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04.01.2010 - dradio.de

 

 

 


Thema des Tages:

'Fräulein Julie'


   ... am 14. März 1889 in Kopenhagen uraufgeführt.

August Strindberg beschäftigte sich in seinen Werken immer wieder mit der Situation der Gesellschaft im 19. Jahrhundert - besonders herausgestellt:
Der Geschlechterkampf, der Kampf zwischen Männern und Frauen, die nach Strindberg eigentlich nicht zueinander passen, was - bezogen auf die immerwährende Gültigkeit - auch Vicco von Bülow konstatiert.

Der schwedische Dichter revolutionierte das Drama, indem er die Schauspieler eine natürliche Umgangssprache verwenden ließ.
Die Handlung in seinen Stücken bewegt sich typischerweise in einer historischen Umgebung und veranschaulicht Klassenkampf und psychologischen Stellungskrieg.

 

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Strindberg gilt als einer der Wegbereiter des modernen europäischen Theaters im 20. Jahrhundert, vor allem durch seine Dramen 'Fräulein Julie' und der Trilogie 'Nach Damaskus'.

Damit ist er im gleichen Atemzug mit dem norwegischen Schriftsteller Henrik Ibsen und dem Russen Anton Tschechow zu nennen.
Im deutschsprachigen Raum nahm er aufgrund seiner sozialkritischen Themen und der Erfindung des Stationendramas Einfluss auf die Literatur.

Während Strindbergs Frühwerk dem Naturalismus zuzuordnen ist, gehören seine späteren Werke dem Expressionismus an.

In der Sekundärliteratur wird sein literarisches Schaffen entsprechend in eine naturalistische und eine expressionistische Phase unterteilt.

 

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Antonio Bibalo
nach Strindberg

 
'Fräulein Julie'

Bayerische Theaterakademie
12.06.04


Bayerische Theaterakademie
12.06.04
"Immer an der Wand lang"


Die kompositorische Bearbeitung von Strindbergs Schauspiel, 1890 uraufgeführt - fest steht, dieses benötigt keine Musik von Herrn Bibalo - fand 1975 und 1984 in zwei Versionen den Weg auf einzelne Bühnen. So nun auf die der Theaterakademie in München.
Hier durfte Dina Keller, Studentin in der Klasse von Cornel Franz, Antonio Bibalos Oper ’Fräulein Julie’ inszenieren.

Dass eine Studentin keine perfekte Leistung abliefern kann, ist verständlich. Es fehlt bei allem Einfallsreichtum die Erfahrung oder das überragende Talent, aus diesem Manko heraus, quasi unbedarft ein stimmiges Konzept für szenische Abläufe zu entwickeln. Problematisch wirkt sich die fehlende Menschenkenntnis dann allerdings bei der Personenführung aus.

So auch hier in MUC. Frau Keller quält die Sänger mit aufgesetzten Choreographien – drei Schritte vor, ein halber zur Seite, ein Rumpfbeuge nach links, der dramatische Arm nach vorne ausgestreckt, das linke
Lid um die Hälfte des Augapfels gesenkt - versäumt aber – wohl weil sie die Durchdringung der Charaktere nicht erfasst – das Spiel der handelnden Personen. Die hampeln aneinander vorbei, finden weder zu sich, noch zu dem/der anderen. Die Problematik im gesellschaftlichen Gefälle von ’Fräulein Julie’ der Grafentochter zu Jean dem Diener und zur Kristin der Wirtschafterin wird nicht deutlich. Dass die Regisseurin ’Fräulein Julie’ einen das Spiel hindernden Kokon wie den einer schlüpfenden Raupe umhängt, dokumentiert zwar die hormonellen Umstände einer Pubertierenden, macht aber im Spiel nicht deutlich wie sehr sich die Grafentochter dem Butler zugeneigt fühlt. Jean – hier ein absolut unerotisches Zigarettenbürscherl – hat nicht im Entferntesten die Ausstrahlung, eine junge, aus gutem Hause stammende Jungfrau auf den Gedanken bringen zu können, sich nun ausgerechnet ihm hingeben zu wollen. Von Knistern keine Spur. Und der will nach oben, ein Hotel in der Schweiz aufmachen - zum Lachen.

Dass Kristin angeblich etwas mit Jean hat, bleibt völlig ausgeblendet. Die kocht unbeteiligt Nudeln, spült oder kramt sonst wie in ihrer Küche rum. Von Eifersucht oder Angst vor dem Verlust des Geliebten an das höhere Fräulein, oder sonstige Einflussnahmen - nichts zu bemerken.

Die von der Regisseurin angewiesenen Choreographien lassen zwar ein Zusammenspiel ahnen, allerdings wird die Spannung zwischen den Figuren vermisst. Oder konnten die Darsteller nicht miteinander ? Dann allerdings fehlt hier Professionalität, einen solchen Zustand mit Hilfe der Regisseurin zu überwinden. So werden nur Bewegungsabläufe vorgegeben, aneinander vorbei rum gerannt, Türen des Wandschrankes geöffnet und geschlossen, Requisiten rausgeholt, wieder reingestellt oder auf den Boden geworfen, wo sie dann bei jedem Schritt im Wege sind.

Leerer Aktionismus pur. Die Beziehung, besser Beziehungslosigkeit der Akteure zu und untereinander interessiert die Regie nicht, wichtiger scheint ein Hantieren, die Schaffung von ’Bildern’.

Zweifellos ist die Regisseurin durch die Vertonung des Strindberg’schen Schauspiels gezwungen, die Bibalo’schen leeren Orchesterphrasen zu überbrücken. Irgendetwas muss ja auf der Bühne passieren. Immerhin
lässt sie die nicht unmittelbar am Spiel Teilnehmenden am Rande mitagieren, beweist damit, das ihr etwas einfällt, diese Darsteller sichtbar und teilweise sinnvoll zu beschäftigen. So wird von Kristin eine Wäscheleine gespannt, wahllos trockene Wäsche aufgehängt, oder es werden die Betonwände der Reaktorhalle mit Kreide von den Tonlosen beschriftet, meist aber schleichen diese in Drehchoreographien „immer an der Wand lang“.
In den Passagen, da ’Fräulein Julie’ nicht durch ’action’ abgelenkt ist und bei sich sein kann, füllt sie auch die Rolle, während ’Kristin’ immer nur die handfeste Hauhaltshilfe spielt. Der müsste es doch gelingen, das Mantschkerl Jean bei sich zu halten. Unerklärlich das.

Zum Unverständnis für die Handlung trägt auch die Artikulation der Sänger bei, Texte gehen im Überhall des Raumes verloren, so dass – wer das Stück nicht kennt – kaum Zugang finden kann.

Es muss der Eindruck entstehen, dass die Aufsicht durch die Semesterleiter fehlte. Erstens ist es nicht nachvollziehbar, dass ein solches Stück für eine Semesterarbeit ausgewählt wird, wenn die Rollen nicht mit entsprechenden Stimmen zu besetzen sind und zweitens ist
kaum anzunehmen, dass eine solche Regiearbeit unter Dr. Peter Kertz jemals abgeliefert worden wäre.

Hinzu kommt, dass auch an der Aufnahme von Sängern zum Studium gezweifelt werden muss. Was soll aus diesem Nicht-Sänger des Jean werden. Was er zeigt, reicht nicht einmal für eine Chorstelle an einem Provinztheater. Da ist nicht die Spur von Substanz, die eine Entwicklung erahnen ließe und ein „ich höre da was“ wie es oft von einer Dozentin einer renommierten Hochschule bei einer Aufnahmeprüfung dargelegt wurde, reicht nicht für eine Sängerlaufbahn bei der internationalen Konkurrenz. Wer also hat bei der Aufnahmeprüfung diesen jungen Mann
auf die falsche berufliche Bahn gelockt ? Hier reicht nicht einmal der Tenorbonus als Argumentationshilfe für die Aufnahme an eine staatliche Hochschule.

Wer bedenkt, dass für diese Produktion sechs Wochen probiert, ein aufwändiges Bühnenbild mit Sandaufschüttungen, Bauten, technischen Einrichtungen geschaffen wurde und dies alles in nur zwei Vorstellungen zur Schau gestellt wird, muss sich fragen, was geschieht da an den Hochschulen und Akademien in Deutschland.

Sind oft unqualifizierte, aber dafür hübsche, smarte Studenten/Innen nur dazu da, die Klassen der beamteten Dozenten – meist ältere Damen und Herren, die oft selbst niemals auf einer Bühne gestanden haben - zu füllen ? Wie soll da ein adäquater szenischer Unterricht erfolgen ? Und was und wohin dann mit den von diesen 'Fachkräften' ausgebildeten darstellerischen Schwachmatikussen, bleiben die sängerischen Qualitäten einmal ganz beiseite?

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing