Damals in Regensburg

01.11.2005
 
       
'Torso'  

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   Repertoire-Vorstellung 'Der zerbrochne Krug'
 

 

Das Land der Bayern gedenkt der Heiligen der römisch-katholischen Kirche und am Tag drauf der Seelen der Verstorbenen.
Der Freistaat hat alle Halloween-Veranstaltungen untersagt und das Theater Regensburg disponiert für den 1. November das Lustspiel 'Der zerbrochne Krug' von Heinrich von Kleist.
Die Reaktion auf dieses Unterfangen zeigte sich in der Akzeptanz: das Velodrom als einer vielen Spielstätten des Theaters Regensburg war nur spärlich besetzt, ca. 300 Zuschauer.

Interessant ist, immer wieder einmal nach der Premiere
Damals_in_Regensburg_-_Kritik_Der_zerbrochne_Krug_30.9.2005

sich eine Repertoirevorstellung anzusehen, um die Entwicklung einer Produktion aufzunehmen und Ohren- bzw. Augenzeuge zu werden, wie z.B. der zehnte Auftritt verkichert wird und die Darsteller an sich halten müssen, um nicht vor Lachen rauszuplatzen.

Oberspielleiter Michael Bleiziffer inszenierte das Meisterwerk. Nahm er Anstoß an einer Vielzahl der Texte oder schien ihm das Werk schon in der Fassung ohne den Anhang als zu lang?
Wie auch immer, er präsentiert den 'Krug' in einer textlich reduzierten Form. Wurde noch in der Einführungsmatinee der große Wert der Kleist'schen Dichtung hervorgehoben, so zeigt nun die Inszenesetzung nur noch einen Torso.
Dafür gleich am Beginn 'stumme-Jule-Akrobatik-Aktionen', wie das aus dem Bett fallen des Dorfrichters - das Publikum freut's.

Wieder einmal wird eine Taschenlampe bemüht und Reclams Universalbibliothek, die Striche wenigstens im Groben festzuhalten.
Ohne hier auf alle Textveränderungen einzugehen, fragt sich der Chronist, was wohl der Grund für den dramaturgischen oder konzeptionellen Ansatz war:

 

 

- den Auftritt des Bedienten mit der Botschaft des Herannahens
  von Inspektor Gerichtsrat Walter zu streichen?
  Den Text bekommen die Mägde.

- warum wird in Regensburg der Ort, phonetisch dargestellt: statt
  'Heusum' hier nun als 'Hüsum' gesprochen, sicher hat der Herr
  Oberspielleiter einen Grund dafür, jedoch das Programmheft
  verschweigt das Warum.

- die Textpassagen - zum Beispiel und z.T. nur mit den Anfangs-
  texten aufgeführt - zu streichen.
 

 
 

 

Ein Bauer sah zur Fahrt
 

 
 

 

Nehmt euch in Acht
 

 
    Er ist im Wirtshaus noch
 
 
    Ist er schon unterwegs etwa?
 
 
    Der Teufel soll mich holen
 
 
    Es ist dem Herrn Gerichtsrat (bis) He! Liese
 
 
    Klärt die Justiz in Huisum
 
 
    Wieviele Kassen habt ihr
 
 
    Kann jemand anders
 
 
    Dank', Ihr hört's
 
 
    Ihr krugzertrümmerndes Gesindel (geht völlig im Getümmel der Szene unter)
 
 
    Meint Er, dass die Justiz ein Töpfer ist (bis) Sie flicken!
 
 
    Heut ist Verlobung,
 
 
    Der Richter ist ein Handwerksmann
 
 
    Was sagt er? - was befehlen euer Gnaden? (bis) Und Ihr, Herr Schreiber, führt das Protokoll.
 
 
    Da muss submiss ich um Verzeihung bitten!
(bis) es sei. Ihr fangt von vorn die Sache an.
Die Beschreibung der Rechtsprechung in Huisum ist somit weggefallen.
 
 
    Dort wischten seine beiden Muhmen sich (bis) Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.
 
 
    Aufs Rad will ich ihn sehen, oder mich
Nicht mehr geduldig auf den Rücken legen:
 
 
    Ei, Leutchen! (bis) Parteien so zweideutge Lehren geben.
 
 
    Wohin auch (bis)  Tut Eure Schuldigkeit , sag ich, zum Henker!
 
 
    Da ich jetzt aufersteh, (bis) Sie soll schweigen!
 
 
    Dass sie, Herr Richter (bis) zu tilgen
 
 
    Mein Seel, Herr Richter Adam (bis) mit ihm fortzukommen.
 
 
    Wenn ich gleich was Erkleckliches nicht aufbring (bis) kommt Zeit, kommt Rat kannst hängen.
 
 
    Hättet Ihr ein Weib (bis) Mit an dem Ofenwinkel aufgesetzt.
 
 
    Sollt ich auch dem Manne wohl (bis) noch nicht erschienen.
 
 
    Nun, Evchen, höre (bis) mag's den Tod dran fressen.
 
 
    Ich weiß nicht, war's der linke (bis) dass wir nachher Gelegenheit -  
    Seht, wie der Richter Adam (bis) den Rücken peitscht!  

Striche können den Ablauf einer Produktion beschleunigen, dem Stück aber auch einen anderen Sinn geben.

Ab Zeile 435 ist das Gespräch Marthe - Ruprecht gekürzt, worin er darauf eingeht, dass:
Die Hochzeit ist es, die ein Loch bekommen, -

Es ist ja nicht nur der Krug, der zu Bruch ging, sondern für Frau Marthe die Aussicht, einen Korporal als Schwiegersohn zu bekommen. Und wenn dies schon nicht gelingen kann, soll Eve wenigstens unbeschadet in die Ehe mit dem 'Flaps' Ruprecht gehen.

Weggefallen sind auch die Texte in Bezug auf das kranke Perlhuhn - von Eve für den Dorfrichter mit dem Nudelklos zu retten - das Bindeglied also zwischen Frau Marthe's Tochter und dem Dorfrichter.
So steigt Adam ganz einfach nur der Eve nach, ohne über den Vorwand des kranken Huhns ungenierter zu ihr in Kontakt treten zu können.

Nun aber gerade die Textpassage:
Dort wischten seine beiden Muhmen sich (bis)
Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.

zu streichen, bedeutet Kleist's 'Krug' zu einem Torso zu verstümmeln.

Immerhin ist hier wenigstens die Hälfte der Krugerzählung - eine nach den Regeln der klassischen Rhetorik strukturierte Gerichtsrede - als wäre die des Marc Anton in Shakespeare's 'Julius Caesar' und die des Grafen Telramund in Wagner's 'Lohengrin' gestrichen.

Man frage doch die Gattin des hoch erfahrenen Theaterdirektors Ernö Weil, Frau Kammersängerin Mechthild Gessendorf, was sie wohl gesagt hätte, wäre man mit dem Rotstift an die Ballade der Senta oder den Monolog der Marschallin oder die Nilarie der 'Aida' gegangen. Im letzteren Falle wäre wohl bei geschickter Auslassung durch Dramaturgie oder Dirigent das schwere hohe C im Piano am Ende der Arie entfallen.

 

 

DH