Theater Essen
  
'Die Psychopatin von Sandwike'

oder

   'Der fliegende Holländer'


Bericht an ein Familienmitglied
 
 

   
 

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Lieber Onkel Franz,

am 21.04.2006 bin ich extra nach Essen gereist, um dort im Theater zu sehen:
'Die Psychopatin von Sandwike'.

Die Frau Dramaturgin führte vor der Vorstellung aus, Richard Wagner habe anfänglich keinen Erfolg gehabt, offensichtlich war ihr derjenige des 'Rienzi' in Dresden am 20. Oktober 1842 und folgenden Wochen entfallen und beim Holländer handle sich es für den Regisseur in Essen um ein Psychodrama und es ginge weniger um den Holländer als ewigem Juden oder welche Deutungen es da auch immer gebe.

Natürlich können Schwerpunkte anders gesetzt werden und alles wie ’Der Freischütz’ mit “Schieß nicht, ich bin die Taube“ oder ’Der Rosenkavalier’ mit “hab heut einen montierten Kopf gegen die Männer so ganz im allgemeinen“ oder ’Die Fledermaus’ mit “Herr Direktor wir sind eingemauert“ und was auch immer noch, alle Werke können ’in Träumen’ spielen.

Verdächtig, wenn die redeführende Dramaturgin dann aus Angst vor Publikumsreaktionen um Verständnis für gewisse Szenen bittet, man möge doch freundlichst bedenken, dass die-sen – ach herrjeh, wenn nichts mehr geht - Ironie beigegeben sei. Wie goldig, nur hat das dann alles nichts mehr mit den Sujets, den vorgegeben Texten zu tun, sondern ist krampfiges Getue, das dem Zuschauer auch so vermittelt wird und heraus kommt hier: ’Senta flog übers Kuckucksnest’.

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Ich schildre Dir mal in dürren Worten, was da ablief:

Vorhang:
Die Bühne, eine Art Staatskanzlei - zumindest ein Gang in einem solchen oder ähnlichen Gebäude - sagen wir mal 3.-Reich-Bau. “Großmächtige“ Kugellampen verteilen von der Decke einheitlich gleißendes Licht. Zwei Radiatoren - Stahl, wohl kein Guss - eine Gardine mal auf, mal zugezogen vor einer über die Breite und Höhe der Bühne sich erstreckenden Fensterfläche. Zu erkennen durch die geschlossene Gardine sind Fenstersegmente eines Bürogebäudes – mit sehr viel Fantasie könnte man es als Schiff der ’Hurtigroute’ ansehen - seitlich an den Portalen und im Bereich des Souffleurkastens Pappmaschee-Felsen. Wohl Assoziationen zu norwegischen Fjorden.
Eine Maid lagert auf dem Souffleurkasten in Unterhemd und Unterhose - so was wie die Kopenhagener Meerjungfrau.

In den Fenstern des rückliegenden Schiffs/Gebäudes – angeblich ’Fenster zum Hof’ - laut Frau Dramaturgin - nicht zu verwechseln mit ’Fenster zum Flur’ - ältliche Zwetschgenmantschkerln mit Ferngläsern schauen ins Publikum, zählen vielleicht die freien Plätze im Saal. Einer dieser Beschauer, von Frau Dramaturgin als Voyeur bezeichnet, meint mit seinem Stimmchen – die Adern treten seitlich am Hals wegen Überanstrengung hervor - dem Text Richard Wagners folgend, dass er seinem Mädel nah sei.

Von der Maid auf dem Souffleurkasten macht er ersatzweise mal Polaroidfotos (Achtung: Schleichwerbung) und klebt die an die Fensterscheibe des Schiffs-Gebäudes. Ein Mensch, ein Mann, fast ein ‘van Bett’ lugt aus einem Fenster ins Publikum, behauptet, wie üblich,
dass sein Schiff "aus dem Teufelsloch heraus" getrieben worden sei, man auf besseres Wetter warten müsse und als Positionsangabe gibt er bekannt: “Sandwike heißt die Bucht“, was trefflich zum Bühnenbild mit der übergroßen Gardine überhaupt nicht passt.

Der Knabe mit dem Stimmchen solle laut Positionsangeber aufpassen, verschwindet entgegen der Weisung, zu wachen mit der eigenen Forderung, der Südwind möge gefälligst blasen, im hinten liegenden Schiffs-Bürokomplex und schon passiert’s – bei Wagner – nicht in Essen: “Dort liegt ein Schiff, wie lange schliefst du schon?“

Aus einem Mauerdurchbruch (gut bekannt den Älteren aus Luftschutzkellern – hier wollte der Regisseur wohl einen Scheidendurchbruch, sprich Entjungferung assoziieren) purzelt ein Mann im Unterhemd, dieses Shirt offenbart einen 'gebuildeten' Body, allerdings mit schwerem Haltungsschaden, da der Unterhemdträger ständig nach vorne gebeugt geht, als habe er Osteoporose oder säße schon Jahr um Jahr und Tag für Tag vor einem Computer-Bildschirm. Ansonsten vermittelt er eher den Eindruck eines, der aus dem ’Ring’ kam, er ist eher Alberich als der umherirrende Holländer.

Er hebt an zu singen und er singt wie bekannt, dass die Frist um sei. Hierzu verwendet er einen bassig getönten Bariton, der besonders bei der Formierung der Vokale e und i, gebunden zu ei, merkwürdig verfärbt klingt.
Die Angelegenheit geht zumindest verbal, wie vorgegeben, zu Ende, er hofft, ewige Vernichtung nehme ihn auf, ein Teil des Publikums pflichtet ihm stillschweigend und somit ohne Widerspruch bei.
Der vorhin erschienene Positionsangeber, die Bucht heiße Sandwike, gibt kund und zu wissen, dass er den Kapitän sehe - hier meint er den Unterbehemdeten. Allenfalls sieht so Marcel, der Kapitän eines Schleppkahns in ’Tabarro’ aus, aber keiner, der sich nur mit Unterhemd an Norwegens Küste traut.

Zu bewundern auch, wie der Positionsangeber den Dienstgrad erkennt, ohne die vier Streifen an den nicht vorhandenen Ärmeln gesehen zu haben, ja überhaupt etwas realisieren kann, denn der Unterbehemdete hat nichts an, was auf einen Kapitän schließen ließe und die zur Schau gestellten Pluderhosen, wie er sie zum Unterhemd trägt, hat ein Viergestreifter allenfalls in seinem Schrebergarten an.

Positionsangeber ’van Bett’ kommt mit dem Schmalstimmigen in den Bereich des Souffleurkastens, denn dort hält der Unterbehemdete - für alle überraschend – “kostbare Perlen, edelstes Gestein“ bereit, mit dem er den Positionsangeber beeindruckt.

Alle - auch das Publikum - danken der Vorsehung und der Requisite, die Klunker dort vor der Vorstellung bereit gelegt zu haben, man stelle ich sich vor, er/sie/es hätte das vergessen und der Unterbehemdete griffe ins Leere, könnte kein Gastgeschenk, um sich die "schöne Tochter" Senta des Positionsangebers zu kaufen, vorweisen.

Nun, er/sie/es tat es und der Positionsangeber lässt den Schmalstimmigen als ’Saftschubser’ schon mal mit „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?" agieren.

Der Positionsangeber schluckt in Windeseile die servierte Atzung hinunter, denn die Szene ist gleich zu Ende und der Kram muss zum Spülen noch weggeräumt werden. Dass der Unterbehemdete nichts isst, fällt auf, wohl weiß er nicht, wer die Sachen zubereitete und so verzichtetet er lieber auf das ‘perfect dinner’.

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Dem Damenchor wird die Möglichkeit gegeben, die Bühne zu bevölkern. Er kommt wohl gerade von einer Betriebsversammlung, von der Gewerkschaft angezettelt, um endlich in dieser Firma eine Betriebsvertretung durchzudrücken.

Statt dass die Damen nun zum Text "Summ und Brumm du gutes Rädchen" wie sonst wo wenigstens unter Anleitung der Aufseherin Mary – die mit ausgesprochen hässlicher Stimme - anfangen zu putzen, wedeln die nur mit den Feuteln und seckieren eine rotperückte Tänzerin, die völlig überraschend anfängt, zu singen und im richtigen Moment die bekannte Frage stellt: "traft ihr das Schiff im Meere an" - das hat stückbedingt niemand gesehen und so muss die rotperückte ’Schlankheit-in-Figur-und-Stimme’ sich weiter mit dem sie traktierenden Damenchor auseinandersetzen, bis ein bebrillter Buchhalter - wohl während seiner Mittagspause - erscheint und der Rotperückten Vorwürfe macht. Er habe den Vater auch schon kommen sehen, von einer Klippe, wahrscheinlich war’s hier in Essen eher ein Hochhaus oder sonst eine Warte.

Das Gespräch der Rotperückten mit dem Buchhalter endet, da der Positionsangeber mit dem Unterbehemdeten erscheint, um nun diesem die Rotperückte als seine Tochter vorzustellen und um sie an diesen Mann zu bringen, verständlich, denn wer will diese verstörte Dame in dem Zustand weiterhin unter seinem Dach haben.

Zum Zeichen, was für eine gute Partie sie mache, behängt der Positionsangeber sie mit den Strasssteinen, die er vom Unterbehemdeten mit unhörbar zugerauntem - typischem Proben-joke - "Teschek bedien dich" zur Verfügung gestellt bekam.

Nicht reizt sie das, aber den Unterbehemdeten als solchen giert sie an und so schlingt sie ihren Leib um seinen, verwirrend für die Zuschauer, denn vorher hat die ’narrische’ Rotperückte immer so getan, als hätte sie einen Waschzwang, wenn sie mit einem ’human beeing’ in Kontakt getreten war. Trotz dieses Umstandes verständlich, einen Bariton mit diesem Body ins Bett zu kriegen, da ist mancher oder manche bereit, einiges zu versprechen, was dann doch nicht gehalten wird.

So auch die rotperückte ’Psychopatin von Sandwike’, die im Duett mit dem Unterbehemdeten - für sie letztlich auf dem hohen h - feststellt, sie werde im treu bleiben bis in den Tod - typische Hormonwallung einer Pubertierenden: “ich bin ein Kind und weiß nicht was ich singe.“
Damit hat sich die Sache für sie und der Unterbehemdete ist’s zufrieden, zumal sich für diese Situation hinter der aufgezogenen Gardine so eine Straßenszene mit Bogenlampen darstellt, die Gemütlichkeit verheißt.

Plötzlich strömen lauter Transen auf die immerfort offene Bühne – man spielt die einaktige Fassung - und es beginnt ein Tuntenball, ’love parade’ kann es nicht sein, denn dazu sind die meisten zu stark gewandet, alles was Stimme und auch keine hat oder diese zumindest nicht erheben darf, erscheint irgendwie verkleidet - auch einer in Krachlederner ist dabei, der sich auf gut bayrisch denkt: „wos für’a Schmarrn is des.“

Es geht hoch her, ein Gerippe wird von einem, dem der Rock hochgeschoben wird, ’geboren’, ein olt’s Manderl hat in der Hosen und im BH nichts, steht herum und friert, einer tut so als schiebe er seinen Penis in einen Schädel, aus dem Hamlet übrig geblieben - hoffentlich reibt er sich an den scharfen Knochen nicht die Haut auf oder will er seine Phimose auf diese Weise beheben oder plötzlich ’cut’ sein ?
Die Frage bleibt vorerst und auf Dauer unbeantwortet, denn der Typ tritt nicht mehr auf. Dafür erscheint noch mal der Buchhalter, der stimmlich in schwierigster hoher Lage die geistig und emotional irregeleitete Rotperückte beschwört, bei ihm zu bleiben. Wie er diese Töne produziert, ist beeindruckend, allerdings überträgt sich die Gewalttat auf seinen Körper, denn der bebt bei jeder Tongebung. Man nennt das: "der Ton hat ihn".

Aus der Gardine tritt plötzlich der Unterbehemdete, beschwert sich lauthals über diesen Auftritt des Buchhalters - ob nun dessen Töne gemeint sind, ist nicht zu erkennen, singt doch dieser Bebrillte durchgängig die an sich einzig akzeptablen - offenbart dann der Rotperückten gegenüber, wer er sei und dass man ihn den Fliegenden Holländer nenne – darauf wäre die wegen des Unterhemdes nie gekommen.

Was macht die Rotperückte, sie zieht ein oversized Rasiermesser “heraus aus der Scheide zu mir“ und schneidet dem unterbehemdeten Bariton die Kehle durch, was unverständlich ist, denn so schlecht hat er ja nun auch wieder nicht gesungen. Wahrscheinlich will sie ihm durch Ermordung einen Buckel ersparen, der zwangsläufig mit zunehmendem Alter - auch bei normaler Knochendichte - wegen der schlechten Haltung für ihn gekommen wäre. Immerfort wollte der besorgte Zuschauer ihm zurufen: “Brust raus!“ Und doch ist es verständlich, dass der gute Bariton gramgebeugt herumläuft, hier mitmachen zu müssen.

Aus Sicht der Zuschauer mit Sachverstand hätte es des übergroßen Rasiermessers auch gar nicht bedurft, denn die verstandreduzierte Rotperückte hat eine knallharte Stimme - trifft damit die hohen hs - aber so, dass dies jedem die Kehle durchtrennt.

Die als Marschallin? Wahrlich, sie “fuchtelt mit’n Spadi", mit dem sie allerdings versteht, um-zugehen, schafft sie doch Piani, Diminuendi, dass man selber die Waffen zu strecken sich vornimmt, zumal die Darstellung als geistig Weggetretene überzeugt.

Im Juni wird sie die Stimmbänder an der Elsa in Chemnitz wetzen. Natürlich sehe und höre ich mir das an.

Vorhang zu und ’Aus der Traum’.
Die Zuschauer sind ob dieses ’Traumspiels’ geteilter Meinung, konnten sie doch die im Theaterheftchen vorgegeben Aussagen des Regisseurs “Die Traumversion des Holländers durchzieht ja das gesamte Stück wie ein Virus ...“ – medizinisch interessant, dass ein Virus etwas durchzieht - in der Personenführung nicht erkennen – und die Kultur-Damen schweigen oder klatschen, andere verkünden buhend ihren Unmut, weil die Intentionen nicht in die Bewegungsabläufe übertragen wurden – z.B. bewegt sich ein träumender Holländer anders, der nur durch Sentas Fantasie erschaffen wird.
Es darf geträumt werden, Kupfer mit Senta in Bayreuth und neuerdings Kalafs Halluzinationen in Pressburg, Tatjanas Traum an Covent Garden und natürlich: ’Elsas Traum’.

Na, ja !
Immer schon schlecht, wenn es eines Programmheftes oder einer Theaterzeitung oder einer Einführung bedarf, Intentionen zu vermitteln, statt sie auf die Szene zu bringen.
Hat der Zuschauer diese Prints nicht zur Hand, ist er verloren und kommt sich ’verarscht’ vor.

Der, der den Abend über den Takt schlug, zeigte sich dem Publikum und animierte das Auditorium durch auffordernde Armbewegungen, ihm gegenüber deutlich die Ablehnung als In-tendant zu vermitteln.

Viele kennen ihn ja schon von früher z.B. aus Berlin oder Braunschweig aus nächster Nähe und wissen, "was alles drum und dran hängt" - an ihm.

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Das war’s für heute.
Du weißt ja, ich verstehe meine Berichte und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf nach meiner Meinung Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten meine Texte auch Überspitztes und Satire.
Dafür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch.

Und jetzt kann ich gleich von hier aus, bevor ich wieder runterfliege, dem Theater in Essen eine Kopie schicken, dass die wissen, wie es mir gefallen hat und wie es war in der Kulturhauptstadt 2010 - “Essen für alle“ sagte einst Schlingensief – und was es mit dem Theater auf sich hat. Wahrscheinlich redet sich das jetzt, mit ’Freiheit für die Kunst’ raus.

So wird Dekonstruktivismus auf zerstörerischem Irrweg produziert, der am hier zu singenden Text Richard Wagners völlig vorbeigeht und dann als deutsche Kultur - auch Schulen und der Jugend - angeboten wird.

Ich denke, unter dem Aspekt solltest Du mal Deinem CDU-Kollegen Ministerpräsidenten einen Hinweis geben, was sich da abspielt, gerade unter der Maßgabe:
“Was vermittle ich ausländischen Mitbürgern an deutschen Werten.“

Ich bin leider etwas weit vom Schuss und muss es Dir im Moment überlassen, tätig zu werden. Empfehlen kann ich Dir nur, die Produktion anzusehen, damit Du unabhängig von meiner subjektiven Meinung, selber urteilen kannst.

Es grüßt Dich herzlich
Dein Dietrich

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