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Die
Angelegenheit beginnt mit einer organisatorischen Fehlleistung.
Entsprechend der Maßgabe der Gewerkschaft werden die Türen zum Gebäude der bayerischen
Staatsoper erst um Punkt eine Stunde vor Beginn der Vorstellung - hier also um
15 Uhr - geöffnet.
Die Order des Herrn Bachler - gerade verlängerter Intendant
des Instituts - besagt, der Herr Dramaturg habe um dieselbe Zeit - also um 15
Uhr mit seinem Einführungsvortrag zu beginnen.
Das Publikum hat keine Zeit, zu stutzen, das hätte es sich vorher überlegen
müssen, nun gilt es zu entscheiden.
Wähl man die Version 1, gibt den Ballast ab und
eilt stürmischen Schrittes quer durch das Gebäude zum Capriccio-Saal.
Dort kommt
derweilen der Dramaturg zum Ende seines Referates über das, was RW wollte und
was nun der Regisseur draus gemacht hat.
Oder rennt man in der Version 2 zum Vortrag, mit der Gefahr, dass man mitsamt Plünnen im Zuschauerraum sitzt, weil keine Zeit mehr
verblieb, sich
der Pelerinen zu entledigen.


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Dass alles in einem schäbigen Schmuddelschauspiel-Regisseur-Ambiete' -
Theaterdirektor und Regisseur kennen sich aus Wien - spielt, war zu erwarten.
Hier nun im ersten Aufzug Baustelle, links und rechts Gerüsttürme, Leuchten
daran befestigt, zwischen den beiden Stahlbauten ein Holzpodest wie eine
Boxarena.
Im zweiten Aufzug gleiche Aufteilung, nun aber als 'dreckerte' Häuserfassaden, daran
befestigt Satellitenschüsseln zum Empfang diverser TV-Programme.
Links ein alter
Renaultlieferwagen als rollende Schusterstube.
Gleiche Szenerie für den Beginn
des dritten Aufzugs, dann nach der Verwandlung wieder die Gerüstteile, nun mit
Fahnen behängt, die heruntergerollt werden können, wenn sie denn funktionieren
würden.
Zum Schluss wird schamhaft ein verzerrtes Hitler-Portrait und ein Foto von Dr.
Goebbels eingeblendet - der Bezug zu einer heute wieder populären politischen Strömung sollte wohl krampfhaft
hergestellt werden.

2. Aufzug

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Das versierte Ensemble weiß, was es zu tun hat und jeder gestaltet seine Rolle
nach Gutdünken, möglicherweise blieb auch etwas aus den Proben die
Gesamtkonstellation betreffend hängen.
Dass alle den Abend über im selben Look erscheinen, konnte nicht anders erwartet
werden, einem modernen, mit der Zeit gehendem Schauspiel-Regisseur fällt zu Kostümen wenig ein.
Allenfalls darf Beckmesser sich umgewanden.

3. Aufzug

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Dass der Text auch an diesem Institut nicht in Übereinstimmung mit der Szene
gebracht wird, zeigt wieder wie sehr am Bildungsauftrag zu Lasten des
Steuerzahlers vorbei gearbeitet wird.
Den bayerischen Ministerpräsidenten tangiert es wenig bis garnicht.

3. Aufzug

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Der Ablauf des Stückes findet in der üblichen Abhängigkeit der Rollen zu-
und gegeneinander statt.
Beckmesser, der Verschmähte, der auf Hubpodium Balancierende, der
sich nach der Prügelfuge im Rollstuhl Bewegende,
Sachs, der ältliche Liebhaber
in seinem moving-shoe-shine-automobile, der weiß, dass er es nicht mehr bringen wird,
Goldschmied Pogner, der Schöne, der liebende Vater, der sein Kind in der heutigen Zeit verhökert und
letztlich an einen herumziehenden Pop-Sänger
bringt, ohne direkt etwas davon zu haben oder gar Geld dafür zu nehmen -
bei dessen fabelhafter Stimmgebung mit ausgezeichneter Artikulation und deutlichen
Endkonsonanten - exemplarisch.
David mit einem Elektroroller Umhergondelnder gemäß RW Lehrbube
- am Besetzungszettel der Staatsoper ohne Zugehörigkeitsbescheinigung.
Magdalene ein irgendwas,
die trotz Textvorgaben ohne Bezug zu Eva steht und die mehr oder weniger stets rein- und rausrennt.
Ein Ereignis der Nachtwächter von einem kuwaitischen Bariton mit einem
außerordentlich schönem Timbre gesungen, erinnert an den jungen Bernd Weikl in BT in den 70er Jahren.

Der fahrende Sänger

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Der Held, im Original ein Ritter aus Frankenland, hier in MUC -
Jeans und Lederjöppelchen reichen ihm, gleich wo er auftritt, 'turnschuht' er durch den Abend.
Dass er schon als Radamès in München auf 'unstraffen Schlurfi' machte, stört den
Anteil nehmenden Opernbesucher.
Lässt es sich in den Meistersingern noch einigermaßen - das Gesamtkonzept auf Schmuddel
basierend - akzeptieren, so ist es unmöglich, nachzuvollziehen, dass
er als ägyptischer Obrist mit
'einer Heerschar tapf'rer Männer', von ihm geführt, den
einzigen Krieg, den die Ägypter jemals siegreich beendeten, nämlich den im
zweiten Akt 'Aida', eben diesen, dieses 'Buberl im lockigen Haar', aber
unstraffer Haltung, geführt haben soll.
Keiner sagt ihm:
"Stell' dich grade hin,
Brust raus,
geh' und steh' aufrecht
und benimm dich nicht so nölig!"
"Aber er ist doch so niedlich!"
Und so war er
es eben schon als Caramello in Regensburg als Anfänger 1993/1994.
Das Publikum merkt aber dieses
heute und straft Hochnäsigkeit mit geringerem Schlussbefall als es dem Sachs zukommen lässt.
Dass Walter nun Töne durch Angähnen abdunkelt, wurde schon nach einem Konzert im
Gasteig berichtet. Dass da Strahl und Kern verloren gehen, nimmt er in Kauf, denn
es drohet schlimme Pein, er will ja unbedingt am 28.6.2017 aus dem ROH
London den Otello ins Cinemaxx und in 'alle Welt' übertragen lassen.
Dabei fasziniert er im Spiel. Es ist nichts auf der Bühne, das er nicht anfasst
und in die Handlung einbezieht. Da ist die H-Milch-Tüte, er muss natürlich dran
riechen und darf feststellen, die Milch ist sauer, worüber er deutlich seine
Nase rümpfen kann.
Gleich drauf beim Gespräch Eva/Sachs sitzt er am Rand der Bühne und dreht
Zigaretten.
Lasst den 'Wuschel' doch den Romeo spielen:
'Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunst'gen Höh'n:
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.'

Schusterstube
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Das schönste Weib, Eva im Paradies, eine fesche, schlanke, Junge mit Strahlstimme, die einzige, die
gut über die Orchesterwogen hinwegkommt und somit auch auf den teuren Plätzen im
Parkett vernehmbar ist.
Wie schön klang neben ihr die Okka mitsamt dem hohen B als Waldtaube in den Schönberg'schen Gurreliedern
in Hannover, aber die liegen halt in bequemer Mittellage, bis auf die
Spitzentöne, während die Lene sich halt doch in unangenehmer hoher Lage ohne
große Bögen singen zu dürfen, mit
Plappern aufhält.
Einzig gute Regieleistung ist die Herausstellung des Kothner wie der sich
präsentieren darf und der dabei schlackenfrei, alterslos, ohne Schaukel singt, obwohl man ihn doch schon vor Jahrzehnten in
Wiesbaden hörte.
Ein berührendes Erlebnis.

Ständchen

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Fazit:
Alles in allem szenischer Schmuddel-Schmarrn, nicht anders zu erwarten, dieser mit
kräftigen Buhs kommentiert.
Die kamen bei der Repertoirevorstellung zu spät, sie hätten bei der vom BR
übertragenen Premiere deutlicher rüberkommen müssen.
Angeblich wollte der Regisseur - laut Dramaturg - es Beckmesser überlassen, etwas Neues für das Stück zu erfinden
und er wollte angeblich zeigen, wie das Leben der Protagonisten weitergehe.
Auf Seite 28
des Programmheftes redet er zwar darüber, aber dies darzustellen, gelingt ihm nicht.

3. Aufzug
'Verachtet mir die Meister nicht'
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll
bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der
Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes
oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch.
Dieter Hansing
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