Theater Regensburg
08.10.04


"
Der Jud' muss brennen"

 

 
     

 

 
   
     
 


Regensburg - Theater am Haidplatz
Gotthold Ephraim Lessing    Nathan der Weise
Regie: Gudrun Orsky 
Bühne und Kostüme: Karlheinz Beer



 

 

Gotthold Ephraim Lessing
- geboren 1729 in Kamenz, 1791 in Braunschweig gestorben - schuf als Begründer des deutschen klassischen Theaters mit 'Miß Sara Sampson' ein Schauspiel, in welchem er
der Lichtgestalt Sara erstmalig einen fraulich-reifen Chraktertypus in der Marwood entgegenstellt und die Emilia sieht sich in 'Emilia Galotti' der Gräfin Orsina gegenüber.

Schiller übernahm in 'Kabale und Liebe' dieses Schema. Er konfrontierte Luise Miller mit der Lady Milford und Goethe kreierte das gegensätzliche Frauen-Paar Maria / Adelheid. 

Das Hell-Dunkel-Schema fand Einzug in die Opernlibretti. Bei Carl-Maria von Werbers 'Euryanthe' muss sich die Titelfigur mit Eglantine auseinandersetzen und Richard Wagner sieht die Venus als Counterpart zur Elisabeth im 'Tannhäuser' und im 'Lohengrin' die Elsa der Ortrud gegenüber gestellt.

Von 1767 war Gotthold Ephraim Lessing Dramaturg am Hamburger Nationaltheater bis ihn der Braunschweiger Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand 1770 als Bibliothekar nach Wolfenbüttel berief.
Lessings 'Minna von Barnhelm' wurde in Hamburg uraufgeführt und es entstand die Mitschrift der Vorstellungen als 'Hamburger Dramaturgie'.
Im Laufe dieser Hamburger Zeit machte Lessing Bekanntschaft mit Klopstock, Herder, Claudius und Hermann Samuel Reimarus - einem Professor für orientalische Sprachen.
Dessen Kinder überließen beim Tod des Vaters Lessing eine Sammlung von mehr als 1.000 Blättern aus Schriften, die Lessing nach der Annahme der Stelle eines Bibliothekars an der Wolfenbütteler 'Bibliotheka Augusta' unter ‘Fragmente eines Ungenannten’ veröffentlichte.

Reimarus hatte sich in seinen Schriften mit Fragen der Religion auseinandergesetzt und unter dem Zeichen der Vernunft und der Aufklärung Aussagen auch des Alten Testaments in Frage gestellt.

Lessing gab diese Texte heraus unter den Titeln:

- Von der Verschreiung der Vernunft auf den Kanzeln
- Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben können
- Durchgang der Israeliten durch rote Meer
- Dass die Bücher des A.T. nicht geschrieben wurden, eine Religion zu offenbaren
- Über die Auferstehungsgeschichte

Nach Reimarus sollte der Vernunft ihr Recht widerfahren und alles unter den Gesichtspunkten der Vernunft überprüft werden - auch die Bibel. Der Vernunft-Glaube will die Leicht-Gläubigkeit ersetzen durch einen denkenden Glauben. Die biblischen Wunder seien weder Beweise, noch Mysterien des Glaubens, sie ließen sich natürlich bzw. vernünftig erklären, man sollte sie nicht länger als Stützen des Glaubens aufbrauchen.
Wie das Wunder der Auferstehung mit Vernunft nicht zu erklären ist. Handelst es sich dabei doch um ein Betrugsmanöver der Apostel.
Oder - um etwas aus der heutigen Zeit anzusprechen - in wieweit lässt sich das Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Marias vernünftigen Menschen fassbar machen.

Über diese Veröffentlichungen Lessing entspann sich ein jahrelanger in Publikationen ausgetragener Streit zwischen Lessing und einem Pastor Götze in Hamburg, der um die Fundamente des Glaubens fürchtete.


Gotthold Ephraim Lessing
*1729 in Kamenz
*1781 in Braunschweig

 

 

Da diese Diskussion eskalierte und der Erbprinz um seine Reputation fürchtete, verbot dieser seinem Bibliothekar weitere Schriften. Zunächst ließ Lessing im Ausland in Hamburg und Berlin seine Repliken auf die anwürfe eines Pastors der Hamburger Katharinenkirche, Johann Melchior Goeze, drucken, dann aber wurden auch diese ortsfremden Veröffentlichungen untersagt.

Es standen sich zwei unversöhnliche Parteien gegenüber - die orthodoxe Buchstabengelehrsamheit des Pastors Goeze, die stur auf den Machtinteressen von Staat und Kirche beharrte und aufseiten Lessings die Verfechter einer kritisch gebrauchten Vernunft, die als einzige Autorität nur sich selbst verpflichtet ist und der sich auch Staat und Kirche nicht entziehen können.

Wohl gibt es keine einzig wahre Religion und die Überlieferungen basieren nicht oder nicht nur auf einer historisch-realen Handlung, damit seien die Evangelien ausschließlich symbolhafte Leitfäden für eine spirituelle Entwicklung, in denen unterschiedliche antike Mythen, Motive des alten Testaments und möglicherweise Fragmente unterschiedlicher Lebensgeschichten eingearbeitet wurden.

Lessing suchte nach einer Möglichkeit, die dem Pastor Götze mit Predigten von seiner Kanzel gegeben war, sich zu äußern und fand sie im Theater.

Am 11. August 1778 schreibt er an seinen Bruder Karl:
„[...] Ich habe vor vielen Jahren einmal ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine Analogie mit meinem gegenwärtigen Streitigkeiten hat, die ich mir damals wohl nicht träumen ließ.
[...] Ich möchte zwar nicht gern, daß der eigentliche Inhalt meines anzukündigenden Stücks allzufrüh bekannt würde; aber doch , wenn Ihr, Du und Moses, ihn wissen wollt, so schlagt das Decamerone des Bocaccio auf: Giornata I. Nov. III Melchisedeh Giudeo. Ich glaube, eine sehr interessante Episode dazu erfunden zu haben , daß sich alles sehr gut soll lesen lassen, und ich gewiß den Theologen einen ärgeren Possen damit spielen will, als noch mit zehn Fragmenten. [...]“
(LSS XVIII, 285f.)

In seinem letzten Lebensjahrzehnt widmete sich Lessing vornehmlich dem Kampf gegen den Dogmatismus der Kirche und die Einmischung der Theologen in alle Bereiche des Lebens.

Deutlich wird dies auch in einem Brief an Karl Lessing vom 18. April 1779:
"Es kann wohl seyn, daß mein Nathan im Ganzen wenig Wirkung thun würde, wenn er auf das Theater käme, welches wohl nie geschehen wird. Genug, wenn er sich mit Interesse nur lieset,
und unter tausend Lesern nur Einer daraus an der Evidenz und Allgemeinheit seiner Religion zweifeln lernt."
(LSS XVIII, 304)

1783 - zwei Jahre nach seinem Tod - wird Lessings Nathan in Berlin uraufgeführt.
Kant veröffentlicht im selben Jahr seine ‘Kritik der reinen Vernunft’, Schillers Räuber werden in Mannheim dem Publikum vorgestellt, in Wien geht Mozarts ‘Entführung aus den Serail’ zum ersten mal über die Bühne.

Besetzung 08.10.04 - Theater Regensburg

Nathan Peter Heeg
Recha Anna Dörnte
Daja Silvia van Spronsen
Saladin Oliver Severin
Sittah Silvia Schuh
Derwisch Huber Schedlbauer
Patriarch Heinz Müller
Klosterbruder Christian Ballhaus
Tempelherr

Arthur Werner

 



 

 

Die Inszenierungen
Gerade nach 1945 erhielt Lessing's Nathan einen besonderen Stellenwert, als die Gräuel des deutschen Rassenwahns noch gar nicht richtig, eben erst langsam, erfassbar wurden. Problematisch hier die Gefahr, über ein Schauspiel die Bewusstmachung und Verarbeitung von Schuld nur zu verdrängen. Spricht Nathan von Gath als der Stätte seines Unglücks, wo Christen ihm die Familie ermordeten, so weiß jeder - heute mehr noch als am 7. September 1945 als der 71-jährige Paul Wegener in der Regie von Fritz Wisten am Deutschen Theater in Ost-Berlin den Nathan spielte - dass hinter diesem Ort Theresienstadt, Auschwitz oder Flossenbürg stehen und die Worte des Patriarchen: "Tut, nichts, der Jude wird verbrannt" eben weil er ein Jude ist, die das Grauen noch verdeutlichen.

Legt man den aktuellen Spielplan der deutschen Theater zu Grunde, so kann der Nathan z.B. in Wilhelmshaven wie auch in Münster besucht werden. Wie nun die Theater Lessing's Stück auf die Bühnen bringen, ist auf die unterschiedlichste Weise möglich. Es kann wie ein Märchen aus 1001-er Nacht, oder ohne jeden historischen Background gegeben werden, es kann heute spielen - mit einem Nathan als Mahner eingedenk der Judenvernichtungen im 3. Reich, oder mit einer Verbindung zum jetzigen Jerusalem als Anklage.

1981 versuchte Wiesbaden, den Nathan als boulevard-nahe Verwechslungskomödie einzurichten. Im gleichen Jahr inszenierte Claus Peymann den Nathan bildstark, was von der Kritik als Effekthascherei bezeichnet wurde. Ein Laufsteg von der Bühne in den Zuschauerraum, an dessen Ende Lessing als Puppte saß.
In Stuttgart wurde 1982 auf den Zeitgeschmack Rücksicht genommen, als die Darsteller in Punk- und Hippie-Kostümierung auftraten und in Essen wurde 1986 die Härte der Sicht gepriesen, da nach Auschwitz zu diesem Thema kein Lustspiel mehr möglich sei.
In der letzten Zeit setzte sich der Trend einer auf das historische Fundament aufgebauten Realisierung durch. Verfremdungen oder das Aufsetzen von Ergänzungen wie in 1988 in München, wo eine Gruppe Schwarzgewandeter die Schauspieler mit Judenstern auf die Bühne jagten, wurden als Übertreibungen und als unnötiges Beiwerk verurteilt.


Ernst von Kraus -
ehemals Schauspieler am
Theater Regensburg
als Nathan

 

 

20:45 /
Israelische Soldaten töten zwei Extremisten und elfjähriges Mädchen

16:41 /
30 Tote bei Bombenterror gegen Israelis in Ägypten

12:40 /
Sechs Palästinenser im Gazastreifen getötet


10:00 /
Bombenterror gegen Israelis im Touristenparadies

Das sind die Facts am Tage der Premiere des Nathan in Regensburg.

Will das Publikum die Mahnung Lessings nicht mehr hören, lacht es über dessen Worte, waren es Übersprungreaktionen oder war das Publikum gerademal und irgendwie verkichert. Die Situation, die Problematik des Stückes konnte jedenfalls nicht vermittelt werden.
Die Leute amüsierten sich einfach nur.
Natürlich kommt die Auflösung der Handlung - wer ist wer und wer mit wem - Figaros Hochzeit (3. Akt, 5. Szene) und den Stücken dieser Zeit nahe und ist ähnlich.
Gerade dies ist heute schwer nachvollziehbar.
Das Bühnenbild von Karlheinz Beer mit der Wand voller Konterfeis und dem Wohnzimmer als Stuhllager reißt das Werk zusätzlich noch in eine undefinierte Zeit und hat weder mit der einer Kreuzritterperiode noch sonst etwas zu tun.
Warum diese krampfigen Aktualisierungen beim Bühnenbild? Halbheiten führen zu nichts, wenn nicht zu Missverständnissen bei den Zuschauern.
Es sei denn, alles wird so deutlich ins heute mit dem Kreuzzug von George Bush übertragen. Dann müssten die Bilder wie auch die Kostüme massiver martialisch wie auch die Gänge der Darsteller heftiger sein. Dann würde die Freude dem Publikum im Halse stecken bleiben.
Oder eben, um dem Stück eine Chance zu geben, Bühne und Kostüme in der Zeit Lessings, in der der Handlung oder eben überzeitlich, für diese stets gültige Mahnung.

Die Figuren, von der Regisseuren Gudrun Orsky heruntergebrochen aufs Normale, vermitteln nicht den Eindruck, etwas Außergewöhnliches zu sein.
Jeder wie er geht, wie er steht wie im wirklichen Leben. Sprache, Gänge, nichts, was die einzelnen Charaktere der Figur hervorheben könnte. Von Poesie, von fünfhebigem Jambus auch keine Spur. Der Text gekürzt, das Spiel fokussiert auf den kleinen Haiplatz-Raum hätte dem Stück Dichte bringen können, die sich in atemlosem Staunen ob dieses ewigen Sinngedichts äußert.
Das Gegenteil ist der Fall.

Silvia van Spronsen als Dajah erntet Lachsalven, wenn sie mit dem ihr eigenen Sing-Sang in der Wortgebung, den Text vorträgt. Auch hier wieder - es war schon mal gesagt bei 'Hase-Hase' - "je schrulliger, desto van Spronsen".
Sie hebt den Rahmen von Lessings dramatischem Gedicht auf.
Mit ihrem Auftritt - und das somit von Anfang an - ist der Bann gebrochen, es kann auftreten, wer will, alles wird vom Publikum als Jokus aufgefasst. Der Zugang zum Werk der Aufklärung ist verstellt. Das Ensemble versucht auch gar nicht, dagegen anzuspielen.

 

     Ernst Deutsch als Nathan

 

Heinz Müller / der Patriarch im Gewand von Pius XII trippelt einher, wie sonst auch. Sein Auftritt, seine Aussage: "der Jud' muss brennen" wird mit Gelächter aufgenommen. Der Hinweis, nur was der Kirche nützt, ist erlaubt, kommt beim Publikum außerordentlich gut an, erntet einen Heiterkeitserfolg.
Beschaulich, bescheiden, in seinem Ganzen: Peter Heeg als Nathan. In der Sprache ein gemütlicher Parabelerzähler. Die Ausstrahlung eines Menschen, der sich über Ressentiments hinwegsetzt, sucht man.
Der junge Tempelherr / Arthur Werner kann mit sich nicht viel anfangen und schon gar nicht, in der Szene der Auflösung und Erkenntnis, dass er auch noch der Bruder der Recha ist. Kein momentanes Erschrecken über diese Tatsache oder Resignation. Eher: 'Na gut, dann ist sie eben meine Schwester.'
Der ewig bankrotte Sultan - Oliver Severin - brav sagt er seinen Text auf und führt sein schönes Gewand spazieren. Hubert Schedlbauer, darf mit seine 'nackerten Füß' auf einen Stuhl und im Kreuzsitz darauf Platz nehmen, das ist dann der Derwisch. Entnommen scheint er in der Darstellung dieser Rolle dem Tabori-Kampf.
Der Klosterbruder von Christian Ballhaus, ein Mönch, wie sie halt so sind, den eigenen Vorteil nicht außer Acht lassend. Seine Szene mit Nathan 'Du bist Christ' hebt sich allerdings positiv von dem Übrigen ab.
Silvia Schuh - ganz des Fürsten Schwesterlein Sittah - elegant, schön, neben Anna Dörnte als Recha, ein Gretchen, lieb nett, jugendlich versponnen "in lichter Waffenscheine ein Ritter nahte da".

Vehementer, lang anhaltender Beifall.

Erschreckt zurück zum Schreibtisch und nochmals gefragt, was war da geschehen ?
Beginnt die Menschheit einen Tanz auf dem Vulkan, ahnend, dass ihr über kurz oder lang der Himmel auf den Kopf fallen kann ? Kann sie alles nicht mehr ernst nehmen ? Ist es Hysterie ? Wollte die Regisseurin diese Linie - es wäre nicht zu glauben.

Unabhängig von allem nicht Fassbaren - mit seinem Licht zauberte Sebastian Ahrens wechselnde Bilder und Stimmungen in den Bühnenraum.
Man hätte es dabei belassen sollen und nicht Lessing's Nathan zu Feydeau's 'Floh im Ohr' machen. Das ist das Ergebnis, wenn kleine Regisseure große Werke klein machen, um selber groß zu erscheinen.
In dem Zusammenhang sei erinnert an die missglückte Orsky-Inszenierung von 'Freunde, das Leben ist lebenswert.'

DH