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... am 13. Juni 1886
Ein König wird zum Mythos
Wie sich ein Image verselbstständigt, wie die Person hinter das Bild,
das wir von ihr haben, tritt, wird am Beispiel König Ludwigs II.
exemplarisch deutlich.
Wie beispielsweise die Charaktere von Marilyn Monroe, James Dean, Mutter
Theresa oder Lady Diana in der Imagination mit Aura und Charisma in eins
verschmelzen und zur Projektionsfläche von Wünschen, Sehnsüchten und
Idealen werden, so ist auch König Ludwig II. von Bayern die ideale
Gestalt, um zum Mythos zu werden. Konservativ?
Rebellisch?
Gleichviel – Ludwig ist Identifikationsfigur für viele. Heute würde man
„den Kini“ technikaffin nennen, er forcierte die Elektrifizierung
(zumindest bei seinen Fantasiebauten), er war der erste König auf dem
Kontinent, der Edgar Allan Poe las, er schickte Kundschafter nach
Mallorca (für 50 Millionen Mark zu teuer!) Venezuela und Afghanistan,
die eruieren sollten, ob sich dort seine anachronistische Idee vom
absolutistischen Herrschertum verwirklichen ließe, und er führte
nebenbei die Gepflogenheit des Bewerbungsfotos ein: bevor Lakaien,
Adjutanten oder Gardisten eingestellt wurden, wollte sich Ludwig erst
mittels Foto überzeugen, ob sie auch seinem Ideal entsprachen.
In der kleinen Ludwig II. gewidmeten Ausstellung der Staatlichen
Bibliothek Regensburg, eine schöne Ergänzung zur pompösen
Landesausstellung auf Schloss Herrenchiemsee, wurde der Fokus auf den
Tod des Königs und die einsetzende Verehrung, seine Mystifizierung,
gerichtet. Zu sehen gab es aus der „Sammlung Spangenberg“ Ludwigs
Sterbebild, Fotografien von Heinrich Hoffmann (ein Onkel des später als
Hitler-Fotograf berühmt gewordenen Lichtbildners) vom Leichenzug, ein
Abguss von Ludwigs Totenmaske, Ansichtskarten, historische
Presseartikel, Briefe, einen Splitter des Kahns, in dem die Leiche des
Königs aus dem Starnberger See geborgen wurde, und Nippes mit Königs-
bzw. Schloss-Berg-Motiv.
Die Staatsbibliothek stellte ein Exemplar der Tageszeitung vom 12.
August 1871 aus, in der auf den Besuch Ludwigs in Regensburg eingegangen
wird. Der König war – von einem kurzem Aufenthalt als Kind in der
Königlichen Villa abgesehen – nur einmal, und zwar am 10. August 1871 in
Regensburg. Weitere Exponate sind Plakate aller Biografie-Verfilmungen.
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Alles Theater? König Ludwig II. liebte die Fantasiewelten von Oper und
Theater, das modernste Massenmedium seiner Zeit. Auch die Besucher der
diesjährigen Landesausstellung erleben ein Drama des Landes und seines
Königs, erzählt nach dem Muster der klassischen Tragödie.
Die spektakuläre Bühne: das Neue Schloss Herrenchiemsee, das Ludwig II.
ab 1878 als Denkmal einer absoluten Herrschaftsidee entstehen ließ. 125
Jahre nach dem Tod des Königs werden erstmals die unvollendeten
Zimmerfluchten geöffnet – für das Königsdrama im Ludwigschloss:
„Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit“.
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Es war die Eilmeldung des Jahres, die am 14. Juni 1886 in den
Extrablättern der Zeitungen veröffentlicht wurde: „König Ludwig II. ist
tot“.
Seit dieser schockierenden Nachricht hat das öffentliche Interesse an
dem menschenscheuen Monarchen nicht nachgelassen.
Das galt für das Jahr 2011 in ganz besonderem Maß, das Jahr, in dem sich
sein Tod zum 125. Mal jährte.
Das wichtigste Ereignis des „Ludwigjahres“ 2011 war die bayerische
Landesausstellung, die im Neuen Schloss Herrenchiemsee anlässlich des
125. Todestages des Monarchen gezeigt wurde.
Die Landesausstellung, gezeigt in den unvollendeten Räumen des Neuen
Schlosses Herrenchiemsee, die nach der Restaurierung durch die
Bayerische Schlösserverwaltung erstmals für die Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wurden. In den Raumfluchten der Rohbauräume, die ihre
Entstehung im industrialisierten 19. Jahrhundert nicht verleugnen, sahen
die Gäste die kahlen Blankziegelwände, die sich auch noch heute hinter
den Kulissen des Neubarocks in den Prunkräumen verbergen.
Die Besucher der Landesausstellung erlebten das Drama des Landes und
seines Königs fast wie eine moderne Theaterinszenierung: wie Ludwig
König wurde, Krieg führen musste, den deutschen Kaiser über sich gesetzt
bekam, seine Gegenwelten mit Schlössern und im Theater schuf, wie er
abgesetzt wurde, starb und zum Mythos wurde.
In einer szenografischen Abfolge unterschiedlicher Bühnenbilder tauchte
man ein in die Welten um Ludwig II. und begegnete hierbei nicht nur
Protagonisten wie Fürst Bismarck oder Prinzregent Luitpold, sondern
ebenso den Ludwig-Darstellern O. W. Fischer und Helmut Berger.
Die Landesausstellung nutzte moderne Medien zur lebendigen Darstellung
der Inhalte.
Junge Computerkünstler bespielten die Räume in heutiger Bildsprache,
angeregt von den theatralischen, künstlichen Dekors der Gegenwelten
Ludwig II.
In 3-D-Simulationen entstanden die ungebauten Träume des Königs:
Schloss Falkenstein, der Flug über den Alpsee oder ein chinesischer
Palast inmitten der alpinen Bergwelt.
Anrührend – persönlich – modern
Neben modernen Inszenierungen waren anrührende, persönliche Gegenstände
des Königs das Highlight der Ausstellung; sie zeichneten sein Leben von
der Wiege bis zur Bahre nach. Hochrangige Kunstwerke aus verschiedenen
deutschen und ausländischen Sammlungen brachten dem Besucher Ludwigs
Streben nach dem Leben als Gesamtkunstwerk näher. Sein Königreich Bayern
modernisierte sich zunehmend, Zukunftsindustrien begannen die Wirtschaft
Bayerns zu prägen.
Dementsprechend nahm die Ausstellung nicht nur den König in den Blick,
sondern auch sein Land. Bayern im Deutschen Reich – anders und fremd,
katholisch und urwüchsig, bewundert und verachtet – fügte sich nur
widerwillig in den uniformierten Einheitsstaat. Es war ein wenig wie
sein König.
Eine Figur wie Ludwig II. ist schillernd und vieldeutig, sie lässt sich
nicht auf einen Nenner, den des „Märchenkönigs“, bringen. Er fand die
Vorbilder seines Herrscherideals in vergangenen Jahrhunderten. Der
französische Absolutismus inspirierte seine Gegenwelten ebenso wie das
byzantinische Hofzeremoniell und die Opern Richard Wagners.
Gleichzeitig war er ein Kind seiner Zeit. Ludwig II. förderte und nutzte
den technischen Fortschritt für seine Schlossbauten, in die er sich mehr
und mehr vor der Realität flüchtete.
Hier lebte er seinen eigenen Lebensentwurf, ganz anders als von der
Außenwelt erwartet. Bis heute trifft diese kompromisslose
Andersartigkeit einen Nerv der Zeit und zieht die Menschen in ihren
Bann. Die bayerische Landesausstellung 2011 im Schloss Herrenchiemsee
wurde zum einzigartigen Erlebnis der königlichen (Gegen-)Welten und der
bayerischen Wirklichkeit. Sie zeigte ein zeitgemäßes Bild König Ludwig
II.: faszinierend, 'anders' und neu.
Verpassen durfte man dieses Ereignis jedenfalls nicht.
Peter Lang im 'Kulturjournal
Regensburg'
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
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Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
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meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
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Dieter Hansing
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