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04.01.2010 - dradio.de

 


Thema des Tages

'Don Giovanni'

   
   ... am
29. Oktober 1787 uraufgeführt
 


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Don Giovanni - 29. Oktober 1787 die Uraufführung in Prag, 7. Mai 1788 die erste Aufführung in Wien - und bereits am 15. Juni 1788 spielt Leipzig das Stück, noch in italienischer Sprache, nach.

Bereits die Wiener Aufführung unterscheidet sich durch die musikalischen Einschübe von der Uraufführung, nichts im Gegensatz zu dem, was Christian Gottlob Neefe (Singspielkomponist, Hofkapellmeister in Bonn und Lehrer Beethovens, später Theaterkapellmeister in Dessau) mit seiner deutschen Fassung im gleichen Jahr - 1788 - aus Mozarts /Da Pontes ‘Don Giovanni’ macht.
 

 
‘Don Juan, der bestrafte Wüstling oder
Der Krug geht solange zu Wasser bis er bricht’

Eyn Singspiel in zwey Aufzügen

Personen:
- Hans von Schwänkereich, ein reicher Edelmann
- Fräulein Marianne, Geliebte des Herrn von Fischblut
- Der Stadtgouverneur, Vater des Fräulein Marianne
- Fräulein Elvire aus Burgos, ein von Herrn von
  Schwänkereich verlassenes Frauenzimmer
- Fickfack, Bedienter des Herrn von Schwänkereich
- Gürge, ein Bauer, Liebhaber von
- Röschen, einer Bäuerin
 

 

Wichtig an diesem Theaterzettel ist die Bezeichnung ‘Eyn Singspiel’.
Im 18. Jahrhundert entsteht das Singspiel aus der Vorlage der englischen Beggars Opera, beeinflusst durch die französische Opéra Comique. Das Schauspiel mit Musikeinlage, gelungen oder nicht, hing ab von den stimmlichen Möglichkeiten der Schauspieler. Die Tugend der Bürger wurde thematisiert, die ländliche Unschuld gegenüber der Dekadenz des Hofes.

Am 13. März 1789 lässt Mainz den 'Don Giovanni' aufführen, am 3. Mai 1789 wird er in Frankfurt in einer deutschen Übersetzung nachgespielt.

Diese stammt von Heinrich Gottlob Schmieder, er übernimmt stellenweise die Vorlage von Neefe, mildert den Text ins Sentimentale, und er moralisiert erheblich. Aus Molières ‘Don Juan’ übernimmt Schmieder die Schauspiel-Szene mit dem Gerichtsdiener und die mit dem Juwelier, dem Don Juan Geld schuldet.

In Mannheim wird am 27. September 1789 eine drastischere Fassung von Neefe gezeigt, zwischen beiden liegt die Revolution in Frankreich, die sich z.B. darin dokumentiert, Don Juan “[...] droht mit dem Stock [...]“ - es also nicht mehr der herrschaftliche Degen, sondern ein profaner Stecken.

Eine weitere Bearbeitung wird von Friedrich Ludwig Schröder für den 27. Oktober 1789 für Hamburg mit singenden Schauspielern vorgenommen.
Aus dem 2-aktigen Singspiel wird eine 4-Aktige Schauspielfassung, die Figuren hervorhebend. So also im 1. Akt die Donna Anna, Zerlina betritt erst im 2. Akt die Bühne, der 3. Akt entspricht dem üblichen Ablauf, da hier alle Personen auftreten, der 4. Akt beinhaltet die Friedhofszene. Schröder schließt also jede ’Story’ personenbezogen ab, ehe er eine neue beginnt - im Gegensatz zu Da Ponte / Mozart, die Handlungsstränge miteinander verweben. Auch bei Schröder wird der moralische Zeigefinder - wie im Singspiel - erhoben. Das Schlusssextett erhält als Mahnung die Übersetzung:

             “Lebenslust fährt schnell dahin
              Ewig währt der Tugend Gewinn.“

Das Publikum erhält so Don Giovannis lasterhafte Züge noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Schröders Fassung hält sich lange auf den Bühnen, während die reinen Sängerfassungen Neefes und Schmieders sehr bald in Vergessenheit geraten. Das straff geführte Drama interessiert und packt die Menschen, die Musik ist nur noch Beiwerk, dies um so mehr als nur wenige Theater Sänger mit entsprechender Ausbildung und Orchester zur Verfügung haben.

Auch Berlin spielt kurz darauf die Schröder’sche Fassung, bei der noch eine Eremiten-Szene aus dem Schauspiel eingefügt wird - Don Giovanni wird zum Mörder, da er den ihn suchenden Don Ottavio ersticht.

Die Zuschauer erleben das Ende eines Verbrechers - Furien peinigen ihn, ehe er zur Hölle fährt.

Mit diesem Finale entfällt erstmalig das Schlusssextett. Die Oper endet dramatisch und nicht mit dem einem Herrscherhaus zur Besänftigung vorgeführten ’lieto fine’ - die Auflösung des Dramas ins Heitere.

Breitkopf und Haertel bringen 1801 eine neue deutsche Fassung von Johann Friedrich Rochlitz heraus, die weiter einen gefühlsbetonten, bürgerlichen Gedanken in den Vordergrund stellt, wonach diese Fassung als lyrisches Drama bzw. - wird die Musik hinzugenommen - als Singdrama bezeichnet werden könnte. Die Aktion aus der Schauspielfassung wird wieder zurückgedrängt und in den Vordergrund tritt die Gefühlsbewegung aus der Musik, die eine Tätigkeit auslöst.

Entscheidend für die Aufführungspraxis des Don Giovanni wird die Bearbeitung vornehmlich der Rezitative durch Richard Wagner für eine Aufführung 1850 in Zürich.

Waren unter Meyerbeer in Berlin am 19. November 1845 die übliche Begleitung des Sprechgesangs durch Mozart-Flügel oder Klavier durch ein Streichquartett - eine Bearbeitung durch Samuel Schmidt - das Novum, so kehrt diese Aufführung im Schweizer Exil zum accompagnierten Rezitativ zurück.

Eine weitere entscheidende Veränderung in die Richtung zum musikalischen Drama beginnt schon früher mit der Übernahme der Rolle der Donna Anna durch die große Sängerdarstellerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Sie macht aus der Figur die Rächerin, sie übt Vergeltung am Tod des Vaters und ihrer eigenen Schändung durch Don Giovanni - wie sie E.T.A. Hoffmann 1814 in seine Novelle ‘Don Juan’ einbrachte.

In der Erzählung der nächtlichen Begebenheit in Nr. 10 verschweigt sie diesen Tatbestand und hält somit Ottavio uninformiert. Da oftmals die zweite Arie Ottavios, die Nr. 21, nicht gesungen wurde, bestand die Möglichkeit, die Figur der Donna Anna weiter zu verändern, in dem die Nr. 23 als Briefszene gespielt wurde - Donna Anna teilt sich Don Ottavio schriftlich mit.

Die Romantik und Richard Wagner führen die Entwicklung der Rächerin weiter und bringen den Gedanken der Erlöserin ins Spiel - hier den Gegenpol zum ‘Verbrecher’ Giovanni - in der Figur der Donna Anna.

Für die Nr. 23 erhält sie auf der Bühne einen Herrgottswinkel mit Betstuhl und ewiger Lampe - eine Entsprechung zur Arie der Elisabeth im 3. Akt Tannhäuser. Das Böse im Männlichen bedingt durch Sinnlichkeit bei Don Giovanni und Tannhäuser wird aufgelöst durch das Gute im Weiblichen der Donna Anna und Elisabeth.

Die Überwindung der Körperlichkeit durch das Geistige - Wolfram / Elisabeth gegen Venus und Tannhäuser, der Holländer erlöst durch Senta, die Welt erlöst durch Brünnhilde: „[...] So werf ich den Brand in Walhalls prangende Burg.[...]“

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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