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        Staatstheater Braunschweig

      
     Bemerkungen eines Vollzahlers zur szenischen Umsetzung von
       

       'Kabale und Liebe'
         Friedrich Schiller

            Premiere 23. September 2011

          'Ich komme auf Befehl meines Vaters'


    Announcement Staatstheater Braunschweig

    Kabale und Liebe

    von Friedrich Schiller
    Ferdinand liebt Luise und Luise liebt Ferdinand. Es ist die große alles überstrahlende Liebe. So weit, so kompliziert.
    Ferdinand ist der Sohn des Präsidenten, eines hohen Angestellten im Staat, Luise die Tochter des verarmten Musikers Miller. Das Liebespaar ist gefangen in Verpflichtungen gegenüber Staat und Familie. Eine standesübergreifende Liebe ist nicht möglich.
    Um sich seine Vorteile zu erhalten und um die Liebschaft zwischen Ferdinand und Luise rechtzeitig zu stoppen, will der Präsident seinen Sohn mit der Geliebten des Staatsoberhauptes verheiraten. Diese, Lady Milford, hat das Spiel in den Machtzentren gelernt, sie verkauft sich, um politisch mitbestimmen zu können. Auch sie liebt Ferdinand. Sie liebt ihn aufrichtig. Der Haussekretär des Präsidenten, Wurm, hat ein Auge auf Luise geworfen. Auch er setzt alles daran, einen Keil zwischen sie und Ferdinand zu treiben.
    Die politischen Machtspiele beherrschend, die Staatsgewalt im Rücken und die Leichen im Keller vermehrend, betreiben der Präsident und Wurm ihr Spiel. Die Moral für sich instrumentalisierend, erpresst Miller seine Tochter. All das, bis die Liebenden sich selbst immer mehr infrage stellen, zusammenbrechen und lebensgefährlich füreinander werden.
    Friedrich Schiller schrieb sein Bürgerliches Trauerspiel 1783. Er erkannte Ungerechtigkeiten in seiner Zeit und Gesellschaft, erkannte Machtprinzipien und Neid auf nichtmaterielles Glück. Rebellierte Schiller gegen einen sicht- und spürbaren Standesunterschied, suchen wir nach den subtilen Strukturen, die unsere heutige Gesellschaft immer noch zur Klassengesellschaft machen. Die politische und wirtschaftliche Elite trifft auf Prekariat und Gewaltbereitschaft.
    Großes Haus
    Inszenierung: Daniela Löffner
    Bühne: Claudia Kalinski
    Kostüme: Sabine Thoss
    Dramaturgie: Katrin Breschke

    Mit:
    Präsident von Walter: Moritz Dürr
    Ferdinand, sein Sohn: Philipp Grimm
    Hofmarschall von Kalb / Kammerdiener / Gerichtsdiener: Sven Hönig
    Lady Milford: Theresa  Langer
    Wurm, Sekretär des Präsidenten Walter: Oliver Simon
    Herr Miller: Hans-Werner Leupelt
    Frau Miller: Sandra Fehmer
    Luise, dessen Tochter:
    Rika Weniger

     

     

     'In des Alten Bundesschriften, merke dir an erster Stell'

    Den 3. Rang betretend, auf dem mit Zuschauern nicht gerechnet wird, denn es steht auf der linken Seite nur ein Stuhl am Klavier als Sitzgelegenheit zur Verfügung, fragte man die Wärterin, wie denn die Auslastung sei - "Ja, wir sind fast ausverkauft" - Verwunderung macht sich breit, denn man wird nur weniger als 10 Personen ansichtig.

    Da die Dame nicht bekannt gegeben bekommt, wann Einlass sein darf, ein Signal vom Inspizienten ist - laut ihrer Aussage - nur im Parkett möglich, schleicht die Dame immer wieder mal an die Tür, schaut zur Bühne hinunter und entschuldigt sich mit:
    "Nein, es geht noch nicht, die üben noch!" -
    wohlgemerkt, es ist 19.25 Uhr - ab 19.30 Uhr soll 'Kabale und Liebe' von Friedrich Schiller gezeigt werden.

    Auf nochmaliges Bitten der sieben (in Ziffern 7) Besucher, die auf der linken Seite Einlass begehren, schaut sie noch einmal in den Zuschauerraum und stellt nun fest:
    "Jetzt geht es!"
    Wieso auf einmal, bleibt ihr Geheimnis.

    Da aber sitzt man dann endlich nur wenige Minuten vor Beginn der Vorstellung - 15.40 Euro pro Platz, mehr ist eine Vorstellung im Nds. Staatstheater BSG in den meisten Fällen sowie nicht wert - und freut sich, wie reizend es ist - dass Frau Inszenatorin Löffner die Protagonisten des Abends, der expressis verbis unter der Headline 'Kabale und Liebe' von Friedrich Schiller steht, mit dem alten Merkspruch:
    In des Alten Bundes Schriften
    merke in der ersten Stell

    der biblischen Bücher sich 'einkrampfen' zu lassen.
     

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    Die Millers strömen in eine Art Zirkus-Arena, die mit Sand gefüllt ist, rennen planlos hin und her, eine runde Zunge ragt als Spielfläche von rechts hinten in den Sandkasten. Über diesem Zirkus-Aufbau schwebt wie ein großer Heiligenschein - Abmessungen in etwas so wie die Arena unten - der Rest einer Wieland-Wagner-'Ring'-Inszenierung in BT aus den 50-er Jahren.

    Eine junge Dame schert aus, begibt sich an den rechten Rand der Arena, wo ein 'schöner Jüngling' ihrer harrt. Beide balancieren in die Mitte des Umfassungsringes und beginnen sich Angesichts allen Volkes zu herzen und zu küssen. Der Jüngling soll wohl Ferdinand, die junge Dame die Luise sein.

    Die alten Millers nehmen auf des Bandenrandes Platz und schauen ungeniert dem 'Getächtel und Gemächtel' zu, das bereits vier Minuten nach Beginn der Vorstellung in sexuelle Exzesse auszuarten scheint, denn Ferdinand zieht sich - in Erwartung einer speziellen Art von Verkehr - sein T-Shirt aus. Nackert, schmächtig - 'ein Jüngling so wie du' - nun ja in dem Alter!
    Schamloses Gekicher der Jugendlichen im Zuschauerraum.

    Miller: "So, mir reicht's" - Gelächter des Publikums. Der Vater zerrt seine Tochter zur Seite.
    Ferdinand zieht unverrichteter Dinge nach rechts ab.
    "Die Sache wird ernsthaft -"
    Hier nun ein paar Worte von Schiller - so wie gelegentlich an diesem Abend.

    Frau Inszenatorin Löffner und Frau Dramaturgin Breschke fanden Schiller nicht mehr zeitgemäß, wollten nicht die Situation der Frau im 18. Jahrhundert, den Absolutismus, den wahllosen Zugriff der Staatsgewalt zeigen. Sie aktualisierten, verlegten die Handlung in ein Irgendwo, dichteten selber, krampften sich Texte ab, verjuxten das Ganze à la mode, was man in einem nicht subventionierten Theater dem Publikum unter 'Kabale und Liebe' von Schiller nicht präsentieren dürfte, denn es ginge niemand hin.

    Was da an 'Ostermeiers Schaubühne' mit Schiller gemacht wurde - die Rolle des Hofmarschalls einfach gestrichen - oder wie Ferdinand am DT 'die Wände hoch ging'.

    Hier und dort, am hoch unterstützen Staatstheater oder Stadttheater wie auch in BSG im früheren Zonenrandgebiet, kann man den Leuten ja alles vorsetzen, der Steuerzahler wird's schon richten. Nicht zu vergessen der 'Giovanni' in der Verantwortung von Jens von Enzberg, dem jetzigen Theaterdirektor von Regensburg.

    Bemerkungen_zu_'Don_Giovanni'_im_'Staatstheater_Braunschweig'

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    Inzwischen hat Frau Miller ihren Mann mit Sand beworfen, der ja zur Genüge in der Arena liegt (arme Technik, das alles wieder wegräumen zu dürfen) - sie wiederum zeigt ihm die wunderschönen Gedichte, die Ferdinand der Luise geschrieben hat, voller Wut wirft Miller alle in den Sand gestellten Fackeln um, die Millerin ist der Meinung, der Junge sei Gold wert.

    Da:
    "Guten Abend Herr Wurm",
    meint die Millerin und nimmt aus des Sekretärs Hand ein Alpenveilchen o.ä. in Empfang. Wurm erfreut sich an der Szenerie, die Blümchen malerisch im Sand verteilt - Miller meint, es wären auch noch Fackeln da gewesen, die aber habe man abgeräumt.
    "Wie wär's mit 'ner Limonade" -
    'fragt der Hausherr den Wurm. (Schiller rotiert im Grab), spurtet an den Rand der Arena und holt die von der Requisite bereitgestellte Flüssigkeit herbei.

    Die Millerin erwähnt beiläufig Ferdinand - was den Wurm auf den Plan rufen muss, der irgendetwas faselt, wie es wohl seiner Zukünftigen oder Gewesenen gehe.
    (Gelächter im Publikum.)
    Der liebe Gott wolle ihre Tochter als Frau von Walter haben - so die Mutter, die um ihr Kind besorgt ist, endlich aus dem Miller'schen 'Sandkasten' herauskommen zu können.

    Zur Strafe, dies überhaupt erwähnt zu haben, schickt Vater Miller Mutter Miller zum Blumengießen, die aber beharrt darauf, der Wurm bekomme Luise nicht.

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    "War er noch mal da, Mama" -
    er war nicht da, Ferdinand" -


    "Diesen Ferdinand, ich kann ihn dir nimmer geben" -
    so Vater Miller, aber da kommt er wie gerufen und geradezu überfallartig nähert er sich Luisens:
    "Du bist blass Luise!" -
    worauf er wieder höchstvorsorglich, weil wohl weitgehend erregt, sein T-Shirt abwirft.

    "Du brauchst keinen Engel mehr "
    vorn an der Rampe in den Saal.
    Darauf Jubel im Publikum.

    Auftritt Wurm / Präsident - wohl einer aus einer Bananenrepublik - hat jedenfalls nichts mit dem Mitarbeiter eines deutschen Fürsten zu tun, wie Schiller es vorgab.
    Aber wozu denn das Stück spielen, es reicht doch, wenn es groß gedruckt auf den Anzeigen steht, dass es Schiller sei.

    Dass man dann aber statt dessen Breschke / Löffner präsentiert, ist doch nur Etikettenschwindel - wen stört's denn - der Steuerzahler ist zu ungebildet, die Irreführung zu erkennen.
     

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    Präsident und Sekretär räumen die Kleingartenpflanzen aus dem Sand weg und stellen Blumenkübel auf.
    Er werde im Notfall die Abtreibung bei Ferdinands Hure schon bezahlen.
    Man spielt Boule.
    "Deshalb soll mein Ferdinand die Milford heiraten - ist dir das helle?"

    Mühsam nähern sich die beiden der Alternativ-Lösung für Ferdinand an - es dauert, bis man auf die Ostheim kommt.

    Auftritt Kalb - führt sich auf - albern, 'die Meute' - die übrigen Mitspieler - stürzt sich auf ihn, er wird von allen Seiten fotografiert, es blitzt unablässig aus verschiedensten Stellungen.

    Kalb schleckt den Präsidenten ab,
    "Wie geruht, wie geschlafen" -
    schildert hysterisch wimmernd seine Erlebnisse und sei, trotz aller, doch noch der Erste im Vorzimmer (es ist die Antichambre, falls einer nicht weißt, was ein Vorzimmer ist)gewesen.

    Kalb enteilt, um den Entschluss des Präsidenten, Ferdinand mit der Milford zu verheiraten im ganzen Land bekannt zu machen, tritt beim Abgehen noch auf eine leere Limo-Flasche, die knatternd zusammenbricht.
    "In drei viertel Stunden weiß es ganz, weiß es ganz, weiß es ganz - Europa."

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    Ferdinand zieht sicherheitshalber das T-Shirt aus, er muss Laufübungen machen - rennt wie ein Hamster im Laufrad, Liege-Stütz am Rand der Arena - wird getrimmt vom Vater. Da sieht man in BSG mal wie es bei Ministers so zugeht.
    "Schwachmat!"

    Wurm strampelt mit, zur Gaudi des Publikums - dann Schießübungen, das Ensemble tanzt zu 'Love-is-in-the-air' und wird umgelegt.
    Freizeitbeschäftigung bei Ministers - mit Gesang der Spieler
    'Alle Jahre wieder'

    Ferdinand werde sich entschließen, noch heute, eine Frau zu nehmen. Die Milford soll es sein. Ferdinand lehnt auch in der Braunschweiger-Breschke/Löffner-Fassung - soweit Übereinstimmung mit Schiller - ab, zieht entrüstet sein Hemd an, er wolle das Erbe nicht, das ihn an einen scheußlichen Vater erinnere.

    Die Milford will er nicht - wie wär's mit der Gräfin Ostheim - es ist die Heirat, die er verabscheue, er sei bei der Milford gemeldet.
    "Wenn ich auftrete, zittert ein Land, woll'n doch mal sehen, ob mich ein Schwachkopf von Sohn übertrumpft."

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    Bodoire der Milford wird aufgebaut - Mitspieler bekommen von ihr die Blumentöpfe des Ministers zum Halten in Posen übergeben.

    Die Milford plappert ins Leere, da die Sophie gestrichen ist, gleich stellt sich heraus, dass auch auf den Auftritt des Kammerdieners am Nds. Staatstheater BSG verzichtet wird, die Lady kramt selber in Juwelen, die aus dem Verkauf von Soldaten stammen.

    Die Mitspieler lassen die Blumentöpfe fallen, robben an den Rand der Arena und sielen, suhlen sich unter orgiastischem Gestöhn in von der Milford ausgeschütteten Preziosen.
    Von rechts über die Spielzunge über die Abgrenzung der Arena schreitet Ferdinand herbei.

    Die Milford räumt die Juwelen unter den Arena-Bogen, die Mitspieler nehmen auf demselben Platz und Ferdinand muss verkünden, dass er auf Befehl seines Vaters gekommen sei, um mitzuteilen, dass die Milford und er heiraten werden.

    Die Milford berichtet über ihre Vita - zum Teil kaum verständlich, da unprononziert dahin gebabbelt - um die Vorwürfe Ferdinands -
    "du dreckige Hure"
    zurückzuweisen.

    Ihr Vater sei auch ein hochrangiger Politiker gewesen, des Hochverrats bezichtigt starb er in Gefangenschaft, die Mutter habe sich kurz darauf das Leben genommen - fest steht, die Damen Breschke/Löffner strichen die Norfolk-Story - sie sei als 14-jähriges Mädchen nach Deutschland geflohen und dem Präsidenten aufgefallen, der sie zu sich führte und dem sie die Zügel abnahm, der habe zum ersten Mal eine Menschenhand gespürt.
     

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    Bis hierher und nicht weiter.

    Hätte man in BSG den Mut gehabt, anzukündigen:


    'Luise und Ferdinand im Irgendwo'
    Schauspiel von Katrin Breschke und Daniela Löffner

    Eventuelle Ähnlichkeiten mit 'Kabale und Liebe' von Friedrich Schiller
    wären rein zufällig
     

    hätte man es als interessante Produktion mit nicht unbegabten jungen Darstellern akzeptieren können - ja hätte man.

    Es aber unter dem Titel  

    Kabale und Liebevon Friedrich Schiller

    zu offerieren, ist höchst fragwürdig.
    Man traute sich wohl nicht, sich zu offenbaren und versuchte, sich hinter dem Großen der Klassik zu verschanzen.

    Wahrscheinlich wäre bei Ehrlichkeit auch vermieden worden, dass die Jugendlichen, die einige Plätze im dritten Rang - in dem halbleeren Haus - einnahmen, sich weniger mit dem Herumreichen von Flaschen und Trinken aus denselben wie auch mit permanentem Spielen an ihren i-Phones beschäftigt hätten, während die unten auf der Bühne sich einen Wolf spielten.

    Dem Abonnenten und Abnehmer von Karten aus dem freien Verkauf, bleibt nur zu hoffen, dass 'Jensilein' - wie allenthalben er in Regensburg genannt wird und wo sich hartnäckig das Gerücht hält, er wolle die Ballettsparte abschaffen, weder Frau Löffner noch Frau Breschke mitbringt.

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     *Webdefinitionen

    • Prekariat ist ein Begriff aus der Soziologie und definiert „ungeschützte Arbeitende und Arbeitslose“ als eine neue soziale Gruppierung. Der Begriff selbst ist ein Neologismus, der vom Adjektiv prekär (schwierig, misslich, bedenklich) analog zu Proletariat abgeleitet ist. ...

     
    • Soziologie: Zum „Prekariat“ gehören alle, deren Lebensbedingungen prekär sind, die in ungesicherten Arbeitsverhältnissen leben und wenig Hoffnung in die Zukunft haben. ...

     

    Was die Anderen schrieben:

    http://www.waz-online.de/Nachrichten/Kultur/Kultur-ueberregional/
    Aufs-Aeusserste-treibt-s-nur-die-Regisseurin


    http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6092:kabale-und-liebe-ndaniela-loeffner-laesst-in-schillers-trauerspiel-die-gefuehlsdaemme-brechen&catid=38:die-nachtkritik&Itemid=40

    http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/2044/artid/14926801

    http://www.nachrichten.de/kultur/Apostroph-Kabale-und-Liebe-Staatstheater-Braunschweig-Regisseur-Liebesbrief-cid_7459967/

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    Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
     

     

    Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
    Geglücktes oder Misslungenes.

    Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

    Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

     

     

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