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04.01.2010 - dradio.de

 


Thema des Tages

Meininger Theatertournee

 
01. Mai 1874

1866 folgte Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen seinem Vater auf 'dem Thron', da dieser sich im deutsch-deutschen Krieg dieses Jahres auf die falsche Seite gestellt hatte und nicht mehr weiter regieren durfte.

Herzog Georg hatte die Vorliebe seines Vaters für die Künste übernommen und verstärkte noch seinen Einfluss auf das Theater.

6000 Einwohner der Stadt Meiningen waren mit nur wenigen Vorstellungen befriedigt, so dass der Herzog nach Möglichkeiten suchen musste, die Kosten der Produktionen auf mehrere Veranstaltungen zu verteilen und ging so mit seinen 'Meiningern' auf Tournee.

Am 1. Mai 1874 hob sich zum ersten Mal der Vorhang des Friedrich-Wilhelmstädtischen, das spätere 'Deutsche Theater', für das Ensemble aus der Thüringer Provinz, für Shakespeares 'Julius Cäsar'.
Regie, ein Ensemblespiel, Massenszenen - eine der großen Stärken der 'Meininger' - sowie die den Zeitgeschmack treffende detailgetreue historisierende Ausstattung begeisterten die Berliner.

Der Durchbruch war geschafft, die Tournee wurde um zwei auf sechs Wochen verlängert. Insgesamt wurden 47 Vorstellungen gegeben. Bis 1887 folgten sieben weitere Gastspiele. Die Berliner sahen 433 Aufführungen von 31 verschiedenen Inszenierungen. Schillers "Jungfrau von Orleans" (55 Vorstellungen) und "Julius Cäsar" (52) waren beim Publikum besonders gefragt.

Berlin war das 'Tor nach Deutschland', Wien das 'Tor nach Europa'.
Auch nach der Auflösung des Deutschen Bundes blieb Wien das Zentrum des deutschsprachigen Theaters. Auswärtige Ensembles - noch dazu aus der deutschen Provinz - hatten beim Kaiser von Österreich kaum Möglichkeiten, zu bestehen.

Die Meininger wagten dennoch den Schritt an die Donau und so wurde das Wiener Gastspiel vom 25. September bis zum 31. Oktober1875 mit 'Julius Cäsar', Schillers 'Fiesko' und Shakespeares 'Was ihr wollt' ein großer Erfolg.

Es folgte eine 16-jährige Tourneetätigkeit mit 81 Gastspielen in 38 Städten Europas mit 2591 Aufführungen, darunter in London, Wien, Stockholm, Moskau, Sankt Petersburg und Amsterdam.

Entscheidend für die Erfolge, die auf der Arbeit vor Ort vor dem ersten Gastspiel von 1874 beruhten, war die konsequente Verfolgung selbstauferlegter Regelungen.

 

 

Die Meininger Prinzipien

  1. Die Ideale der Kunst sind bei Theateraufführungen historisch korrekt und so detailreich wie möglich darzustellen.
  2. Die Theaterkunst soll zur Entwicklung des Wertebewusstseins beitragen, auf eine stetige Kultivierung des Menschen zielen und nicht vordergründig kommerziellen Interessen dienen.
  3. Als reproduzierende Kultureinrichtung vollendet das Theater die schöpferische Arbeit des Dramatikers. Diesem hat der Darsteller zu dienen und das Virtuosentum ist zu unterdrücken.
  4. Nur die dichterischen Urtexte sind maßgebend für die Arbeit der Regisseure, Dramaturgen und Bühnenbildner. Der Charakter des Stückes darf nicht verwischt werden.
     
  5. Zeitgemäßes Theater ist Regietheater, in dem der Regisseur die Hauptverantwortung für die Aufführung trägt. Er fasst das Literarische, Akustische und Visuelle zu einem Gesamtkunstwerk zusammen.
     
  6. Alle am Theater beteiligten Künste werden bei den Aufführungen durch einen einheitlichen Stil zusammengeführt. Dieser Stil wird optisch durch die Ausstattung wie Bühnenbild, Kostüme, Requisiten und Interieur augenfällig gemacht.
     
  7. Ambitioniertes Theater basiert nicht auf der Leistung eines Stars, sondern auf der des Ensembles. Rollenmonopole sind abzulehnen, die Darsteller sollen universell einsetzbar sein, auch für Statistenrollen.
     
  8. Einer Premiere geht eine intensive Probenphase voraus, die so lange dauert, bis der sachlich wirkungsvollste Ausdruck eines Stückes erreicht ist. Rollentraining des Schauspielers und Ensembleproben bilden hier die Grundlage.
     
  9. Massenszenen sollen ebenso individuell gestaltet und präzise einstudiert werden wie Szenen mit einzelnen Darstellern. Die Statisten sind in Gruppen aufzuteilen, die von erfahrenen Schauspielern geführt werden.
     
  10. Beim Bühnenbild sind Symmetrie, Parallelität und zentrale Perspektiven zu vermeiden. Mit der „Meininger Kontrasttechnik“ wird eine umschlagende Stimmungslage sichtbar gemacht, das „Meininger Zimmer“ sind praktikabel eingerichtete Räume, und das „Meininger Braun“ mit seiner warmen erdigen Tönung eignet sich besonders für Bühnenbilder. Blasse Farben bei Dekorationen und Kostüme sollen nur sehr dezent eingesetzt werden.
     
  11. Die Theaterfinanzierung ist die Pflicht der Gesellschaft, künstlerischer und finanzieller Erfolg sind ebenbürtig zu erreichen.
     
  12. Das große Ideal der Theaterkunst verlangt nach Würde und Festlichkeit und schließt einen missionarischen Aspekt ein.


 

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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