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zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

 

 


Thema des Tages

'Der Besuch der alten Dame'

 

   ... am 29. Januar 1956 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt

Dürrenmatt zeigte das Problem der Schuld und der Rache auf, ausgerichtet auf die Darstellerin der Hauptrolle.
Kritik an der Gesellschaft wurde nicht geübt.

Die Giehse war die erste Clara, die Flickenschildt war die Zachanassian, der Hörbiger, die folgte, verdarb sie den Auftritt.

Immer setzten die Inszenierungen auf die Hauptdarstellerin, stellten so nur die Trägerin der Titelrolle in den Vordergrund.

In Regensburg war es Renate Hünlich, die in ihrer alten Heimat auftauchte und Geld ins Dorf brachte, dass man sich dort plötzlich einen PKW eines Autohauses vom Sarchinger Weiher leisten konnte. Um es auch deutlich zu machen, stand dann auf der Tür des Fahrzeugs der Name des Händlers.
Und das auf der Szene - das sollte nun Güllen sein.

Unaufmerksam gemacht die Kostüme, die Milliardärin war den ganzen Abend über im gleichen Outfit zu sehen.
 

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Heute unterliegt auch 'die alte Dame' den Moden des Regisseurtheaters, so am MGT in Berlin.
 

Announcement
Maxim Gorki Theater Berlin


Zitatanfang

Der Besuch der alten Dame
 

In einer Bearbeitung von Armin Petras

Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden
Premiere am 12. Dezember 2009 im Staatsschauspiel Dresden
Berliner Premiere am 9. Januar 2010 im Maxim Gorki Theater Berlin

Diese Stadt ist stolz: auf ihre Geschichte, die Baudenkmäler und darauf, dass durch ein Aufbegehren der Bürger der Weg zur Demokratie frei wurde. Nur ökonomisch läuft der Laden nicht: Die Fabriken sind geschlossen, es fehlt an allem. In dieser Situation zwischen Euphorie und Enttäuschung feiert man den Besuch eines prominenten Gastes: Clara, die vor 30 Jahren die Stadt als 17jährige verlassen hat, kehrt in ihre Heimat zurück. Inzwischen ist sie ein gefeierter Weltstar geworden. Den erwartungsvollen Bürgern stellt sie ein unglaubliches Geschenk in Aussicht: eine Milliarde, verteilt auf alle. Doch die Stiftung ist an eine Bedingung geknüpft. Für ihr Geld will Clara "Gerechtigkeit“. Der Kaufmann Alfred Ill, der sie damals geschwängert und dann verlassen hat, soll sterben. Die Bürger der Stadt werden auf eine harte Probe gestellt: Reicht ihr Widerstandsgeist, auf den sie so stolz sind, um einer Versuchung, wie dieser zu widerstehen?

In seiner Bearbeitung wendet Armin Petras Friedrich Dürrenmatts dramatisches Experiment über die ökonomischen Grenzen des moralischen Diskurses auf die historische Situation nach der Wende von 1989 an. Eine Stadt im Konflikt der Werte:
Die Verletzlichkeit des Lebens, die Ungesichertheit der politischen Kategorien und der Magnetismus des Geldes stehen gegeneinander. Einer wird verlieren.

Hier finden Sie ein Interview mit Armin Petras zur Inszenierung des Stückes, welches Studentinnen der Humboldt-Universität zu Berlin geführt haben.

Clara, eine schöne Frau Christine Hoppe, Alfred Ill, früher ein Dandy Andreas Leupold,
Frau Ill, Kauffrau Sabine Waibel, Sohn, Cineast Stefko Hanushevsky,
Das Mädchen Anne Müller, Bürgermeister, ein eloquenter Mann Wolfgang Michalek,
Der Polizist Matthias Reichwald, Journalist, früher Dichter Gunnar Teuber,
Leopard, eine junge Frau mit einer Krankheit Berit Jentzsch

Regie Armin Petras, Bühne Olaf Altmann, Kostüme Katja Strohschneider,
Musik Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video Niklas Ritter, Dramaturgie
Ludwig Haugk



Zitatende
 

 

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Es kommt ein Zug aus Irgendwo. Vermummte in ärmlichen Klamotten warten in Sturm und Flockenwirbel und heißen 'Willkommen'.
Da steht sie plötzlich, der Pelz offen, das helle Kleid sichtbar, die aus der Wärme kam, sie singt ein Lied.
Clara, 'die alte Dame' - eine schöne Frau - wer definiert hier 'alt'?
Zur Zeit der SBZ hatte sie als Jugendliche ein Verhältnis, das nicht ohne Folgen blieb - sie ließ sich vertreiben, kehrt nun zurück und will 'Rache für den Verrat'. Geld gegen Gerechtigkeit.
Die Bevölkerung spielt mit, attackiert - aus Gier nach dem versprochenen Milliarde-Lohn - den ehemaligen Liebhaber.

Die Inszenierung ist auf eine steile Treppe gequetscht, glücklicherweise ist das Ensemble durch Streichung von Rollen stark eingedampft, wohin sonst mit den Leuten - von der ersten Parkett-Reihe bis hinauf in die Deckenwölbung über der Bühne, wer oben raus will, muss sich bücken. Ansonsten geht es auf der Stiege des Lebens 'holter-die-polter' rauf und runter, man kreischt, schreit herum - das Ensemble zeigt Stimme und seine artistischen und akrobatischen Fähigkeiten - 'Circus Gorki mit Clara'.

Die ist nun nicht 'die' Zachanassian, alt, vergrämt, in angestauter Lust auf Rache erstarrt - diese Clara ging mit 17, kommt jetzt nach 30 Jahren zurück und will ihren Spaß mit der Vergeltung. Sie ist gut gelaunt, blond gemähnt, langbeinig bis oben hin und mit fabelhaften Endkonsonanten ihrer Sprache bestückt.
Weniger ein Star als eine Chefin, die wartet bis VDO in Conti aufgegangen ist, um dann das in ihr eigenes Unternehmen einzugliedern.
Als der Ehemalige am Ende entseelt am Boden liegt, kann sie es kaum fassen - sie wollte sich doch nur einen Jux machen, 'a weng tratz'n d' Leut'.'

Der Kindsvater - oder war es doch der Klassenfeind - der Liebhaber, ihm wurde der Balg nicht untergeschoben - ist ergraut durchs Leben und durch die Braunkohle im Revier und zu Hause 'am stillen Herd in Winterszeit'.
Ob es denn wirklich möglich war, dass eine junge Frau, in den 60ern, schwanger sitzengelassen, vor der 'DDR'-Bevölkerung floh. Hatten nicht Walter und Erich bis hin zu Egon dafür gesorgt, dass man sich um neue Werktätige kümmerte - ob berechtigt oder nicht.

Filmeinblendungen zeigen das farblose Elend, das Einheitsgrau des real existierenden Sozialismus, dem heute noch so viele nachtrauern und Chancen, verbrämt mit dem Wort 'Kommunismus', einräumen wollen.
Plattenbauten, unfrohe Menschen, gejagt von herumballernden VoPos wie Hyänen hinter allem her, was rennt und sich des Deliktes 'Republikflucht' schuldig zu machen hofft.
"Ach, Gesine!"

Die Kinder des Clara-Liebhabers aus der Ehe mit der Frau im Konsum- oder Tante Emma-Laden - die 'dusslige Kuh' lässt grüßen - die Tochter, Sentimentale, hat auch schon wieder was mit einem Polizisten, der nun Angst vor Entdeckung seiner Stasi-Akte hat.
Der Sohn, Naturbursche, jugendlicher Komiker, der mit der Schwester in einer Wanne sitzt, und meint, wenn er ins Badewasser wichst, er könnte so der Vater des Kindes der Schwester sein. Aufklärung tut Not, Oswald Kolle war damals fern.
Aber Sohnemann bläst passabel Trompete und dirigiert die Darsteller - als griechischer Chor auf der Treppe hinauf postiert - mit präziser Zeichengebung.

Eine stumme Jule - wohl die ausgetragene Tochter Claras - übt sich in tänzerischen Übungen, zeigt choreographierten Judo - der Bürgermeister, mit Ansprachen hinein ins Publikum, die anderen kaum auseinanderzuhalten, graue Mäuse - wie sollten mit denen blühende Landschaften entstehen?
Die am Fließband warteten, bis wieder Teile geliefert wurden - fünf Leute für eine Schraube, nach der Wende fünf Schrauben für eine/n Werktätige/n.
Das war zu viel verlangt.
"S'war doch schön damals in der 'DDR' - mir hatten doch alles" - Verkäuferin Pleschke im Textilgeschäft in der Regensburger Schäffnerstraße.

Der 'Umdichter-Intendant-Regisseur' holt aus, will er doch einem 55 Jahre alten Dürenmatt-Teddybär eine neue Füllung verschaffen, die dann nicht ausreicht, schlaff schlabbert das Bärenfell herab.
Der Abend zieht sich durch die akrobatischen Einlagen, die zwangsläufig zur Unterbrechung der Handlung führen, in die Länge, fast zwei Stunden Spielzeit, zu viel, um Aufmerksamkeit und Spannung zu halten, zu wenig, um über den Text mit erklärenden Aussagen historisch auf die Sprünge zu helfen. Dass die 'Zonendödel' - wie 'Motzki' sie nannte - das Elend in der so genannten 'DDR' mit Jokusmachen ertrugen, ist nicht zu glauben.

Aber Klamotte ist ja heute angesagt, siehe auch 'Kabale und Liebe' am DT oder an der Schaubühne, da reißt der jugendliche Liebhaber den Bühnenboden auf, dort geht Ferdinand die Wände hoch.
Hauptsache die Leute haben was zum Lachen und plappern es weiter, damit viele kommen und für Auslastung sorgen.
 

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing