|
Thema des Tages
28. Januar 2016
'Und die Bühne dreht'
'Macht des Schicksals'
Staatsoper Hannover
Eines ist klar:
Auch diese Inszenierung würd Verdis Oper 'Die Macht des Schicksals' nicht
retten können, im Gegenteil, sie trug dazu bei, das Unverständnis zu
verstärken.
Piave erarbeitete das Libretto, Ghislanzoni musste nach der
Uraufführung 1862 in St. Petersburg das Stück an einigen Stellen
umschreiben, vornehmlich den Schluss, der bei Piave noch drei
Tote forderte.
Bei Ghislanzoni waren es dann nur noch zwei: Leonore und Carlo,
also Schwester und Bruder. Abgesehen davon, dass bei beiden
Librettisten der Vater der beiden durch einen Schuss, der
sich aus einer Pistole während eines Handgemenges löste, ums
Leben kam.
Dass diese Oper seltener gespielt wird als Traviata,
Troubadour oder Aida - auch Falstaff und Otello sind häufiger zu
sehen - so liegt das an der verworrenen Geschichte des Stücks,
die viele Theaterleiter davon abschreckt, sich mit dem Stück
auseinanderzusetzen.
Herr Dr. Klügl, der Staatsoperndirektor in Hannover wagte es,
holte sich Frank Hilbrich als Regisseur und meinte nach dessen
'Caligula' sei alles bestens geregelt.
Der Haken bei der Sache war nur, dass Herrn Hilbrich zu viel
einfiel, so dass er das Publikum mit Bildern, Symbolen,
Aktionen überfrachtete und dadurch die Produktion bei den
Zuschauern letztendlich auf Ablehnung stieß. War es anfangs noch
überwältigt vom Gesehenen und Gehörten, kamen dann aber
sogleich die Zweifel.
Zu was sollte auch 'das ganze Gemähre' führen. So der Regisseur
selber anlässlich der Einführungsveranstaltung.
 |
Er selber überlege sich für sein Regiekonzept, was der Komponist
aussagen wolle.
So kam er zu der Erkenntnis, dass Verdi ein vom Schicksal
geschlagener Mensch gewesen sei, der als junger Mann Frau und
Kinder verloren habe.
Das Schicksal, das über ihn hereingebrochen sei, war nicht die
Auswirkung des Einflusses fremder Mächte, sondern wie im Leben
anderer und bei den Rollen in Opern, das Zusammentreffen von
Menschen, mit ihren emotionalen, sozialen, psychologischen
Problemen, so dass diese Umwelt Einfluss nehmen und Positives
wie Negatives für den Einzelnen bewirken könne.
Verdi sei es, so Regisseur Hilbrich, darum gegangen, die
Verstrickungen der Menschen miteinander und das daraus
resultierende Ergebnis zu zeigen.
So auch in seiner Inszenierung.
Ein wohlproportioniertes Mütterchen schlurfte während der Ouvertüre
einen Supermarkt-Einkaufswagen vor sich herschiebend über die
Bühne. Sie blieb stehen, zerrte alle möglichen Plünnen heraus,
warf sie auf den Boden und - als das Musikstück so langsam zu
Ende ging - hob sie sie wieder auf, stopfte sie in den Korb und
schlurfte ab.
Das Geschehen begann damit, dass Leonore in ein weißes, stark
tailliertes Püppchenkleid gezwängt auf den geliebten Alvaro
wartete, der dann im, vom Regisseur vorgegebenen, Moment aus dem
günstig in der Mitte der Bühne aufgestellten Schrank sprang,
sich auffällig albern gebärdete und wie ein Halbaffe aussah.
Leonore setzte sich zum Freund auf die Kommode und schlenkerte
die Beine.
Das eigentliche Drama fing mit einem Schuss aus einer Pistole
an, um die Vater und Tochter rangen - nicht die Kugel aus der
von Alvaro weggeworfenen Pistole traff den Vater, sondern durch
das Herumhantieren von Vater und Tochter mit der Schusswaffe,
löste die Kugel, die den Vater tödlich traf.
Damit wurden drei Leben mit einem Schlag verändert, sogar vier,
nahm man den nicht anwesenden Sohn des Marchese Carlo di Vargas
- auf dem Besetzungszettel, der unter der Oberaufsicht des Herrn
Dr. Klügl, Operndirektor in Hannover, erstellt wurde, stand
fälschlicherweise Carlo
die
Vargas (für solche Sachen gibt es einen hochbezahlten
Dramaturgen, der sich anlässlich des letzten Neujahrskonzertes
anbiedernd als 'Pausenclown' bezeichnete).

Leonore und Alvaro flohen nach dem Unglücksfall aus dem Haus in
verschiedene Richtungen, jedenfalls verloren sie sich aus den
Augen.
In einer Art von Kantine - der Regisseur meinte, es solle eine
Autobahnraststätte sein - feierte der Chor Weihnachten,
jedenfalls ließ der erleuchtete Baum in der Ecke darauf
schließen. Hinter diesem trat dann auch der Weihnachtsmann
hervor, der aber in Wirklichkeit die verkleidete Leonore war.
Der auch anwesende Bruder Carlo - Student in Salamanca - ist
da, erkennt seine Schwester als 'Weihnachtsfrau' verkleidet
aber nicht.
Ob des ganzen Jammers wollte sie in ein Kloster, hatte aber
Schwierigkeiten als Frau dort aufgenommen zu werden.
Alvaro machte in einem Krieg, an dem auch Carlo teilnahm, Karriere.
Die beiden freundeten sich an, ohne zu wissen, wer der jenige
war,
mit dem sie sich abgaben.
Alvaro wurde verwundet, er übergab dem Freund Papiere mit der
Auflage, diese nicht anzuschauen. Als der die Sachen in eine
Mülltonne werfen will, fiel aus dem Bündel Unterlagen ein Bild
heraus. Carlo erkannte das Konterfei seiner Schwester und
folgerte, dass er seinen Erzfeind vor sich hat, den es nun
endlich zu vernichten gilt.
Nach Jahren trafen die beiden wieder aufeinander, beide
gealtert, aber der Zorn schwelte weiter in Carlo. Nach langem
Zögern kämpften sie miteinander und Carlo wurde tödlich verwundet.
Leonore, die zufällig wieder mit ihrem Einkaufwägelchen voller Plünnen vorbeischlurfte, sollte für Carlo den letzten Segen
besorgen, der erkennt aber unter der Verkleidung die Schwester und
stach sie ab.
Alvaro bleibt übrig, zieht mit dem von Leonore zurückgelassenen
Einkaufswägelchen zur Seite von der Bühne. So was wie 'Vater
Courage'.
 |
Das Stück war aus und dem einzelnen Besucher blieben Fragen, wie
er den Wust der Bilder - unter dem Motto: 'Und die Bühne dreht' verarbeiten soll, die besonders durch die
Chor-Massenszenen verstärkt wurden.
Da war die Kneipe mit der relativ zivilisiert sich gebenden
Gesellschaft, dann eine Kriegsszene, in Hannover
ersetzt durch eine Situation im maffiösen Bereich der
Gesellschaft, in der Kinder abgerichtet werden und noch das Bild
des Hungers, wobei in Hannover geistiges Verlangen im
Vordergrund stand. Die Gesellschaft war satt und verlangte nach
geistiger Nahrung, die sie dann aber doch wieder ablehnte und die
von Pater Guardian angebotene Lektüre in die Ecke warf.
War es also der Zeitgeist, der bestimmte Verrohungen hervorruft
oder sind es die Geschichten einzelner Personen, die ganze
Gesellschafen aus der Bahn werfen? Wie ist die Wirkung des Einzelnen
auf die Gesellschaft und wie die Reaktion der Gesellschaft auf
den Einfluss des Einzelnen?
Das Stück gebe hierauf keine Antworten. Es seien nur Einzel- den
Massenszenen gegenüber gestellt.
 |
Kinder machen sich immer gut auf der Bühne. Auch Frank Hilbrich
grif als Regisseur zu dem Mittel, das Publikum für sich
einzunehmen.
In seiner Inszenierung sollten die Kinder den Blick auf die
Jugend der Solisten lenken. Die Kinder kamen aus mehr oder
weniger behüteten Haus, wuchsen auf und waren nun als Erwachsene
verstärkt der Unbill des
Schicksals ausgesetzt.
Wer das Stück zum ersten Mal sieht, glaubt in dieser
Inszenierung das Non plus ultra für sich festmachen zu können.
Derjenige, der Vergleichsmöglichkeiten anzustellen in der Lage
ist, zweifelte wieder einmal an der 'Freiheit der Kunst', denn
wieder einmal machte sie das zunichte, was die Autoren sich
erdachten.
Hätte Verdi gewusst wie seine 'Forza' in Hannover an der von von Herrn
Dr. Klügl als Direktor geleiteten Staatsoper dem Publikum -
bedingt durch die Willkür des Regisseurs - präsentiert wurd,
hätte er wohl auf das Werk verzichtet.
Ganz klar, die Inszenierung funktionierte, wenn überhaupt und sollte
sie den gewünschten Effekt haben, nur mit spezieller Einweisung
durch die Leitung des Hauses. Viele Details konnten ohne Hinweise nicht
gedeutet werden. Man erkannte - auch durch mangelnde
Führung der Kinder - nur eine Bühnenshow, die eine bestimmte Vorgehensweise
- der Wiedererlangung der Ehre und der ersatzweise vollzogenen
Racheaktionen - nicht aufzeigte und die Produktion nicht erschloss.
Gerade wenn das Theater eine 'Gegenwartskunst' sein soll, dann hat
es die Probleme der Zeit aufzuzeigen, in der das Stück spielt
und nicht mittels Mätzchen und Albernheiten das Stück 'vom
Sockel' zu holen und ins Heute zu zerren.
Man übertrage Leonore mit der Einkaufskarre konsequent ins Heute
auf die Kö in Düsseldorf, da singt sie dann 'Pace, pace ...' -
und Preziosilla auf dem Ku-Damm in Berlin ihr 'Rataplan, plan, plan,
plan, plan, plan!'
Allein der Gedanke.
Man fasste es nicht!
Es war auch zu bezweifeln, dass ein Bruder in der hiesigen
westlichen und heutigen Gesellschaft der Schwester bis in sein
eigenes Greisenalter nachstellt, um die weit zurückliegende
Affäre mit dem Sohn der 'ultima degl'Incas' und den zufälligen
Tod des eigenen Vaters zu rächen.
Die Theater sollen sich eigene Werke der Jetztzeit schreiben.
Aber da geht dann keiner hin.
 |
Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Dieter Hansing
|
|