Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften 
zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 


    Theater Regensburg

  
  Bemerkungen eines Vollzahlers zur szenischen Umsetzung von
   

  
 Georg Büchner
   'Woyzeck'

    
     Repertoirevorstellung 10. Oktober 2014

     'Tauziehen'

 

 


Das Theater Regensburg gibt bekannt:

 

Zitat

Woyzeck

Schauspiel von Georg Büchner (1813–1837)

Velodrom

Inszenierung Katrin Plötner
Bühne Anneliese Neudecker
Kostüme Henriette Müller
Musik Markus Steinkellner


 


 

»Woyzeck« ist das erste soziale Drama der deutschen Literaturgeschichte. Georg Büchner macht einen authentischen Fall zur Grundlage seines Stückes, das er 1836/37 in Straßburg und Zürich erarbeitete und das durch seinen Tod Fragment geblieben ist. Jede Aufführung muss sich mit der nicht eindeutig festgelegten Szenenfolge und dem fehlenden Schluss auseinandersetzen und Entscheidungen für eine Fassung treffen.

Woyzeck, der einfache Soldat, sorgt für seine Geliebte und das gemeinsame Kind. Für zusätzlichen Lohn stellt er sich dem Doktor für physiologische Experimente zur Verfügung. Auch wegen seiner labilen Psyche ist er ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Woyzeck hetzt durch den Tag und versucht, sein Leben am untersten Rand der Gesellschaft, so gut es geht, mit Anstand zu leben. Doch als Woyzeck merkt, dass der Tambourmajor hinter seiner Marie her ist und die sich darauf einlässt, verliert Woyzeck seinen letzten Halt.

Wir danken für die freundliche Unterstützung des DAV Kletterzentrums Regensburg.


Einführungsveranstaltungen

Matinée | Sonntag, 14.09.2014 | Velodrom | Eintritt frei


Besetzung

Woyzeck Gunnar Blume
Marie Pina Kühr
Hauptmann Gerhardt Hermann
Doktor Michael Haake
Tambourmajor Robert Herrmanns
Andres Sebastian Ganzert
Käthe Franziska Sörensen
Narr
Jacob Keller

Zitatende
 

 

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In Leipzig lebt der Sohn eines Perückenmachers, der Gelegenheitsarbeiter J. C. Woyzeck, die 'arme' Kreatur schlechthin, von einem Arzt zu medizinischen Experimenten missbraucht, seinen Hauptmann hilflos ausgeliefert, kann sie sich vor der Willkür seiner Umgebung nicht schützen, sorgt aber fürsorgevoll für seine Geliebte und sein Kind. Diese kleine Ordnung zerbricht als Marie den Verführungen eines Tambourmajors erliegt. Er ersticht sie und wird verhaftet.
Ein Gutachten stuft den Mörder als voll verantwortlich ein, danach wird er schuldfähig gesprochen und verurteilt.

Die für den 13. November 1822 vorgesehene Hinrichtung wird verschoben, da doch Zweifel an der geistigen Zurechnungsfähigkeit erhoben werden.
Der erneut berufene Gutachter Dr. Clarus zeigt die Vergehen des Delinquenten auf, die 'moralisch gefestigte' Gesellschaft stimmt ihm zu und am 27. August 1824 wird Johann Christian Woyzeck auf dem Marktplatz zu Leipzig durch das Schwert hingerichtet. Eine große Menschenmenge verfolgte das Schauspiel, das sie nach langer Entbehrung, die Vollstreckung eines Todesurteils zu sehen, nun endlich wieder voll genießen kann.

Der Vorgang wird Büchner bekannt, da die Umstände des Leben dieses im sozialen Abseits stehenden Menschen in einer Zeitschrift veröffentlicht wurden, die Büchners Vater abonniert hatte und in der er selber als Arzt veröffentlichte.

Die damaligen Lebensumstände der unteren sozialen Schichten gehen in das Werk ein, das Büchner wohl um 1836 zu schreiben begann.
Da werden die längerfristigen Versuche - von Justus von Liebig durchgeführt - mit der Versorgung von Soldaten mit Erbsbrei erwähnt, die zu Mangelerscheinungen führen, es können auch weitere Eifersuchtsmorde die Erstellung des Dramas beeinflusst haben wie die neuere Büchner-Forschung zu beweisen sucht. Hier stellen sich der Wissenschaft immer wieder Probleme, da Nachweise über Büchners Arbeit in nur geringer Zahl zur Verfügung stehen.
 

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Wie schon bei der Erstellung des Hessischen Landboten 1834 greift Büchner das Elend der Bevölkerung, gerade in Hessen-Darmstadt auf, die unter der feudalabsolutistischen Herrschaft leidet.
Alle Bestrebungen, Reformen durchzuführen, Freiräume, die schon unter Napoleon geschaffen wurden, zu erhalten, wurden von den Herrschenden zunichte gemacht.
Die Restauration - beschlossen während des Wiener Kongresses 1815 - wirkte sich in beklemmender Form aus. Die Menschen waren dem Zugriff der Hoheiten ausgeliefert.

Die Menschen litten unter den sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit. Gelegentliche Ausbrüche, das Übergreifen der Juli-Revolution in Frankreich von 1830 auf Süddeutschland, das Hambacher Fest von 1832 und die Verfolgung der Gedanken dieser Ereignisse durch die Obrigkeit hatte zur Folge, dass sich die Menschen in ihre Kleinwelt zurückzogen, um nur nicht aufzufallen.
 

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Büchner erlebte die Vorgänge in Gießen, wohin er - nach dem Beginn seines Medizinstudiums in Straßburg - überwechselte. Sehnsuchtsvoll dachte er an die republikanischen Gegebenheiten in der französischen Stadt am Rhein. Nach der staatlichen Verfolgung wegen des 'Landboten' floh er 1835 nach Frankreich - wieder zurück nach Straßburg - und weiter in die Schweiz.
Hier suchte er neben seinen medizinischen Dissertationsarbeiten Zeit für schriftstellerische Tätigkeiten zu finden.
Er starb am 19. Februar 1837 in Zürich.
Das erste sozialkritische Drama - der Woyzeck - blieb so ein Fragment.
Erst 1879 wurde es veröffentlicht, am 18. November 1913 in München uraufgeführt.
 

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Nach Alban Bergs Oper 'Wozzeck' im Jahr 2009 hat nun das Theater Regensburg auch Büchners Vorlage im Spielplan.

Dabei zeigt man auf der einen Seite die optische Überfrachtung eines Stückes, als glaube man nicht an das Werk und die Darsteller und reduziert in anderer Hinsicht auf Choreographie und Textaufsagen in einem Umfeld mit Tauen, die vom Schnürboden herabhängen, die aber nichts mit der Story zu tun hat, die in einer Zeit der feudalistischen Unterdrückung in Deutschland spielt.
Soll das Verstrickung symbolisieren?

Nichts ist zu sehen, dass es sich bei der Titelpartie um einen an seine körperlichen Grenzen gelangten Menschen, einen mit Erbsbrei Fehlernährten, handelt.

Woyzeck - am Vortag noch seelenloser Brick in 'Katze' - spurtet hier kraftvoll über die Bühne, hangelt sich die in Massen herumhängenden Taue hinauf, turnt auf denen herum, lässt sich kopfüber aufhängen - von Schwäche und geistiger Beengtheit ist nichts zu erkennen und auch im Vortag des Textes nichts zu vernehmen.
Der Darsteller - laut Regensburger Schauspieldirektorin Junge, in der Rolle eines einfachen Soldaten - folgt, ohne alle soldatischen Attribute wie Uniform, Orden und Lametta in Unterhemd und zeitweise runtergelassener Unterhose - offensichtlich willenlos den Vorgaben der Dompteuse, hopst und springt und hastet über die Bühne, dass es eine Freude ist, wäre da nicht die vom Autor vorgegebene gequälte Kreatur, die von deren Umwelt unterdrückt wird.
Dass er sich - laut Schauspieldirektorin - darum bemüht, irgendwo, irgendwie dazuzugehören, ist bei der Anlage der Rolle durch die Choreographin schlichtweg unmöglich. Dieser Darsteller ist viel zu gesund und selbstbewusst, als dass man ihm abnehmen könnte, er sei ein aus der Gesellschaft Ausgeschlossener.

Der Hauptmann, in den Resten eines dienstgradbezogenen Outfits, sorgt sich um Woyzeck, er mahnt den zur Langsamkeit, der sehe immer so gehetzt aus.
Wenn dies denn nicht vermittelt werden kann, so liegt es daran, dass der Darsteller des Woyzeck im rasanten Tempo über die Bühne spurtet und er wohl so außer Atem kommt.
Ein Gehetztsein - wie vom Autor unter den damaligen Gegebenheiten des beginnenden 19. Jahrhunderts und seiner gesellschaftlichen Schwierigkeiten - sieht anders aus - als von der Regensburger Schauspieldirektorin beschrieben und von der Dompteuse umgesetzt und auf den Darsteller übertragen. 

Dass der Doktor in Körper-Umgürtung, wie man sie aus der Schlussszene des Franz Moor aus der Zollner'schen 'Räuber-Inszenierung des Jahres 1993 noch kennt, in den Schnürboden hochgezogen wird, ist eine der typischen Regie-Zutaten wie sie sich in Form der drei 'Grottenolme' in der Regensburger 'Zauberflöte' und  im 'Stumme-Jule-Beiwerk' im Regensburger 'Tristan' zeigen.
Was der Doktor da oben im Schnürboden soll, erschließt sich dem 'gemeinen Regensburger' nicht.
Möglicherweise meint die Choreographin, man könne so die Dämlichkeit des Arztes deutlich machen. Dass der nicht ganz dicht ist, ist allerdings jedem klar und bedarf nicht einer zirzensischen Überhöhung durch Aufzug des Bodys ins Bodenlose.

Der Tambourmajor, aufgeblasene Puppe - schwarze Fahne wie gewisse Leute schwenkend, die mit HI-TEC zurück ins siebte Jahrhundert wollen - ist Teil der Gesellschaft, direkt  mit dem herrschenden System verknüpft, bei dem dann, beim Einlassen mit dem niederen Volk, 'die Luft' an der entscheidenden Stelle wegbleibt und er versagt.

Marie, unbedarftes Mausele, ihr Kind - sowas kommt von sowas - lebt zwischen und in den sich ihr zeitweise bietenden Welten. 'Der Franz ist nit kommen', dann kommt eben ein anderer Mann. Man nimmt, was man kriegen kann - große Auswahl besteht nicht - der Hauptmann zu klapprig schon, obwohl er mal wieder möchte. der Doktor zu spinnert.

Einem, dem keiner beikommt, der Andres, der trommelt sich handfest eins, gleitet nicht in ein sentimentales Getue ab.

Narr und Käthe - Beiwerk, nach dem Motto der Choreographin:
'Ach,  da ist mir noch was eingefallen, das könnten wir doch noch machen.'

Musikalische Einlagen 'rabatzen' vor, nach den Auftritten und mitten in die Szenen, unterstreichen damit den vordergründigen Charakter der Produktion.
 

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Fazit:
Viel Rumgehample, das von der Tragödie ablenkt.
Der Hauptdarsteller, fehlgeleitet, auch hier das Drama überfrachtet mit Gemache und Getue, so dass ihm sein eigenes Leid durch die Aktionen vergeht.


Die kraftvollen Auftritte der übrigen Darsteller stehen im Widerspruch zum damaligen Elend der Bevölkerung, nach Willen des Autors durch die einseitige Ernährung der Soldaten beispielhaft aufgezeigt - somit das Dilemma dieser Inszenierung.

Die Aussage - es handele sich bei der Regensburger Woyzeck-Produktion um 80 Minuten voller Seelenqual - kann folglich nicht nachvollzogen werden.

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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