a. Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet, Ruf aus der Gruft oder Die Zuhälter-Ballade) und Rudyard Kipling (Der Kanonensong).

Nicht nur, dass ein Werk mit so neuartiger Konzeption die Bühnen erobert, es folgen sehr schnell Schallplattenaufnahmen, an der namhafte Interpreten beteiligt sind.
Die Moritat singen u.a. Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Bing Crosby, Errol Garner, Frank Sinatra, Hildegard Knef, Helge Roswaenge, Wolfgang Neuss, René Kollo, Udo Lindenberg und Max Raabe.

Obwohl die Kritiken 1928 teilweise alles anders als wohlwollend sind.
Der eine nennt das Stück eine literarische Leichenschändung, der andere spricht von Wagemut, Temperament, Angriffslaune wieder ein anderer meint, in dem Stück stehe alles verständnislos der Gegenwart gegenüber. Im Übrigen flüchte man in die Vergangenheit.
Die Dreigroschenoper ist gerade heute nein zeitkritisches 'Gesamtkunstwerk', das beim Publikum auch in den Details haften bleibt.

 

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Brecht macht in seinen Anmerkungen zur 'Dreigroschenoper' genaue Vorgaben für die Regie, die Darsteller, das Bühnenbild.

Im Laufe der nunmehr 80 Jahre nach der Uraufführung - Frau Chefdramaturgin Bernau hatte sich während der Einführungsmatinee am 21.9.2008 verrechnet, sie kam nur auf 70 Jahre. Das Ensemble konnte den Fehler schnell korrigieren - verändert sich die Sichtweise.

Nach der Machtübernahme Hitlers darf das Stück nicht mehr gegeben werden - doch findet es den Weg in die Öffentlichkeit über die Ausstellung 'Entartete Kunst', bei der Teile von Tonträgern dem Publikum vorgeführt werden - mit entschieden anderem Erfolg, als was die Partei erreichen wollte.

1945 spielt  man in Berlin - mit Hubert von Meyerinck als Macheath - zum ersten Mal wieder 'Die Dreigroschenopfer' - 1946 in Prag, 1949 in München, 1954 mit Lotte Lenya als Jenny in New York, 1956 inszeniert Giorgio Strehler in Mailand.

Die so genannte 'DDR' okkupiert das Stück mit der Kritik am Westen, für den Osten sei es museal.
Das Neue Deutschland schreibt, die 'Dreigroschenoper' sei das Werk eines Moralisten, eines Hassers des Bürgertums, doch nicht das Werk eines Marxisten.
Die FAZ meint, sie sei ein klassisches Stück, sie eigne sich wenig für neuere Interpretationen, da der Westen sich selber für intakt halte. So wurde ein Unterhaltungsstück gegeben.

Erst in den späten 60-er Jahren werden beispielsweise Bilder aus Vietnam oder aus der Nazi-Zeit eingefügt und das Augenmerk richtet sich mehr auf die Politik.

 

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Und da fragt man -
was soll man dazu sagen

 


I
n Regensburg ist das Highlight des Abends - allerdings außerhalb des Zugriffs der Regie - wieder einmal die Verteilung von in 'Wurstpelle' verpackten Blumen durch die Vertreter der 'Theaterfreunde' an das im Stück beschäftigte Personal. Bei der 'Dreigroschenoper' dauert die Prozedur lange, glücklicherweise nicht zu lange, denn viele Darsteller haben mehrere Rollen übernommen, so dass immer nur ein Gebinde übergeben werden muss.
Der ganze Vorgang mutet sehr sozialistisch an - 'Die Linke' ist nicht mehr fern.

 

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Wer möglicherweise auch am 31. August 2008, dem Jahrestag der Uraufführung oder wann sonst auch immer, die Wilson-Produktion am BE gesehen hat, fragt warum nun hier das Stück und nur, um es zu konstatieren, dass die Wilson-Ästhetik nicht zu schlagen ist.

In Regensburg: Auftritt der Truppe, Akten werden geschreddert, eine Putzfrau sucht, die Schnipsel aufzusaugen, hebt noch verbliebenen ganzen Bogen auf, liest die Moritat.

Die Peachums, Blick ins Publikum nach dem Mann mit dem Armstumpf, Bürosessel, P-e-a-c-h-u-m, Einkleidung Filch, "und der Mond noch wächst" mit Blick auf Peachums sich nicht erhebendem Hosenschlitz. Aha!

Polly im Einkaufswagen, Eintreffen der Wohnungseinrichtung, Kaviar aus Dosen, statt vorgegebener Lachs,  'Pfarrer Blumenschein' bekommt unter der Soutane einen geblasen, ohne Reaktion zu zeigen , "kann ich mal ein Mikro haben" - "und das Schiff mit acht Segeln" bleibt ohne Reaktion des Publikums, '
Kanonensong' ohne Applaus - das doch wohl bezeichnend!

Es kann sich kein großer Bogen entwickeln, die Sache verfuzzelt in Details (Peek und Cloppenburg), Requisiten zu den bereits vorhanden hinzugeschoben, die Bühne füllt sich.

Auch "Der Mond über Soho"
verfehlt seine Wirkung.

Das Publikum findet keinen Zugang zur Darstellung der Handlung.

'Barbara-Song' - erst als Polly über die Zuschauer steigt, reagieren die Regensburger auf diese plumpe Anmache.

Und natürlich die Publikumsreaktion, wenn die Herkunft
'Prenzlauer Berg' auf breiteste Weise, laut und deutlich mit "Was denkst du dir eigentlich"
nicht zu verleugnen ist.

"Muss es ausgerechnet ein Pferdelagerer und Wegedieb sein".
(Probengag?)


Doris Dubiel zieht das Ganze hier wie damals als 'Mutter Pinneberg' oder 'die Tödin', nicht als 'Courage' und nicht als 'Zahnt', kaum als 'Frau Marthe', da ihr wesentliche Textpassagen gestrichen wurden.
Die Verhältnisse in Regensburg, sie sind nun einmal so!

Langbeinige Nutten, "die sexuelle Hörigkeit" - Jenny zutzelt so hübsch bei den 'S', wie "Litht eineth Weibeth".

Das "Bordell, wo unser Haushalt" war, wird vom Publikum kaum wahrgenommen.
An der 'Ballade vom angenehmen Leben' kamen dann die Regensburger doch nicht vorbei, man wurde langsam warm, fand den Faden.

"Was woar nacha des?" - das kam den Stadt- und Landbewohnern bekannt vor.

"Komm' heraus, du Schönheit von Soho" -
Was wollen schon Lucy und Polly, die beiden Tauben gegen 'Berlin Mitte' - "Und gleich zwei hat er dabei, dieser ....".


Zweites Finale - "... denn wovon lebt der Mensch?"

Hier Applaus, es ging ja in die Pause.

Etliche
der Zuschauer nutzten die Unterbrechung und verließen das Velodrom.

 

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Danach "Hast du Rose gekriegt, gibst du ein Euro".

Peachum als Moderator:
Je weniger Münzer an der Rolle kleben muss, desto stärker tritt er hervor und so geht's zur
'Kaffeefahrt mit Celia'.
"Stellen sie sich auf die Steinerne Brücke und sie kriegen gleich einen Euro!"

Und dann wieder sie: "Wolln'se 'n Kaffee oder 'ne Nutte?"

'Lied von der Unzulänglichkeit' fanden dann die Regensburger dann auch ganz nett,
dem Vorgang konnten sie folgen.

"Der Mensch ist gar nicht gut", der 'Salomo-Song' - beide ohne Reaktion aus dem Saal.

 

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Die  Damen treten per se deutlicher hervor.
'Mac' - der Kaiser soll's nun sein?
Da haben Palletschek mit nichts an Text mehr und Blumenschein in jeden Falle von sich aus schon.

Die Inszenierung liegt im Argen, es soll wohl alles 'jetzt' sein, stärkere Bezüge werden aber nicht hergestellt, die Lage der Nation bleibt unberücksichtigt, gehängt aber werden soll, des Königs reitender Bote erscheint nicht, es zu verhindern - wie nun?

Das Hier und das Heute?
Aus London so eine Art 'Tagesschau', zugeschaltet Herr Deppendorf (ha, ha) im Gespräch mit Macheath, der verkündet, alte Seilschaften seien in höchster Not wichtig.

Der Einheitstopf, ein Eintopf - alles in einem - keine Trennung zwischen erhobenem Zeigefinger und dem Stück in London mit Königin-Krönung.
Auch oder gerade ein armes Theater kann hier beispielhaft wirken - die 'Brecht-Gardine' gäbe es vor.

Höbe man das Ehepaar Peachum als 'speaker' heraus, gruppierte im Zuspielen die anderen Darsteller hinzu - hätte man sehr leicht den Bruch, der notwendig ist zur Abgrenzung der einen Ebene zur anderen.
Aber in Regensburg hat man ja schon wieder Frau Petra Wüllenweber als Regisseurin.

"Passt schon - merkt eh' keiner!"

Ist man mit dem Stück nicht vertraut, ist alles schwer verständlich.
Verwirrung zusätzlich gestiftet für jene, die gänzlich unvorbereitet kommen.


Sperrig, hakig der Ablauf- der Zugang wird nicht bereitet, Möglichkeit für Erläuterungen durch Projektionen werden spärlich genutzt.

Es hängt alles, schleppt dahin, das Ensemble bemüht sich wohl um einen eigenen Spaß.
Da fehlte, wie zu vermuten ist, die, in jeder Hinsicht, kreativ ordnende Hand der Regie von Frau Wüllenweber.

 

 

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.

Dieter Hansing