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04.01.2010 - dradio.de

 


Thema des Tages

Uraufführung 'Fidelio'

 

  ... am 23. Mai 1814

Sie kam 1822 von Dresden herüber und machte in Leipzig auf Wagner den entscheidenden Eindruck.
Alle Frauenpartien seiner Werke, hier vor allem die Sopranpartien, sind geprägt von der sängerischen und darstellerischen Qualität der Wilhelmine Schröder-Devrient, die erste singende Schauspielerin.

Hatte Beethoven seine Mühe mit dem Werk - in drei Fassungen kam es auf die Bühne, über Jahre verteilt - so ist die dritte die erfolgreichste, am Kärntnertortheater in Wien dem Publikum vorgestellt.

Im September 2004 gab es in Regensburg eine Neuproduktion von 'Fidelio', die unterschiedlich beurteilt wurde.

Ein Werk, das mit Sängern besetzt sein sollte, die den Part so beherrschen, dass dem Publikum das Drama nahegebracht werden kann, ohne dass es Sorge um die zu singenden Töne haben muss.


 

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Wie es uns gefallen hat

Theater Regensburg 24.9.04

 
  Ludwig van Beethoven
 
Fidelio
 


 Regensburg - Theater am Bismarckplatz

Am 24.09.04 eröffnete das Theater Regensburg seine Spielzeit 2004 / 2005 - die dritte von Intendant Ernö Weil.
Wie so viele Einrichtungen in der Stadt leidet auch das Theater Regensburg unter Geldmangel. In der letzten Spielzeit musste der Seriöse Bass - mit Großinquisitor und Sarastro auf der Bühne - am nächsten Tag als Sigismund im Weißen Rössl 'umeinanderhupfn', der Herrenchor wurde dezimiert, um Solostellen im Don Carlos zu besetzen. GMD Rumstadt verzichtete auf eine Verlängerung seines Vertrages, da Mittel  z.B. für Orchesteraushilfen fehlen.


Hoffentlich ist die Saison nicht so verworren, wie die Fahnen vor dem Theater es zu signalisieren scheinen.

Die Saison begann nun mit Beethovens 'Fidelio'.

Im Vorfeld kamen bereits Bedenken auf, wie ausgerechnet dieses Werk zu wählen sei.
Allein schon die Hornpassagen sind nur schwer zu bewältigen. Bei den Solisten war fraglich, ob der Florestan entsprechend besetzt werden kann
.
Und auch die Partie der Leonore fordert von der Sängerin, was kaum zu bewältigen ist.


Viele Interpretinnen - bis auf Birgit Nilsson und Leonie Rysanek - hatten ihre Probleme. Ob nun Hilde Konetzni - ganz abgesehen davon wie sie die Töne anjaulte, um einen dramatisch-sentimentalen Effekt zu erzielen - oder Martha Mödl, oder Christa Ludwig, oder Gundula Janowitz - sie hatten schon ihre Mühe mit der exponierten Lage der Partie.
Auch einem Berufssopran - was die Mödl und die Ludwig nun nicht einmal waren - fallen am Ende einer langen hohen Phrase noch aufgesetzte Spitzentöne schwer.
 

Portikus

Und doch anders ging es mit Gail Sullivan als Leonore in Regensburg. Offensichtlich kommt sie gerade mit der hohen Lage dieser Partie gut zurecht. Entgegen ihrer Santuzza bemüht sie sich hier die Töne schlank zu führen, wodurch das Wabern dieser weitgehend vermieden wird. So geriet, fein geführt, der 'Farbenbogen'. Die Arie gelang, wie auch die anderen in ihr verhaltenen Stellen - von Alois Seidlmeier am Pult außerordentlich rücksichtsvoll getragen. Das ist ein Dirigent. So richtig einer für Sänger. In ihrem Jeans-Kostüm sieht Frau Sullivan aus wie der Gymnasiast in 'Lulu' oder wie ein Schüler in 'Emil und die Detektive'. Und das Kapperl steht ihr, wobei beim "Töt erst sein Weib" das Abnehmen dessen natürlich immer ein besonderer Effekt ist, kommt dann ein wunderbarer Berg von eigenen Haaren zum Vorschein. Im Spiel könnte sie einerseits lockerer, andererseits bestimmter sein. Die aufgeregte Sorge im Kerker, nun hoffentlich Florestan zu finden, kommt nur mühsam, wenn nicht kaum rüber. Premierennervosität setzen zwar die Spielfreunde und die Konzentration häufig herab. Nach ein paar Vorstellungen gibt sich das meist und hoffentlich auch bei ihr. Aber Frau Sullivan scheint in Gänze eher sehr introvertiert zu sein.
 

Katharina Leitgeb jubelte ihre Marzelline in allen Lagen rund, wohlstimming - überzeugend im Spiel - ein Lichtblick und Gewinn für Regensburg. Wie sie da an dem DDR-Besprechungstisch auf den Küchenstühlen an ihrem Computer sitzt, auf der Tastatur rumklimpert als wäre sie gerade ins Guinness-Buch mit Schnellschreiben eingetragen worden, sie die Brille putzt, die Bleistifte spitzt, die sie dann dem Jaquino hinterher wirft, als wüsste sie nicht, dass bei dem Tenormangel, ein solches Tun tunlichst zu unterlassen ist. Das könnte ja ins Auge gehen.
 
Großformatig, kernig, stimmlich zum Gänsehautkriegen Adam Kruzel als Pizarro und in dem tollem Mantel - sofort ausziehen und hergeben das Ding.
Im Spiel ist er geradezu zurückhaltend vornehm. Das "Ha, welch ein Augenblick" oder "Triumph der Sieg ist mein" könnte eine gespannt-straffe Haltung und damit Ausdruck haben. 'Endlich hab ich den Kerl und werde ihn erledigen.' Das müsste kraftvoll böse, echt widerlich sein.
Mit der großen Stimme, was wäre Adam Kruzel für ein Holländer.
 

Detail der Skulptur vor dem Theater

J. S. Saervarsson als Rocco - sah aus wie ein LPG-Bauer oder ein kümmerlicher Aufseher - mit der schrecklichen Schiebermütze. Selbst in Bautzen waren die besser angezogen. Warum muss der so 'schirchlich' aussehen? Die Gier nach dem Gold könnte deutlicher sein, wie er insgesamt im Spiel vieles mehr oratorienhaft auffasst. Dass er mal mit der flachen Hand auf den Tisch haut, bringt es nicht. Stimmlich bereitete ihm die Partie keine weiter hörbaren Probleme. Die Höhe ist halt für einen Bassisten nur schwer zu ereichen und dann flüchten diese 'Fachkräfte' sich eben ins Rufen.
 

Falsch besetzt der arme Jin-Ho Yoo mit dem tiefen Fernando. Ein Papageno, ein Posa als Minister, das ist sehr mühsam und klingt dann auch so.
Richtig in seiner Rolle als Buffo - Michael Suttner - der Jaquino. Wird man ihm den Florestan in der Zweitbesetzung glauben, selbst wenn er die Töne kriegt, die Stimme ist viel zu wenig machtvoll und dunkel getönt. Oder macht er auf Peter Anders, Anton Dermota, Julius Patzak? Traute hat er schon, denn seine Bühnenpräsenz ist enorm selbstverständlich. Die verleitet dann natürlich auch zu Rollen, die sicher ein anderer besser erfüllen kann.
 
Besetzung der Hauptrollen 24.09.04
Leonore Gail Sullivan
Florestan Juuso Hemminki
Marzelline Katharina Leitgeb
Jaquino Michael Suttner
Don Pizarro Adam Kruzel
Don Fernando Jin-Ho Yoo
 

'Der arme Mann' war wieder Juuso Hemminki - als Florestan. Eine Bühnenerscheinung, die sich so quält. Er leidet selber sichtbar. Fürsorgepflicht des Intendanten ist gefragt. Aber nein, der will Fidelio machen, koste es Herrn Hemminki auch die Stimme.


Skulptur vor dem Theater

Der Gesamtleistung ward bedacht mit lang anhaltenden Beifall und ist auch vom Chor getragen. Die Damen hatten ja nur das Finale, aber die Herren genossen den Auftritt. Dass die nun allesamt kahlschädlig wie nach einer Epidemie von Scharlach in Guantanamo-Sträflingskleidern mit Leichtgewichtketten rumlaufen, ist schwer verständlich.


Und doch, es war ein sicherer Erfolg, der in die  neue Spielzeit einstimmt. Ging man bebend ins Haus - wie geht das mit den Hörnern - kieksen die, schafft die Leonore die hohen H-s? Und beides klappte. Auch die Bläser bei der Arie irritierten die Leonore nicht durch ungenauen Tonansatz. War schon erstaunlich und ungewohnt. Die Theaterfreunde verteilten wieder mal Blumen an die Solisten auf der Bühne. Wieder blieben Sträuße übrig. Kann man denn nicht mal vorher durchzählen, wie viel es sein müssen. Und wenn schon zu viel, dann drück ich dem/der Letzten in der Reihe alle in den Arm und gehe nicht mit der Hälfte der Sträuße wieder ab. 
Merkwürd'ger Fall.

Das Regiekonzept und die Personenführung durch den Intendanten Ernö Weil gab wieder einige Rätsel auf. Rücksichtsvoll lässt er bei Ensembles das Spiel ganz sein und gibt so den Sängern
die Möglichkeit, sich auf den Gesangspart zu konzentrieren.
Grundsätzlich stellt sich die Frage: muss das Werk aus der Zeit gerissen werden, in der es spielt ? Revolution sieht heute doch wohl anders aus.
Computer, Hochtechnik-Gefängnis und Kunstgewerbeketten vom Schnürboden herab für Florestan, die nicht einmal klappern, nur die kleinen an den Handgelenken aus dem Baumarkt machen Geräusche. Oder das musikalisch vorgegebene Klopfen an der Pforte in der modernen Umgebung. Ging wegen Stromausfall an der Stelle die Klingel oder Rufanlage gerade nicht und es muss doch nach Beethoven gepocht werden ?
Wie will man denn bitte an die Akten in der obersten Regalreihe rankommen, keine Leiter - keine sonstige Vorrichtung. So günstig der Schalldeckel der Aktenwand für die Sänger auch ist, unlogisch sollte
es dann doch nicht sein.
Warum muss auch der Vortrag der Depesche, der Minister reise an, vom Band kommen, als wäre Adam Kruzel des Lesens nicht fähig. Bei dem internationalen Ensemble, warum soll nicht Pizarro seine slawische Seele auf der Zunge tragen ?


Theater Regensburg

Interessante Tempi durch Alois Seidlmeier kamen vom Pult. Nr. 6 z.B. erinnerte eher an Eilmärsche im 'bello gallico' oder an einen französischen Geschwindmarsch. Das Finale II bekam den jubelnden 'Touch', der den Erfolg herbeizwingt. Insgesamt ist die sängerfreundliche Begleitung hervorzuheben. Ein Dirigent, der selber singen gelernt hat, der mit den Sängern atmen kann, sie geradezu auf den Armen trägt. Und angeblich ausgerechnet den will das Orchester nicht. Soll es denn als GMD der Rieger Johannes aus Nordhausen sein?
Denk ich an den in Ulm!?

Über allem war zu spüren die Betroffenheit über den so frühen Tod der Kostüm- und Bühnenbildnerin Dorin Kroll, die auch diesen Fidelio geschaffen hat und den Premierenerfolg nicht mehr erleben konnte.
Unvergesslich wird sie dem Regensburger Publikum mit ihrem Bühnenbild zur Boheme bleiben, das so unglaublich schnelle Umbauten zwischen den einzelnen Akten ermöglichte.
Geradezu genial war die Verwandlung vom 2. in den 3. Akt mit dem Wintergewitter, das die Reste der Feier im Cafe Momus hinwegwehte. Anrührend heute die Lichtwechsel auf der leeren Bühne am Ende der Vorstellung als Erinnerung an sie.
"De mortuis nisi nil bene." So über das Fidelio-Bühnenbild den Mantel der Trauer gedeckt und dieses nicht weiter im Detail kommentiert.

DH
 

 



Theaternachrichten
 

 



Eine Initiative des
Deutschen Bühnenvereins

 

 


 


 

 

 

 

 

 






















































































































































































 

 


 

 

 
 
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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