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Aus einem Announcement des
Staatstheaters Kassel
100 Jahre Richard-Wagner-Verband Kassel
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'Der fliegende
Holländer'
Musikalische
Leitung: Patrik
Ringborg
Inszenierung:
Lorenzo Fioroni
»Traft ihr das
Schiff im Meere
an, blutrot die
Segel, schwarz
der Mast? Auf
hohem Bord der
bleiche Mann,
des Schiffes
Herr wacht ohne
Rast.« So heißt
es in der von
Senta gesungenen
Ballade im
FLIEGENDEN
HOLLÄNDER.
Jenem Holländer,
der zum
Herumirren auf
den Weltmeeren
verdammt ist und
den nur eines
retten kann: die
ewige Treue
einer liebenden
Frau.
Richard Wagner
gibt für die
Dichtung seiner
Oper DER
FLIEGENDE
HOLLÄNDER, die
1843 in Dresden
uraufgeführt
wurde, zwei
Quellen an: Eine
Sage, wie er sie
»aus dem Munde
der Matrosen
bestätigt
erhielt«, und
Heinrich Heines
originelle
Interpretation
dieser Sage in
einem Teil
seines »Salons«.
Den Ursprung des
Werkes enthüllt
uns Wagner
folgendermaßen:
»Dies war der
fliegende
Holländer, der
mir aus den
Sümpfen und
Fluten meines
Lebens so
wiederholt und
mit
unwiderstehlicher
Anziehungskraft
auftauchte; das
war das erste
Volksgedicht,
das mir tief in
das Herz
eindrang, und
mich als
künstlerischen
Menschen zu
seiner Dichtung
und Gestaltung
im Kunstwerke
mahnte.«
Auch wenn DER
FLIEGENDE
HOLLÄNDER noch
als romantische
Oper gilt, so
sah Charles
Baudelaire im
19. Jahrhundert
in ihm schon ein
Werk der Zukunft
angelegt, in dem
wir einer
»vortrefflichen
Methode des
Aufbaus und
einem Geist der
Ordnung und
Gliederung
begegnen, die an
die Architektur
der griechischen
Tragödie
erinnern.«
Es ist ein
Drama, dessen
Ouvertüre nach
Baudelaire »tief
und schauerlich
wie der Ozean,
der Wind und die
Finsternis
zugleich ist.
Das
Allerverborgenste
im menschlichen
Herzen drückt
diese Musik aus
mit Tönen
süßester
Lieblichkeit bis
zum schrillsten
Dröhnen.«
Dieses
Wagner-Drama
zeichnen vier
Topoi aus: die
Todessehnsucht,
die
Opferbereitschaft
der Frauen, der
Liebestod und
schließlich die
Erlösung. Am
Ende entsteigen
den Fluten die
verklärten
Gestalten Sentas
und des
Holländers. –
»Er hält sie
umschlungen«,
lautet Wagners
letzte
Regieanweisung;
»die Sehnsucht
nach Ruhe aus
den Stürmen des
Lebens« wird
somit eingelöst.
Besetzung
Mario Klein
(Daland)
Astrid Weber
(Senta, seine
Tochter)
Jörg Dürmüller
(Erik, ein
Jäger)
Inna Kalinina
/
Anja Lang
(Mary, Sentas
Freundin)
Johannes An
/
Young-Hoon Heo
(Der Steuermann
Dalands)
Stefan Adam
(Der Holländer)
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'Der fliegende Holländer' oder
'Who is Who in the Navy'
Das freie Assoziieren kennt man aus der
Psychoanalyse oder als
Gesellschaftsspiel, um eine Person zu
erraten.
Deshalb fragten sich die achtzehn
Musikfreunde des
Richard-Wagner-Verbandes Hannover nach
äußerst zwiespältigen Erfahrungen in
Freiburg, Würzburg und vor allem nach
den Scheußlichkeiten in Essen:
"Was ist dem Regieteam in Kassel denn
jetzt bloß zum 'Holländer' eingefallen?"
Während der stürmisch, aber unverhetzt
und farbenreich-detailliert
vorgetragenen Ouvertüre belehren auf den
Vorhang projizierte Texte den Zuschauer
- bei Brecht ist das legitim - und
dokumentieren die Belesenheit der
Dramaturgie, während der Musikfreund es
eigentlich vorzieht dem Orchester unter
der sympathischen und aufmerksamen
Leitung von Patrik Ringborg zuzuhören.
Die Bühne von Cordelia Matthes zeigt
eine hell-graue Felsenlandschaft mit
einem Steinbogen in Richtung Meer, aus
diesem 'Teufelsloch' brachte eine
heftige Bö mit Tunneleffekt Dalands
Schiff sieben Meilen vor dem Heimathafen
vom Kurs ab.
Rechts ein spitzer Kletterfelsen,
daneben ein Gang Richtung Land.
Kapitän und Schiffseigner Daland, der
elegante Geschäftsmann - eine Freude für
Auge und Ohr, hat den Sprung von seinem
Kreuzfahrtschiff, ohne nass zu werden
geschafft. Dagegen schlurfen dann seine
Passagiere, die das Abschiedsdinner
hastig in ihrer Abendgarderobe verlassen
mussten, zerzaust und vor Wasser
triefend, einige mit Rettungswesten auf
die rettenden Felsen. Die
Paillettenkleider der Damen - wohl noch
aus der letzte 'Lustigen Witwe' -
glitzern durch den reichlich wabernden
Nebel, Young-Hoon Heo, gibt
Flaggensignale, singt kraftvoll sein
Lied vom Südwind, Senta, die unter den
Passagieren war, spielt mit ihrer
Digitalkamera, hantiert dann mit ihrem
Koffer, diesem überstrapazierten Symbol
der 'Unbehaustheit' und verschwindet mit
Papa Daland hinter einem Felsen.
Der Steuermann und die erschöpften
Passagiere schlafen ein, in den
Trompeten und Hörnern ertönt das
Quart-Quint-Holländer-Motiv, Bratschen
und Celli brummeln übellaunige Sextolen
und eine schmuddelige, rothaarige
Männergestalt mit bekleckertem,
blassgrünen Pullover über dem
ansehnlichen Genießerbauch schleicht
heran. Es könnte 'Falstaff' sein, der
dem Waschkorb und der Themse entsteigt!
Aber nein - es ist 'Der fliegende
Holländer' und alle Vorfreuden der
ZuschauerInnen auf einen attraktiven,
dämonischen Heldenbariton sind dahin. |
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Warum nur, Frau Kostümbildnerin Sabine
Blickenstorfer? das ist umso trauriger,
als Stefan Adam kultiviert mit schlank
geführter Stimme, das Timbre mit gutem
Vokalausgleich bis in die hohe Lage -
das gefürchtete F bei 'ihr Welten' und
das massive E beim Schluss 'nimm mich
auf' - singt und dabei auch gut
textverständlich ist.
Warum nimmt der Regisseur Lorenzo
Fioroni der Titelfigur die Chance als 'lonesome
hero' die Seefahrer und die Frauen zu
beunruhigen, hat doch sein Lehrmeister
Götz Friedrich ihm gewiss geraten, erst
einmal den Text sorgfältig zu lesen?
Als Unappetitlicher durch die Welt zu
trotteln, hat kein Heldenbariton
verdient!
Das prächtig von Mario Klein und Stefan
Adam gesungene Duett Daland / Holländer
erfreut dann auch unsere Ohren und
dankbar nimmt man zur Kenntnis, dass
Daland nie in das Klischee des plumpen
Verhökeres der Tochter verfällt, sondern
ganz wacher Geschäftsmann bleibt.
Als Opfer der Finanzkrise nimmt er
trotzdem gierig, statt der von Richard
Wagner vorgeschlagenen Realwerte -
Goldschätze, Perlen, Edelsteine - faule
Papiere an und muss sie später
resigniert ins Wasser streuen.
Der Wind hat sich gedreht, der
Steuermann meldet es, aber jetzt stellt
das Einheitsbühnenbild von Cordelia
Matthes dem logischen Ablauf ein Bein
und man fragt sich: 'Who is Who in the
Navy?'
Passagiere, Offiziere, Stewards,
Mannschaft von Daland, Mannschaft des
Holländers, Dorfbewohner?
Also, dann: auf in den ehemals zweiten
Aufzug oder 'Wenn Frauen spinnen'!
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Einen
geeigneten Partner für sich und die
Nachkommen zu ergattern, strengen sich
menschliche und tierische Weibchen
gehörig an.
Auf den Turnierplätzen der Hirsche und
Pfauen, am Arbeitsplatz, am
Swimmingpool, auf Parties präsentieren
sie ihre Vorzüge. In Richard Wagners 19.
Jahrhundert waren hausfrauliche
Fähigkeiten und in der Mittel- und
Ober-Schicht ein wenig Bildung gefragt.
Das heutige Girly ist vor allem
’body-gebuildet’ und so erscheint Senta
ja auch im Mini-Pailettenkleidchen
drahtig und durchtrainiert in Gestalt
der kampferprobten Astrid Weber, die in
allen Lebenslagen technisch perfekt
singen kann.
Den exzellent klingenden Frauenchor des
Staatstheaters Kassel präsentiert
Regisseur Lorenzo Fioroni als
Fitness-Truppe, angefeuert von der
Trainerin Mary.
Schwärmerisch herzt Senta ein Buch mit
dem Portrait des Holländers als sei es
ein Poster der Jungs von ’Tokio-Hotel’
und singt am Felsen kraxelnd wie auch
bäuchlings darauf liegend, tadellos,
strahlend die Ballade.
Ina Kalinina mit Traumfigur und echter
runder Altstimme provoziert
spinnend-wippend aber so sehr die
Männer, dass sie später aufgehängt am
Seil baumeln muss. Mord oder Selbstmord?
Ein Fall für den ’Tatort’.
Senta will weder spinnen noch strechen,
sie fotografiert sich in gequälten Posen
und als ihr Handspiegel zerbricht und
sie sich mit einer Scherbe verletzen
will, hält ein adretter junger Mann, ihr
Verlobter Erik, sie davon ab. Er ist
unter all den Irren dieser Inszenierung
der einzig Bodenständige. Jörg Dürrmeier
singt den Erik mit schönem Legato, ein
leichter, heller Tenor, der sich mit der
extrem hohen Lage der Partie nicht
plagen muss.
Würde er statt des hellen Knödels des
späten Peter Schreier, sich den
makellosen Fritz Wunderlich zum Vorbild
nehmen, wäre das Zuhören noch
angenehmer. Eriks Traumerzählung
atmosphärisch vom Staatsorchester mit
allen instrumentalen Finessen begleitet,
bringt atemlose Stille in den Saal.
Senta phantasiert sich das Ziel ihres
Erlösungswahns herbei, Erik stellt fest:
"Sie ist dahin!"
Daland hat Holz von der Seitenbühne
geholt, der Holländer, der bei den
Pfadfindern gut aufgepasst hat, drillt
ein Stöckchen, entzündet es und
verbindet sich in einer finsteren
Feuerzeremonie mit Senta.
Sie setzen sich an einen Hochzeitstisch,
zwei Autisten, jeder für sich in seinem
Wahn gefangen.
Das Volk, von Hunger, sexuellem
Überdruck und Inselkoller befallen,
streift alle Zivilisation ab, schleppt
einen erlegten Auerochsen herbei, frisst
rohes Fleisch, beschmiert sich mit Dreck
und Blut, fällt über die Frauen her, der
Steuermann, der anfangs mit der Pistole
fuchtelte, leitet vom Kletterfelsen den
Hexensabbat.
Dazu steuern Chöre, Orchester und
Tontechnik volle Phonstärke bei; Richard
Wagner hat für Menschen in
Extremsituationen eine wahrhaft wüste
Musik geschrieben, die in einem
fff-Akkord endet, verhallt und im Tamtam
pianissimo verzischt.
Das Volk versinkt in der
Untermaschinerie, Erik versucht an
gemeinsame Erlebnisse anzuknüpfen,
bietet stimmlichen Schmelz und Richard
Wagners mit Mordenten geschmückte Kadenz
auf, aber Senta ist nicht mehr auf
dieser Welt.
Der Holländer zeigt Photos der zahllosen
Frauen, die seiner fixen Idee von der
Treue bis in den Tod zum Opfer fielen,
’Erik 'funkt' mit Spiegelsignalen SOS an
ein vorbeifahrendes Schiff, mit hoher
Konzentration schwingt sich der
Heldenbariton von Stefan Adam auf das
hohe F - 'Fahr hin, mein Heil', Astrid
Weber aktiviert sportlich ihre Kräfte
für 'sein Gebot' und ’treu dir' auf A
und H und bricht zusammen.
Eriks Hilferufe haben Erfolg!
Einige frisch gewaschene und gebügelte
weiße Uniformen betreten die Bühne,
Senta greift nach einem feschen Offizier
- er könnte Leutnant Linkerton sein und
in der verebbenden Musik Richard Wagners
eröffnet sich zart ein:
’Fortsetzung folgt.’ |
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Die Musikfreunde erlebten eine spannende
Geschichte mit intelligenter
Personenführung und überraschenden
Details.
Wie aber ergeht es dem jungen Menschen,
der den 'Fliegenden Holländer' noch nie
gesehen hat?
Das hundertjährige Bestehen des Richard
Wagner Verbandes Kassel wurde mit einem
prächtigen Konzert höchst lebendig
gefeiert und aus den Reden der
Vorsitzenden, der Politiker und des
erfreulich engagierten Intendanten hörte
jeder heraus, wie bereichernd die
Beschäftigung mit dem Werk Richard
Wagners trotz aller Widersprüche ist.
Die Mitglieder der Richard Wagner
Verbände sind Vorbilder für
ehrenamtliche Kulturpolitik!
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