So schnell ging es diesmal nicht, mit dem Griff zur Zigarette an
diesem 13. Januar des Jahres 2008.
Er - Rolf Ronzier - musste warten, bevor er sich einhüllen durfte in
blauen Dunst, hielt er doch noch am Ende des Einführungsvortrages
zum ’Menschenfeind’ ein flammendes und publikumswirksames Plädoyer
für die im Regensburger Haidplatztheater anstehende Produktion von
Thomas Bernhards ’Die Macht der Gewohnheit’.
Der Schauspieldramaturg gab geistvoll, humorig und ohne den
erhobenem Soziologen-Zeigefinger, Auskunft über Enzensberger,
Molière und die Begleitumstände der Produktion von ’Der
Menschenfeind’.
Er und nicht ’sie’ referierte – wie kommentierte ein Intendant
anlässlich der Regensburger konzertanten Produktion der
’Hugenotten’, als ’sie’ mit Billigung des Direktors des Oberpfälzer
Metropol-Theaters Regensburg mit überschlagenen Beinen moderierend
auf dem Podium saß – “schaut aus wie a zerzaust’s Christkindl.“
Champagner spiele in Molières Werk eine entscheidende Rolle, in
einem Werk, das einen zweiten Autor in Hans-Magnus Enzensberger
habe, dem es gelungen sei, eine wirkungsvolle Übersetzung der
Molièr’schen Urfassung zu erstellen, wobei er das Geschehen in die
Gegenwart verlegt, alle Motive, die Charaktere und auch die
Zeilenzahl aber beibehalten habe.
Die bearbeitende Übersetzung sei 1979 als Auftragswerk für
Berlin erfolgt, Zadek habe damals die Version, die Enzensberger mit
der Bonner Republik und dem deutschen Herbst in Verbindung brachte,
ungeheuren Erfolg inszenierte und sehr oft sei das Stück nachgespielt worden.
http://www.google.de/search?hl=de&q=%22musterland+-+m%C3%B6rdergrube%22+%2B+enzensberger&meta=
Der originale 'Menschenfeind' Molières sei 1968 in Regensburg zum
letzen Mal zu sehen gewesen, danach der 'Tartuffe' im Jahre 1971 – und sonst
nichts mehr, was einer Kulturschande gleich käme, gemessen an dem,
wie aktuell doch Molière zu jeder Zeit gewesen sei und noch ist.
Die Enzensberger-Fassung sei schon ein Jahr nach der Uraufführung
nach Regensburg gekommen – ein Lob der damaligen Dramaturgie, so
schnell reagiert zu haben, ein neues Stück auf den Spielplan zu
setzen. Das Ganze sei aber auch schon fast 30 Jahre her.
Enzensberger “ich bin keiner von uns“ sei als einen 'Alt-Linker'
einzustufen, sei als ein Verfechter der alten Rechtschreibregeln
bekannt und ein starker Raucher, dem werde in Regensburg Rechnung
getragen als Abbildungen vom Autor, wie schon bei Arthur Miller,
Thomas Beckett im Programmheft veröffentlich würden.
Gute Literatur benötige keine Unterstützung, es sei aber angebracht,
auf die Aktualitäten in diesem Falle hinzuweisen, um Einwänden
entgegenzuwirken, Molière läge weit zurück und das alle ginge die
heutige Gesellschaft nichts mehr an. Dass das Thema interessant sei,
merkten auch Jürgen Gosch und Botho Strauß und so machten sich
darüber her, eine eigene Fassung zu erstellen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Moli%C3%A8re
Moliere sei der erste
Theaterdichter gewesen, der psychologische, moralische, soziale
Themen und Missstände behandelte. Menschliche Schwächen und soziale
Aspekte der Gesellschaft - damals wie heute aktuell- , verlegt aus
einer dem Hof nahen stehenden Gesellschaft in die heutige
upper-middle class – eine gehobene Schicht, die sich selber als
wichtig erkläre.
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Alceste – ein ekelhafter
Chauvinist - trage einige Züge von Enzensberger. Auch dieser ein
leidenschaftlicher Kritiker der Gesellschaft, besessen von einer
fanatischen Wahrheitsliebe, gegen die Lüge, gegen Heuchelei, gegen
gekünsteltes Verhalten, gegen Geschwätzigkeit, gegen Begünstigungen,
gegen Oberflächlichkeit, lehne jede Art von Diplomatie ab, sei
hitzköpfig und sei gegen alles, was die Gesellschaft ausmache.
Damit treibe er es auf die Spitze, stoße seinen Mitmenschen vor den
Kopf, und verscherze es sich so mit allen – wie er es
praktiziere, sei wohl als eine Art von Masochismus zu bezeichnen,
letztlich werde er zur lächerlichen Figur.
Bei Enzensberger sei der Alceste der 'Gutmensch' - er wie er stellten die Kritik an der Gesellschaft in den Vordergrund.
Célimène – Geliebte von Alceste - ein Flittchen mit Niveau, ein
ausgekochtes, abgefeimtes Biest - passe gar nicht in die
Tugendvorstellungen des Alceste – sie genieße im Gegensatz zu ihm
die Geselligkeit, das gesellschaftliche Leben mit allem was dazu
gehöre, wie Spott und Klatsch, Intrige – sie flirte mit vielen
Partnern, stelle sich gut mit zahlreichen einflussreichen Verehrern,
pflege Freundschaften oder auch Techtelmechtel aus opportunistischen
Beweggründen, so auch zu zwei Partygästen, dem Acaste – strahlend
vor selbstzufriedener Eitelkeit und dem Clitandre, Modefatzke in
schrillem Kostüm - sie seien Salonlöwen, Partyhengste, eingebildete,
aufdringliche Typen.
Beide würden von Célimène der koketten, schlagfertigen Salondame –
trotz aller Hoffnungen, die sie den beiden - sogar in schriftlicher
– Form mache - auf Distanz gehalten und bei all ihrer
Emanzipiertheit - was zur Zeit von Molière etwas gänzlich
revolutionäres war - weiß Célimène sehr wohl, sich mit ihrer klugen,
offenen Art einzubringen und den völlig in seiner Art zu ihr
konträren Alceste zu gewinnen.
Auch Oronte – aus verletzter Eitelkeit ein gefährlicher Gegenspieler
von Alceste, buhlt um die Gunst des Schwierigen - wird von Célimène
in das Spiel eingebunden – es kommt zu einer Konfrontation zwischen
den beiden Verehrern Célimènes wegen der Beurteilung eines
Gedichtes, das von Alceste in Form und Inhalt abgelehnt wird.
Arsinoé eine heuchlerische Ziege auch auf der Party, gefürchtet
wegen ihrer herben Art, auch weil sie Tugendhaftigkeit vortäusche,
die aber nach Meinung der Gäste gar nicht gegeben sei, wolle auch
Alceste für sich gewinnen, da dieser in Bezug auf den hohen
moralischen Anspruch viel mehr ihren Vorstellungen von einem Mann
als der von Célimène entspreche. Sie versuche daher die
Gegenspielerin durch verletzende Wortspielereien zu diskreditieren,
damit auszustechen. Bemäntelt werde das Gespräch mit dem Titel:
’Freundschaftsdienst’.
Eine Intrige folge der nächsten üblen Nachrede, alle würden
hineingezogen - Alceste wolle Célimène am Ende das ganze verzeihen,
wenn sie ihm in die Einsamkeit, das heißt durch Ausstieg aus der
Gesellschaft, folge.
Die Antwort könne man sich ja vorstellen.
Das Stück, häufig auch als Tragödie dargeboten, habe kein happy end
- zumindest nicht, was die beiden Hauptfiguren angehe.
Gedanken hätten sich viele über Molière und seinen 'Menschenfeind'
gemacht - so auch Goethe "Molière ist so groß, daß man immer von
neuem erstaunt, wenn man ihn wiederliest, seine Stücke grenzen ans
Tragische" - ob es sich nun um eine Komödie oder eine Tragödie
handele.
Zwei weitere Mitspieler Éliante und Philinte stünden quasi
außerhalb der Handlung, sie kennten die menschlichen Schwächen und
akzeptierten sie und arrangierten sich mit ihnen, seien also im
Gegensatz zu dem Hauptpaar die Menschenfreundlichen.
Nach der koketten Célimène und der prüden Arsinoé sei Éliante die
Aufrichtige, die eigentlich besser zu Alceste passe und die der
Meinung sei, ein Mann liebe auch die Schwächen an einer Frau, wenn
er richtig verliebt sei.
Mit Philinte bilde sie das einzig glückliche Paar, auf die
Werbung von Alceste fällt Éliante nicht herein, zumal es sich hier
nur um einen Racheakt von Alceste an Célimène handele.
Jung besetzt der Philinte - 'normalerweise' als ein väterlicher Freund von Alceste vorgestellt - sei er der Vertreter der praktischen Vernunft,
besonnen, wirke besänftigend und ausgleichend auf Alceste.
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Habe Molière anfänglich in
seinen Stücken die Meinung vertreten, man solle sich der
Gesellschaft anpassen, brachten die späteren Werke - 'Tartuffe',
'Don Juan' und 'Menschenfeind' die Umkehr, die Infragestellung der
Anpassung. Das Publikum habe dies nicht honoriert - es sei
ausgeblieben und Molière musste sich nolens volens eines Bessern -
eben der Verträglichkeit - besinnen.
Molière habe die Komödie zu der Tragödie gleichwertigen Gattung
erhoben und dies sei der große Verdienst des großen Meisters.
Der Lächerlichkeit preis gebe er Dinge, die dem gesunden
Menschenverstand widersprächen und in seinen Komödien, zum Beispiel
die Rechthaberei des Alceste, des Moralisten, des verzweifelten
Idealisten.
Lächerlich sei alles, was extrem der Vernunft ermangele und
utopische Verhaltensregeln aufzeige.
Und gerade das Spielen des Alceste berge Leiden - er, Michael Haake,
habe sich über Weihnachten 2007 schwer getan, im Erarbeiten der
Rolle.
Mal sei er beim Aufsagen des Textes heiser geworden - eigentlich
wollte er doch nicht so schreien - dann habe er es wieder im Rücken
gehabt - das Vergnügen läge so doch wohl im Publikum, auf der
anderen Seite der Kulissen.
Bei allem sei Alceste wie ein Stehaufmännchen, das immer wieder neu
anfange, so schlimm könne es also mit dem Leiden auch nicht sein.
Rüdiger Burbach, der Regisseur aus Zürich arbeite zum ersten Mal in
RBG, wolle die Liebes- und Machtspiele zeigen, das Hin- und
Hergerissensein des Alceste zwischen Verstand und Herz, wobei ihn
die komischen, denn die tragischen Momente am Spiel reizten.
Das Stück sei in einem Garten mit aufblasbaren Plastikmöbeln und
Luftballons angesiedelt, die Aufgeblasenheit dieser Gesellschaft
zeigend. Und nicht in einem Salon, sondern im Garten, so dass neben
den Solopaaren vorne, die
übrigen Gruppen dezent den Hintergrund beleben könnten.
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Schlusswort mit drei Thesen des
Dramaturgen:
1. Wenn Sie als Menschenfeind das Theater verlassen, dann haben wir
das Ziel verfehlt -
2. wenn Sie Menschenfeinde besser verstehen, haben wir das Ziel
knapp verfehlt -
3. und wenn Sie Menschenfreund geworden sind, dann empfehlen sie uns
weiter!
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