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... am
13. Januar 1923
Reichstag, (286. Sitzung)
"Geehrte Damen und Herren!
Vorgestern, am 11. Januar 1923, drangen französische und
belgische Truppen in zwei Hauptkolonnen in freies
deutsches Gebiet ein,
(Pfuirufe)
überschritten die Grenzen, die nach Artikel 428 des
Vertrages von Versailles der Besetzung durch die Truppen
der alliierten und assoziierten Mächte gezogen sind, ja
sogar die vorgesehenen Grenze des Gebiets, das im
Widerspruch mit den Bestimmungen unter dem Namen der
Sanktionen seit März 1921 in die Besetzung einbezogen
worden ist.
Die Truppen waren kriegsmäßig ausgerüstet
(Hört! Hört!)
und führten außer ihren Feldküchen Munitionsfahrzeuge,
Gerät, Gepäck und Lazaretwagen mit sich.
(Hört! Hört! und Bewegung)
An der Spitze marschierten Kavallerieabteilungen mit
gezogenem Säbel
(erneute Pfuirufe)
und Radfahrabteilungen. Auf dem Marktplatze in Essen
fuhren Panzerwagen auf, Maschienengewehre wurden in
Stellung gebracht, der Belagerungszustand verhängt, für
jede Übertretung der militärischen Gesetze gerichtliche
Bestrafung angedroht.
(Erregte Zurufe)
Die Transportbewegungen begannen am 7. Januar. Beteiligt
am Vormarsch sind zwei Infanteriedivisionen und eine
Kavalleriedivision von Seiten Frankreichs und belgische
Abteilungen aller Waffengattungen. Dieser Vormarsch
vollzog sich mit allen kriegsmäßigen Sicherungen einem
Lande und einem Volke gegenüber, das die Entwaffnung
durchgeführt hat und friedlicher Arbeit gewidmet ist und
das nicht daran denken konnte und nicht daran gedacht
hat, der bereitgestellten Armee französisch-belgischer
Truppen auch nur einen Mann oder ein Gewehr
entgegenzustellen.
Der Einleitung dieser Maßnahmen war am 10. Januar die
Übergabe einer Notifizierung durch den französischen
Botschafter und den belgischen Geschäftsträger in Berlin
an den deutschen Reichsminister des Auswärtigen
vorangegangen, wonach auf Grund der von der
Reparationskommission am 9. Januar -- also zwei Tage
nach Beginn der Truppenbewegungen! --
(lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
festgestellten Unvollständigkeit der deutschen Erfüllung
an Holz und Kohle die französische Regierung beschlossen
habe, eine aus Ingenieuren bestehende Kontrollkommission
ins Ruhrrevier zu entsenden, um die genaue Durchführung
des Programms sicherzustellen und alle für die Bezahlung
der Reparationen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Die
französische Regierung hat in der Aufzeichnung erklärt,
daß sie gegenwärtig nicht daran denke,
(Hört! Hört! und Rufe: Gegenwärtig!)
zu einer militärischen Operation oder zu einer Besetzung
politische Art zu schreiten, daß sie von Soldaten nur in
beschränktem Maße Gebrauch mache, um die Tätigkeit
französischer Ingenieure bei den deutschen Industriellen
und den Transportdienst zu unterstützen. Keine Störung,
keine Veränderung in dem normalen Leben der Bevölkerung
solle erfolgen,
(Lachen)
sie könne in Ruhe und Ordnung weiter arbeiten. Sie hat
erklärt, auf den guten Willen der deutschen Regierung
und aller Behörden zu rechnen, welcher Art sie auch
seien. Diese Note, meine Damen und Herren, und die in
solcher Weise angekündigten Maßnahmen werden von der
französischen Regierung gestützt auf den Vertrag von
Versailles, jenen Vertrag, der, auf den Tag genau drei
Jahre vor Überreichung der Note ratifiziert, zum Zwecke
geschlossen wurde,
(Lachen)
an die Stelle des Krieges einen festen, gerechten und
dauerhaften Frieden treten zu lassen. Sie werden
gestützt auf den Vertrag, in dem als wesentlich
bezeichnet wird, bestimmte Verpflichtungen zu
übernehmen, nicht zum Kriege zu schreiten ... die
Vorschriften des internationalen Rechts, dir Fürderhin
als Richtschnur für das tatsächliche Verhalten der
Regierungen anerkannt sind, genau zu beobachten, die
Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle
Vertragsverpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen
der organisierten Völker peinlich zu beachten. Sie
werden gestützt auf den Vertrag, der aus jenem großen
Programm der Versöhnung, der Gleichberechtigung, der
Selbstbestimmung der Völker abgeleitet wurde, das im
Jahre 1918 aufgestellt, Deutschland verheißen und von
Deutschland in der Note der deutschen Regierung vom 3.
Oktober 1918 als Grundlage der Verträge über
Waffenstillstand und Frieden angenommen worden war.
In jenem Vertrag von Versailles, meine Damen und Herren,
habe wir schwerste Verpflichtungen zum Ersatz der
Kriegsschäden übernommen, Verpflichtungen, die uns
entgegen dem Vorvertrage vom 5. November 1918 auferlegt
worden waren.
(Sehr richtig!)
So schwer die Last ist, so gewährt der Vertrag immerhin
Deutschland das unverbrüchliche Recht, daß die ihm
auferlegten Leistungen nach seinen Hilfsmitteln und der
Leistungsfähigkeit zu bemessen sind;
(Lebhafte Zustimmung)
weiter das Recht, vor der Reparationskommission mit
allen Gründen und Beweisen hinsichtlich seiner
Zahlungsfähigkeit gehört zu werden.
(Sehr richtig!)
Mehr als einmal hat die deutsche Regierung im Laufe der
letzten drei Jahre erfahren müssen, daß diese Rechte
Deutschlands nicht ausreichend beachtet wurden.
(Lebhafte Zustimmung)
Gleichwohl hat sich das deutsche Volk ehrlich bemüht,
bis zu den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und des
eigenen notwendigen Lebensbedarfs die Wirtschaftsschäden
der Gegner auszugleichen. Es hat ehrlichen und
aufrichtigen Herzens die Politik der wirtschaftlichen
Reparationen betrieben. Fast seine ganze Handelsflotte
hat es dahingegeben, Binnenschiffe in großer Zahl,
Lokomotiven und Wagen bis zur Wirkung langdauernder
Lähmung des deutschen Verkehrswesens,
(sehr richtig!)
seine Kolonien, in denen es seinen Beruf zu
wirtschaftlicher und kultureller Aufbauarbeit wahrhaftig
nicht schlechter erwiesen hatte als irgend ein anderes
Volk.
(Lebhafte Zustimmung)
Es hat die Saargruben dahingegeben, größte Werte an
Staatseigentum im Ausland, den Ertrag der Arbeit von
Generationen, den Gegners übereignet, hat Kohle und Koks
geliefert, Farbstoffe, Vieh, Maschinen, Baustoffe, alles
Leistungen, die viel, viel größer waren, als die
Rücksicht auf die eigene Wirtschaft je es zugelassen
hätte.
(Lebhafte Zustimmung)
Seine Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren einig, nicht
nur in der Bereitschaft, sondern in dem dringenden
Wunsche, ihre Kraft an den Wiederaufbau der zerstörten
Gebiete Nordfrankreichs setzen zu können. Aber gerade
auf die Heranziehung zu solch produktiver Arbeit hatten
wir zu warten, immer wieder zu warten. Andere Lasten
aber wurden uns auferlegt, weit über unsere Kräfte, bis
zum Verfall unserer Wirtschaft, wie er heute vor aller
Augen seht. Ich Frage die Welt, ob jemals ein Volk mehr
geleistet hat und mehr hat leisten können, das ganze
Vier Jahre hindurch durch Absperrung von Weltverkehr,
Verlust des Krieges, Hunger und Entbehrung aller Art
entnervt und entkräftet war.
(Sehr richtig!)
Und da dem nicht so ist, wie kann Herr Poincaré in
seiner Kammerrede erklären, er könne nicht mehr auf die
falschen Versprechungen Deutschlands zählen und sich
durch sie täuschen lassen! Wie kann er der Überzeugung
Ausdruck gegen, daß Deutschland keinerlei Anstrengungen
machen wird, seine Verpflichtungen zu erfüllen, ohne daß
er Zwang ausübe? Wie läßt sich vor aller Welt diese
Behauptung aufrechterhalten, wenn es Tatsache ist, daß
die deutsche Regierung nicht nur durch Erklärungen,
sondern auch durch Vorschläge und Maßnahmen die Lösung
des Reparationsproblems in einer auch für Frankreich
befriedigenden Weise bemüht war, nachdem durch das
Urteil aller Sachverständigen der internationalen
Finanzwelt wie der Sachverständigen der Gläubigerstaaten
und auch durch die Reparationskommission selbst die
gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit Deutschlands
festgestellt war?
(Sehr gut!)
Meine Damen und Herren, die Note meines Herrn
Amtsvorgängers vom 14. November 1922 hat ein vorläufiges
Programm für die Reparationen umschrieben, ein
endgültiges vorbereitet. Mit ihrer einhelligen
Zustimmung hat die Regierung die Arbeit für die
endgültige Lösung auf dem Boden dieser Note aufgenommen.
Das Problem stellte sich uns, vom Standpunkt des
Vertragsgegners aus gesehen, unter drei Gesichtspunkten
dar. Finanziell handelte es sich darum, Frankreich bei
den unbestreitbaren Schwierigkeiten in seinem
Staatshaushalt sofort greifbare Mittel zu schaffen.
Wirtschaftlich war davon auszugehen, daß die deutsche
und französische Wirtschaft in wichtigen Beziehungen
aufeinander angewiesen sind, und es war ein Weg zu
suchen, um diese wechselseitigen Belange ohne Zerstörung
des deutschen Wirtschaftslebens auszugleichen. Politisch
standen wir der Tatsache gegenüber, daß Frankreich die
Unentbehrlichkeit seiner Stellung am Rhein immer wieder
(betont).
Der erste Schritt war das Schreiben vom 9. Dezember an
den englischen Premierminister Bonar Law zur Konferenz
von London, in dem ich einen Vorschlag machte, der für
die nächsten Jahre vorsorgen und die Brücke zu einer
endgültigen Lösung sein sollte. Dem dringenden
französischen Geldbedarf eine vorläufige feste Summe zu
sichern, war der leitende Gedanke eines hauptsächlich
finanziell gedachten ersten Vorschlages. Der Erfolg der
Arbeit war Ablehnung.
Dann arbeiteten wir Vorschläge für die Pariser Konferenz
aus. In meiner Hamburger Rede habe ich das Wesen dieser
finanziellen und wirtschaftlichen Vorschläge so deutlich
gekennzeichnet, daß auch die Öffentlichkeit der
Ententeländer klar Ziele und Wege dieses Lösungsversuchs
sah.
(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)
Der Plan war unter eingehender und gründlicher Prüfung
mit sachlich hierzu geeigneten Kräften des deutschen
Wirtschaftslebens aufgestellt worden. Er entsprach
wiederum dem Bedürfnis Frankreichs nach einer festen
ersten Summe. Nach dem einhelligen Urteil der
Sachverständigen konnten wir zwar eine feste Summe aus
eigener Tasche nicht bieten. Wir haben aber erklärt, daß
wir bereit sind, eine feste Summe als erste Rate zu
bieten, die durch Anleihe auf dem Weltmarkt placiert
werden konnte. Es kam dann wieder darauf an, weitere
Zahlungen gemäß einer künftigen besseren Entwicklung
unserer Wirtschaft zu bieten. Das geschah, indem wir bis
zu einer bestimmten Grenze uns verpflichteten, weitere
Anleihen nach Maßgabe unseres Kredits aufzunehmen. Zu
einem ähnlichen Gedanken des englischen Vorschlags hat
Herr Poincaré nach den Pressemeldungen über seine letzte
Rede -- der amtliche Wortlaut liegt mir leider noch
nicht vor
(Hört! Hört!)
Aber welchen anderen und besseren unparteiischen und
rein wirtschaftlichen Maßstab gibt es für die
Abschätzung späterer Erholung der Wirtschafts- und
Finanzkraft als den Kredit?
(Sehr richtig!)
Endlich kam es darauf an, für die Einlösung der
deutschen Verpflichtungen die Kraft der deutschen
Wirtschaft einzusetzen. Ich habe erklären können, daß
die deutsche Wirtschaft, namentlich die Industrie- und
Bankwelt, bereit waren, die Regierung bei der
Durchführung ihrer Vorschläge zu unterstützen und über
die geeignete Art einer von ihr zu übernehmenden
Garantie zu verhandeln. -- Unser Vorschlag ist nicht
angenommen.
Nach der wirtschaftlichen Seite haben wir dem
französischen Ministerpräsidenten angeboten, eine
Kommission von Vertretern der Industrie- und Bankenwelt
nach Paris zu entsenden, die mit den maßgebenden
Vertretern des französischen Erwerbslebens im
Einvernehmen mit Frankreichs Alliierten über eine
wirtschaftliche Verständigung verhandeln sollte.
(Zuruf von den Kommunisten)
Herr Poincaré hat diesen Vorschlag abgelehnt.
Um politische Hemmnisse einer rein wirtschaftlichen
Regelung zu beseitigen, traten wir durch Vermittlung
einer dritten Macht an die französische Regierung heran
und boten ihr einen durch das demokratische Mittel der
Volksabstimmung gesicherten Rheinlandspakt an, der alle
französischen Sorgen wegen eines militärischen
Auftretens Deutschlands aus dem Wege räumen sollte. Herr
Poincaré hat diesen Vorschlag abgelehnt.
(Hört! Hört!)
Keiner dieser Vorschläge, meine Damen und Herren, war
starr und unbeweglich gestellt, jeder vielmehr so, daß
er Raum für Verhandlungen und Vereinbarungen über
Ausführung und Ausfüllung bot. Die Grundgedanken unserer
Vorschläge waren denen verwandt, die aus den Kreisen der
Alliierten selbst gemacht worden sind. Abweichungen in
der Größenordnung, ja sogar erhebliche Abweichungen
waren vorhanden. Der Unterschied aber, der diese
Gedanken von den französischen Auffassungen trennte, war
nicht graduell und relativ, sondern radikal und absolut.
(Sehr richtig! rechts)
Es ist der Unterschied zwischen machtpolitischem und
wirtschaftspolitischem Denken.
(Sehr gut!)
Aus diesem machtpolitischen Denken, meine Damen und
Herren, erklärt sich der geschichtliche Schritt der Note
vom 10. Januar und des Einmarsches vom 11. Januar dieses
Jahres,
(sehr richtig!)
äußerlich nicht an das große Problem der Reparation
geknüpft, sondern an etwas Kleineres, ja Kleinstes, an
Versäumnisse, die Deutschland in der Lieferung von Holz
und Kohlen zur Last gelegt werden.
(Hört! Hört!)
Für Kohlenmengen, die wenige Prozent der seit dem
Waffenstillstand tatsächlich bewirkten Lieferungen im
bisherigen Gesamtergebnis ausmachen, für Schnittholz und
Telegraphenstangen unternimmt Herr Poincaré eine
militärische Aktion,
(Hört! Hört!)
die Frankreich Kosten unabsehbaren Umfangs verursachen
muß und die in geradezu verhängnisvoller Weise Mittel zu
unproduktiven Zwecken bindet!
(Lebhafte Zustimmung)
Was wird die "Ingenieursexpedition" in das Ruhrgebiet
darüber hinaus dem Weltvermögen an Mitteln und Werten
entziehen?
(Sehr richtig!)
Wo bleiben da die Wirtschaftsgründe, auf die Herr
Poincaré den Einmarsch in das Ruhrgebiet zu stützen
glaubt?
So wenig Wirtschaftsgründe er hat, meine Damen und
Herren, so wenig läßt sich ein Rechtsgrund für sein
Beginnen geltend machen.
(Sehr richtig!)
Ich kann das mit wenigen Worten nicht schärfer umreißen,
als es in der Note geschieht die gestern dem
französischen Botschafter und dem belgischen
Geschäftsträger übergeben wurde.
"Nach den ausdrücklichen Festsetzungen der
Reparationskommission in ihrer Note vom 21. März 1922"
-- so heißt es dort -- "würde eine Verfehlung bei den
Holz- und Kohlenlieferungen nichts anderes als die
Forderung von Barzahlungen rechtfertigen, so daß die
Anordnung anderweitiger Maßnahmen auf Grund der §§ 17,
18 in diesem Falle ausgeschlossen ist.
(Sehr richtig!)
Selbst bei rechtmäßiger Anwendung der §§ 17, 18 würden
aber nur wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen oder
nur solche Maßnahmen, die ihnen dem Wesen und der
Bedeutung nach gleichzustellen sind, gegen Deutschland
getroffen werden dürfen. Das könnten nur Maßnahmen sein,
welche die Alliierten in ihrem eigenen Hoheitsgebiet
durchführen,
(Sehr richtig!)
nicht dagegen Maßnahmen, die, die der gegenwärtige
Einbruch von Truppen und Beamten in das Ruhrgebiet, die
denkbar schwerste Verletzung der deutschen Hoheitsrechte
bedeuten. Endlich können nach dem Vertrag etwa zulässige
Maßnahmen gegen Deutschland nur von den an den
Reparationen beteiligten alliierten Mächten gemeinsam,
(Sehr richtig! rechts)
nicht von einzelnen Mächten auf eigene Faust getroffen
werden."
(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und rechts)
Meine Damen und Herren! Was den letzten Punkt anlangt,
so haben wir für unsere Rechtsauffassung das wertvolle
Zeugnis eines Franzosen, der Herrn Poincaré nicht
fernsteht und bei den jetzigen französischen Plänen
keine geringe Rolle spielt. In dem amtlichen Bericht des
französischen Kammerausschusses über den Versailler
Vertrag wird bei der Erörterung der von der
französischen Regierung jetzt zitierten
Vertragsbestimmungen ausdrücklich gesagt, daß die bei
Nichterfüllung der Reparationsverpflichtung vorgesehenen
Maßnahmen von den Alliierten "in gemeinsamem
Einverständnis" -- d'un commun accord -- getroffen
werden sollen.
(Hört! Hört!)
Der Verfasser dieses Berichts des Kammerausschusses ist
kein anderer als Herr Barthouh, Vorsitzender der
Reparationskommission.
(Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
Ich sollte denken, daß er als Vorsitzender dieser
Kommission keine andere Auffassung vertreten kann, als
wie er sie damals als Berichterstatter des Parlaments
geäußert hat.
(Sehr gut!)
Dieselbe Auffassung, meine Damen und Herren, folgt aus
den Zusagen, die nach der Besetzung von Frankfurt am
Main die französische Regierung dem britischen Kabinett
gab: sie beabsichtigte bei allen interalliierten Fragen
der Ausführung des Vertrags nur in Übereinstimmung mit
ihren Alliierten zu handeln.
(Sehr gut! rechts)
Aber selbst wenn alle diese Voraussetzungen so klar
gegeben wären, wie sie in Wirklichkeit fehlen, so wären
doch nie und nimmer, meine Damen und Herren, Maßnahmen
einer politischen Besetzung und militärischen Aktion
zulässig.
(Sehr richtig!)
Um solche aber handelt es sich; denn auch die Worte, die
Herr Poincaré in der französischen Kammer sprach, können
über die Realität der französischen Soldaten und Waffen
in Essen nicht hinwegtäuschen.
(Lebhafte Zustimmung)
Was an deutschem Gebiet in Ausführung des Vertrags von
Versailles besetzt werden dar, ist vom Vertrag selbst
ausschließend in den schmerzlichen Bestimmungen über die
Bürgschaften für die Durchführung umschrieben;
(Sehr wahr! rechts)
haben doch die Alliierten selbst in ihrer Note vom 16.
Juni 1919 auf die Bemerkungen der deutschen Delegation
zu den Friedensbedingungen hin feierlich erklärt, daß
die Reparationskommission, auf deren Mehrheitsbeschluß
jetzt Frankreich seine Maßnahmen stützt, weder ein
Werkzeug zur Bedrückung noch ein listiges Mittel zu
Einmischung in Deutschlands Hoheitsrechte sei,
(Hört! Hört! bei den Deutschen Demokraten und rechts)
daß sie keine Truppen zur Verfügung
(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen)
und keinerlei Exekutivrechte innerhalb der Gebiete
Deutschlands habe.
(Hört! Hört!)
Und als endlich das Schlußprotokoll über den Vertrag
ausgetauscht wurde, war vorher von Herrn Clemenceau noch
ausdrücklich anerkannt worden, daß nach der
Inkraftsetzung des Vertrags die Anwendung von
Sicherungsmitteln, wie sie der Krieg mit sich bringe,
ihr Ende gefunden habe.
(Hört! Hört! bei den Deutschen Demokraten und rechts)
Es steht fest: Recht und Vertrag sind mit dem Einmarsch
der fremden Truppen ins Ruhrgebiet gebrochen worden."
(Lebhafte Zustimmung. -- Rufe von den Kommunisten: Das
haben sie von euch gelernt! -- Erregte Pfuirufe. --
Glocke des Präsidenten. Reichstagspräsidenten: " Ich
bitte um Ruhe!" Erregte Rufe der Kommunisten. Gegenrufe
rechts. Erregung und große Unruhe. "Ich bitte wiederholt
um Ruhe!" )
"Gegen die Gewalt, die hiermit einem wehrlosen Volke
angetan wird, erhebt die deutsche Regierung vor der
ganzen Welt feierlich Protest.
(Stürmisches Bravo)
Sie kann sich gegen diese Gewalt nicht wehren. Sie ist
aber nicht gewillt, sich dem Friedensbruch zu fügen oder
gar, wie ihr angesonnen wird, bei der Durchführung der
französischen Absichten mitzuwirken.
(Erneute stürmische Zustimmung)
Sie weist diese Zumutung zurück. Die Verantwortung für
die entstehenden Folgen fällt allein auf die
Regierungen, die den Einmarsch vollzogen haben.
(Lebhafte Zustimmung. Zurufe von den Kommunisten)
Solange der vertragswidrige Zustand, geschaffen durch
den gewaltsamen Eingriff in das Zentrum der deutschen
Wirtschaft, andauert und seine tatsächlichen Folgen
nicht beseitigt sind, ist Deutschland nicht in der Lage,
Leistungen an diejenigen Mächte zu bewirken, die jenen
Zustand herbeigeführt haben.
(Lebhafter Beifall)
Den am Einmarsch nicht beteiligten alliierten und den
neutralen Regierungen haben wir unsere Auffassung
mitgeteilt, den Regierungen Frankreichs und Belgiens
haben wir unseren Protest gegen den Rechtsbruch erklärt.
Unser Botschafter in Paris und unser Gesandter in
Brüssel sind zurückgezogen worden.
(Bravo!)
Es ist wenig, bitter wenig, meine Damen und Herren, was
wir der Gewalttat äußerlich entgegensetzen können.
(Sehr wahr! rechts)
Was wir ihr innerlich entgegensetzen können und müssen,
ist mehr: Wille und Entschluß!
(Sehr gut!)
Wohl frage ich die anderen Glieder der Völkergesamtheit,
ob sie sich Frieden für die Welt und Versöhnung erhoffen
können, wenn hier Gewalt über das Recht siegt, über das
innere Recht eines Volkes und über das Recht eines
Vertrages, unter dem die Unterschriften fast aller
Staaten der Welt stehen.
(Sehr gut!)
Aber ich richte keinen Appell an sie. Denn ich weiß, daß
mehr als jemals über den Geschicken der Völker und
Nationen harte Interessenfragen walten. Dürfen wir
erwarten, daß die Zwangsläufigkeit wirtschaftlicher
Entwicklungen über kurz oder lang zu einem Wandel führen
wird, ehe sich vielleicht ein Brand entzündet, der nicht
nur Deutschland, sondern Europa bedroht?
(Sehr war! bei den Deutschnationalen)
Meine Damen und Herren! Zunächst stehen wir allein.
Wirtschaftliche Reparationsverhandlungen, zu denen wir
bereit waren und bei Wiederherstellung des Rechts immer
bereit sein werden, versprechen ohne eine grundsätzliche
Umstellung unseres wichtigsten Gläubigers keinen Erfolg;
(Sehr richtig!)
denn es handelt sich bei der französischen Aktion, der
wir heute gegenüberstehen, im Wesen nicht um die
Reparation.
(Lebhafte Zustimmung)
Es handelt sich um jenes alte Ziel, das seit mehr als
400 Jahren der französischen Politik eigen ist,
(erneute lebhafte Zurufe: Sehr wahr!)
dessen unveränderte Geltung durch die Denkschrift des
Herrn Dariac auch dem nur im Tage Lebenden enthüllt
wurde.
(Erneute lebhafte Zustimmung)
Es ist die Politik, die am erfolgreichsten Ludwig XIV.
und Napoleon I., die nicht minder deutlich aber auch
andere Gewalthaber Frankreichs betrieben haben bis auf
den heutigen Tag,
(Wiederholte Zustimmung)
jene Politik, deren Ziel im Herbst 1914 nach dem Zeugnis
Jswolfkis zwischen diesem und Delcassé dahin festgelegt
wurde, das Deutsche Reich und seine Existenz zu
vernichten, jene Politik, in deren Dienst im Februar
1917 erklärt wurde, "daß die jetzt zu dem Bestand des
Deutschen Reiches gehörenden linksrheinischen Gebiete
von Deutschland ganz abgetrennt und von jeder
politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit
Deutschlands befreit werden sollten",
(Hört! Hört!)
jene Politik, die im Frühjahr 1919 in Versailles hinter
verschlossenen Türen in hartem Kampf siegte, jene
Politik der brutalen Expansion, die heute wie früher im
Gewande des Rechts einherschreitet, nur daß man damals
von Reunionen wie heute von Reparationen spricht.
(Sehr gut!)
"Mitten im Frieden haben Sie Krieg geführt und
wundersame Eroberungen gemacht; Sie haben eine
Reunionskammer eingesetzt, um Richter und Partei
zugleich zu sein. Das hieß der Rechtsanmaßung und
Gewalttätigkeit noch Kränkung und Hohn hinzufügen."
So rief Fénelon Ludwig XIV. zu. Wie wenig, meine Damen
und Herren, ist an diesem Wort zu ändern,
(Lebhafte Zustimmung)
damit es auf den heutigen Tag paßt!
(Erneute lebhafte Zustimmung)
Aber, meine Damen und Herren, zum Siege führen konnte
Frankreich seine Politik mit eigenen Waffen wie mit
Hilfe fremder Waffen doch nur dann, wenn das deutsche
Volk in sich selbst versagte.
(Sehr richtig!)
Auf die Haltung des deutschen Volkes kommt es an.
Fühlbar geht eine Bewegung durch unser Volk, deren Tiefe
man darum vielleicht nicht ganz ermißt, weil man gewohnt
ist, es mit unveränderlicher Geduld und Leidenskraft
seine Lasten schleppen zu sehen. Es ist nicht einer
unter uns, der sich von diesem gemeinsamen Leidensgefühl
auszuschließen vermöchte,
(Lebhafte Zustimmung -- Zurufe auf der äußersten Linken)
der nicht aufs tiefste erschüttert wäre im Glauben an
Menschheit und Recht. Es gibt aber ein Höheres als die
Versenkung in das Leid; das ist der tätige Wille des
Überwindens.
(Lebhaftes Bravo)
Dazu gehört in unserer Lage die wachste Besonnenheit,
die Sammlung aller Seelenkräfte. Denn jeder falsche
Schritt jedes einzelnen aus Unüberlegtheit oder aus
Mangel an Selbstbeherrschung kann von schlimmsten Folgen
für die Gesamtheit werden.
(Sehr richtig!)
Wir erfüllen eine unabweisbare Pflicht gegen unser Volk,
wenn wir mit dem stärksten Nachdruck den Ruf zur
Besonnenheit wiederholen.
(Sehr richtig!)
Dieselben Kräfte, meine Damen und Herren, die uns hierzu
fähig machen, lassen Sie sie zusammenwirken, um die Not
und die schweren Zeiten zu überstehen, die kommen werden
und die nur zu überwinden sind, wenn jeder bereit ist,
sein Letzes herzugeben und sein Äußerstes zu tun.
(Lebhafte Zustimmung -- Zurufe auf der äußersten Linken)
Ich will und kann auf Einzelheiten nicht eingehen. Die
zu treffenden Maßnahmen sind in Behandlung genommen;
aber erinnern muß ich an die kommende Not in diesem
Augenblicke, weil wir klar sehen wollen. Es nutzt
nichts, meine Damen und Herren, harte und starke Worte
zu sprechen und morgen zu klagen, daß Opfer und Bürde zu
schwer seien. Dazu lassen Sie uns alle Kraft der Herzen
und der Hände unserem Volk und Vaterlande zuwenden,
allen müßigen Streit begraben, diesem deutschen Staat
uns jetzt in seiner Not erst recht vorbehaltlos zu eigen
geben,
(Sehr richtig!)
die Ehre der deutschen Republik wachsam bewahren als die
Ehre eines einigen Volkes!
(Lebhaftes Bravo)
Zu festester Einigung aller Schichten unseres Volkes, zu
innigster Gemeinschaft mit dem Staat, zur Weckung aller
tiefen, offenen und verschütteten, sittlichen und
religiösen Kräfte ruft uns die Stunde.
(Lebhaftes Bravo)
Die Reichsregierung ist bereit, diesen Weg zu gehen und
zu führen.
(Erneutes lebhaftes Bravo)
Der Mitwirkung, mehr; des Vertrauens der Regierungen der
Länder ist sie sicher. Finden wir den Entschluß, diese
Einigkeit aus Wort zu Tat zu machen, Stunde um Stunde,
Tag um Tag, bis dem Recht wieder die Freiheit geworden
ist, dann wird auch diese Generation und diese Zeit ihre
Ehre haben. Der Weg des deutschen Volkes führt durch
Tiefen; aber er ist nicht zu Ende. Stolz bekennen wir
uns unveraltet und ungebrochen zur Größe der uns
gestellten Aufgabe für die Menschheit, fühlen uns als
Träger eines Rechts, das nicht stirbt.
(Bravo! in der Mitte und rechts)
Unrecht, Not Entbehrung -- unser Schicksal heute; Recht,
Freiheit und Leben -- das Ziel; Einigkeit -- der Weg!"
(Stürmisch anhaltender Beifall und Händeklatschen. --
Zischen auf der äußersten Linken)
(Verhandlungen des Reichstags. Stenographische Berichte.
I. Wahlperiode 1920. Bd. 357. 286. Sitzung. Berlin 1922,
S. 9418-9422.)
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Dieter Hansing
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