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Am Ende geht es nur noch ums Lösegeld
 

Leitmotiv

Die Berliner und Leipziger Opernkrisen werden allmählich unerträglich ·
Von Gerhard Rohde


 

(nmz) -

Gleich an zwei großen deutschen Opernhäusern ist eine Krise ausgebrochen. An der Berliner Lindenoper wird der Intendant fristlos entlassen, an der Oper Leipzig wurde erst der Intendant aus seinem Vertrag bei Fortzahlung der Gage freigestellt, dann engagierte man einen progressiven Opernregisseur als „Chefregisseur“ – hinter dem Rücken des Generalmusikdirektors, der zuvor schon die Ablösung des alten Intendanten betrieben hatte und nun empört über das Verhalten der Leipziger Kulturpolitik ist.

Ein Artikel von Gerhard Rohde.

Ausgabe: 
 

6/08 - 57. Jahrgang

Die Vorgänge in Berlin und Leipzig wurden und werden in der Öffentlichkeit vor allem als interne Krisen wahrgenommen. Die Berichterstattung in den Medien findet dabei, wie immer bei Konflikten im Theaterbetrieb, entschieden größere Beachtung als noch die wichtigste Premiere. Wenn Zwei sich in der Oper streiten, freut sich das Lesepublikum. Die Auseinandersetzungen zwischen Intendanten, Musikdirektoren, Verwaltungschefs, Stiftungsgremien im Fall Berlin und der Kulturpolitik wirken inzwischen wie eine albtraumartige Groteske. Wir wollen hier die inzwischen ins Uferlose strömenden Einzelheiten nicht wie bei einer gerichtlichen Beweisaufnahme minutiös rekapitulieren – dafür reicht der Platz gar nicht aus – nur vielleicht einmal bestimmte Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten benennen.
 

Das Hauptübel sowohl in Berlin wie in Leipzig liegt darin, dass bei der Besetzung der leitenden Posten in den Opernhäusern den Politikern gravierende Fehler unterlaufen. Diese Fehler sind unvermeidlich, weil den Politikern das dafür erforderliche Fachwissen, selbst ein solides Allgemeinwissen, nicht zur Verfügung steht. Sie wissen nicht, wie ein Opernbetrieb speziell heute läuft. Sie kennen die Künstler nicht, die sie ins Auge fassen, die ihnen, und das ist am schlimmsten, von irgendwelchen außenstehenden Einflüsterern anempfohlen, ja oft aufgeschwatzt werden. Sie haben, und das wirkt sich letztlich am nachteiligsten aus, nicht die geringste Vorstellung, was sie mit ihrer Oper eigentlich wollen, welchen Stellenwert sie dem Haus in der städtischen Bürgergemeinde einzuräumen gedenken. Davon hängt schließlich ab, wieviel eine Oper einer Stadt, ihren Bürgern wert ist. Sprich: die Höhe der Zuschüsse.

Man kann nicht, wie in Leipzig, mit einem berühmten Orchester einen international renommierten Dirigenten anlocken, ihm auch noch die Oper musikalisch anvertrauen, und dann, nachdem man auf Betreiben eben dieses Dirigenten (Riccardo Chailly) erst den alten Intendanten (Henry Maier) zum für die Stadt teuren Spaziergänger degradieren, danach, zweitens: hinter dem Rücken des Dirigenten einen progressiven Opernregisseur als Chefregisseur des Hauses mit allen Vollmachten verpflichten, bloß weil man glaubt, dass nur ein großer Name (Peter Konwitschny) dem Renommee der Stadt gut anstehen könnte. Gleichzeitig aber hat die Stadt wohl kaum das Geld, um die Oper für zwei ehrgeizige „Groß-Künstler“ entsprechend auszustatten. Die Großmannssucht eitler Kommunalpolitiker, die ihre Grenzen nicht wahrhaben wollen oder können, wird wohl letztlich zu neuen Verteilungskämpfen führen.
 

In Berlin erscheint die Situation noch komplizierter. Auf Vorschlag von Dirigent Daniel Barenboim war der Regisseur Peter Mussbach zum Intendanten der Lindenoper ernannt worden. Dabei spielte die Freundschaft zwischen beiden eine größere Rolle als der Verstand: Einen so vielbeschäftigten und international begehrten Opernregisseur wie Mussbach macht man einfach nicht zum Intendanten. Das funktionierte noch vor Jahrzehnten zu Zeiten eines Günther Rennert (in Hamburg und München), aber inzwischen haben sich die ökonomischen, organisatorischen, auch künstlerischen Anforderungen an einen Opernchef so gesteigert, dass eine Intendanz ein Vollzeitjob ist. Und was hier für einen Regisseur gesagt ist, gilt auch für einem Chefdirigenten, der womöglich auch gern Intendant sein möchte. Er soll dirigieren und seine Kapelle auf Trab halten, das ist anstrengend genug.

Spätestens als Barenboim seinen Vorschlag den politischen Gremien der Stadt Berlin unterbreitete, hätte ein halbwegs informierter, am besten auch gebildeter Kulturpolitiker widersprechen müssen: Freundschaft hin, Regiegenie her – als Intendant eines großen Opernhauses taugt er mir nicht! Jetzt ist alles Porzellan zerschlagen. Der Intendant, der es wagte, die Majestäten in Poltik und Opernstiftung verbal zu attackieren, wurde fristlos gefeuert – auf den sicher kommenden Prozess darf man sich freuen, das wird, wie in Leipzig, die öffentliche Hand ein hübsches Lösegeldsümmchen kosten. Chaotisch ist auch die Lage auf der Verwaltungsebene der Lindenoper. Zehn Millionen Euro zusätzlicher Zuschuss für die Lindenoper wecken im Haus Begierden. Die große Renovierung des Hauses steht 2010 bevor, ein jahrelanger Außenbetrieb im Schillertheater muss geplant und organisiert werden. Der Ruf nach einer Übernahme der Oper Unter den Linden durch den Bund wird wieder laut. Dabei bezahlt der Bund bereits die mehr als zweihundert Millionen teure Restaurierung des Theaters. Und Daniel Barenboim gibt sich, konfrontiert mit der Lage, unsympathisch gelassen: Ihm kann nichts passieren, er ist der Größte. Kein Politiker wird es wagen, ihn als Musikchef in Frage zu stellen. Schon gar nicht der amtierende Bürgermeister und Auch-Kultursenator Wowereit, der sicher die nächsten gesellschaftlichen Termine im Kopf hat, aber keine Ahnung, wie es in einem geordneten Opernhaus zugehen müsste.
 

Durch ihre inkompetenten Entscheidungen sowohl in Leipzig als auch in Berlin haben die kulturpolitisch Verantwortlichen in beiden Städten ihrer jeweiligen Bürgerschaft einen schweren Verlust zugefügt, im Ansehen wie auch finanziell. Aber das Wort Verantwortung ist ja weitgehend zwar nicht aus dem Wortschatz aber aus der Realität der Politikerkaste verschwunden.