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04.01.2010 - dradio.de

 

 

 

Thema des Tages

'Beitritt in das Deutsche Reich'

 

... am 13. März 1938 erklärt.

Unter Dollfuss hatten die Österreicher bereits eine Diktatur, die aber keine Erfolge vorweisen konnte. Also dann lieber eine, die funktionierte, so vornehmlich die Meinung der Österreicher.

Heftige Opposition kam aus den Reihen der Kirchen - hier musste das Naziregime seine stärksten Widersacher erkennen.
Banden der Hitlerjugend verwüsteten daraufhin das Erzbischöfliche Palais in Wien.
Die Polizei schritt nicht ein.

Der große Teil der Bevölkerung war auf der Seite der neuen Machthaber. Österreicher und Deutsche seien längst vereint - so die offizielle Auffassung im Jahr 1938.

Begeistert nahm die Bevölkerung Hitler bei der Fahrt nach Österreich in Braunau - seiner Geburtsstadt - auf. Unter dem Eindruck der Zustimmung zögerte Hitler nicht, den Anschluss seines Geburtslandes zu beschleunigen

Noch am Abend des 13. Februar 1938 unterzeichnete er im Hotel Weinziger in Linz, wo er auch von der Bevölkerung mit "Sieg Heil! Sieg Heil!" jubelnd empfangen wurde, das eiligst zusammengestellte 'Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich'.

Mit dem Beitritt war Österreich zwangsläufig auch am Zweiten Weltkrieg beteiligt. Das Land entsandte Truppen nach Nord-Norwegen und auch auf den Balkan, in diesem Fall meinte man, die im neuen Teil des Reiches kennten sich - aufgrund der Erfahrungen in der seinerzeitigen habsburgischen Vielvölkermonarchie - besonders gut aus. Außerdem hätten die 'neuen Österreicher' nun gute Gelegenheit, die Toten des Ersten Weltkrieges zu rächen.

Bis zuletzt hielt die größte Zahl der Österreicher zu Hitler.

Nach dem Krieg argumentierte der erste Regierungschef, Karl Renner, Österreich sei 1938 von den Nationalsozialisten okkupiert, sei verführt, sei vergewaltigt worden. Somit habe man für die Verbrechen des Großdeutschen Reiches nicht zu sühnen, man sei ja schließlich selber Opfer.

Kurz vor der Verkündung im Staatsvertrag von 1955, Österreich sei frei, war die Passage über Österreichs Mitschuld am Zweiten Weltkrieg aus der Präambel gestrichen worden.

 

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1988 beschreibt Thomas Bernhard, in Anlehnung an die Ereignisse fünfzig Jahre vorher, als am 15. März 1938 Hitler eine Rede vom Balkon der Hofburg aus über die dicht sich drängenden und "Sieg Heil" schreienden Menschen auf dem Heldenplatz hielt, den Tod der Frau Professor Schuster in der Wohnung des Herrn Professor Schuster in Wien.

Nach der Rückkehr aus der englischen Emigration ist die Familie Schuster wieder in Wien eingetroffen, der Herr Professor ist hier erneut als Wissenschaftler tätig.

Entnervt durch die unhaltbaren Zustände, unter denen er auch jetzt wieder als Jude in der Öffentlichkeit und als Privatmann zu leiden hat, springt er selbstmörderisch aus dem Fenster seiner Wohnung über dem Heldenplatz.

War es von außen die ungebrochene Hetze gegen ihn, litt er in seiner familiären Umgebung unter den Vorstellungen, derer sich seine Frau fortwährend ausgesetzt fühlte, als sie allein - ohne dass andere es vernehmen konnten - diese "Sieg Heil"-Rufe der Menschen auf dem Heldenplatz aus dem Jahr 1938 hören konnte, bis sie am Tag der Beisetzung des Herrn Professor Schuster unerwartet - während des Mittagessen - wieder allein die Attacken der Hitler-Beschwörungsrufe aus 1938 vernehmend, stirbt.

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing